Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Februar 2006
Ein Ulmer schreibt Marzipangeschichte Was Königsberg für den Osten, ist Lübeck für den Westen - der klassische, traditionelle deutsche Produktionsstandort für Marzipan. In der ehemaligen "Königin der Hanse" ist man sogar soweit gegangen, den Begriff "Marzipan" auf ein Ereignis aus der eigenen Geschichte zurückzuführen. Mit konstanter Regelmäßigkeit kehrt in den weihnachtlichen Zeitungsaufsätzen die Sage von der Hungersnot in Lübeck 1407 wieder, die zu der Erfindung des Markusbrotes, des Marci panis, geführt hätte. Schon seit langem hat jedoch eine andere sprachliche Ableitung jene volksetymologische vom "Marci Panis" verdrängt. Um das Jahr 1000 kursierten im Orient byzantinische Münzen mit dem Bild des thronenden Christus, die Mauthaban (sitzender Mann) genannt wurden. Die Venezianer führten um 1200 auch diese Münze ein und bezeichneten sie mit "Mataban". Der Begriff verlagerte sich auf ein Zehntel des Wertes und übertrug sich in dieser Relation auch auf andere Maße wie vor allem Getreide- und Schachtelmaße. Im Neapolitanischen und Sizilianischen sind die Wörter "Martzapane" und "Marzapane" im 13. Jahrhundert für Schächtelchen belegt, auch das Provençalische kennt diese Bezeichnung. Frühzeitig erfolgte die Versendung von Gewürzen und Konfekten in diesen Spanschachteln. Im Laufe des 13. Jahrhunderts muß dann der Begriff "Mazaban" für Schachtel auch auf den Inhalt übergegangen sein. In mancherlei Abwandlung wurde daraus "Marzipan", "marchpane" (englisch), "marzapane" (italienisch) oder "massepain" (französisch). Ebenso wie der Begriff kommt auch das Marzipan selber nicht aus Lübeck, noch nicht einmal aus dem Okzident. Es bestehen keine Zweifel mehr, daß der vordere Orient das Ursprungsland der Mandelzuckermischung ist. So spricht der Lübecker mit Feriensitz in Ostpreußen Thomas Mann von einer geheimnisvollen Ferne, welche die "üppige Magenbelastung aus Mandeln, Zucker und Rosenwasser umgibt". Er irrt jedoch wenn er die Vermutung äußert, daß das Rezept zu diesem Haremskonfekt über Venedig an irgendeinen alten Herren Niederegger in seine Heimatstadt gekommen sei. Dafür gibt es dort nämlich Marzipan schon zu lange. Bereits die Lübecker Zunftrollen von 1530, die den Verkauf von Gewürzen und Apothekerwaren regeln, besagen, daß die Kaufleute "unverarbeitete Gewürze wie Coriander oder Mandeln" verkaufen sollen, aber "weder in großer noch in kleiner Menge fertiges Konfekt wie Zimtkonfekt, Ingwerkonfekt, Nelkenkonfekt, Cardamomkonfekt, Marzipan etc.". Nach dieser ersten Erwähnung Marzipans in der Hansestadt sollte jedoch noch knapp ein viertel Jahrtausend vergehen, bevor der erste Niederegger von Bedeutung für die Geschichte des Marzipans in Lübeck überhaupt erst zur Welt kam. Dieser erste Niederegger von marzipanischer Relevanz trug den Vornamen Johann Georg und wurde im Jahre 1777 in Ulm geboren. Als er nach Lübeck kam, war er bereits Bäckergeselle. In dieser Funktion arbeitete er zunächst in der Konditorei Maret. Sein Lehrherr starb bald, die Witwe übertrug ihm das Geschäft auf eigene Rechnung. Damit konnte sich Niederegger am 1. März 1806 "etablieren", wie man es damals nannte: "Mit dem heutigen Tage trete ich die bisherige Conditorey des sel. Hrn. J. G. Maret Frau Wwe. für meine Rechnung an, und erlaube mir, mich dem Wohlwollen der Freunde dieses Hauses, wie dem des ganzen verehrten Publiko auf das Ergebenste zu empfehlen. Ich werde allemal mein äußerstes Bestreben dahin richten, durch aufrichtige und billige Behandlung das Zutrauen zu verdienen, dessen sich meine Vorgänger mit soviel Recht rühmen konnten. Joh. Georg Niederegger." Er "verdiente sich das Zutrauen", arbeitete mit Fleiß und Tüchtigkeit und schuf sich damit den Grundstock für sein eigenes Haus, das er 1822, als der mittlerweile erwachsene Sohn Peter August Maret die Konditorei des Vaters übernehmen konnte, in der Ecke Hüxstraße / Breite Straße erwarb. Hiermit waren auch die räumlichen Gegebenheiten vorhanden, die später zu dem Ausbau des Cafés und der Marzipanfabrik führen konnten. Niedereggers Konditorei war schon 1825 so angesehen, daß sie in das "Adreßbuch der Kaufleute und Fabrikanten", Nürnberg, als einzige Konditorei Lübecks aufgenommen wurde, obwohl hier sieben Konditoreien arbeiteten. Welch eine Stellung sich Niederegger unter den Lübecker Konditoren erworben hatte, geht aus dem Wetteprotokoll von 1832 hervor, in dem er für sie alle federführend war. Es handelte sich um die Auseinandersetzung mit den Freibäckern, denen die Herstellung von Kraft- und Mandeltorten untersagt wurde. Die Konditoren bildeten keine eigene Zunft, dafür war ihre Anzahl zu klein. Sie hielten sich in allen Streitfragen an die Krämerkompanie, zu der sie sich wegen des Verbrauches von überseeischen Handelsgütern zugehörig fühlten. Niedereggers gesicherte Position zeigte sich auch in der Übernahme einer Bürgschaft für einen Ratzeburger Konditor, die er 1841 leistete. Als er 1856 starb - nachdem man noch das 50jährige Bestehen voller Stolz auf das Geleistete gefeiert hatte -, hinterließ er dem Ehemann seiner Tochter Friederike, Carl Georg Barth, der ihn schon seit 1843 unterstützt hatte, ein erfolgreiches Unternehmen. Barth stand zu diesem Zeitpunkt bereits im sechsten Lebensjahrzehnt und übergab deshalb bereits 1864 die Geschäftsführung Wilhelm Köpff, der ein halbes Jahrzehnt zuvor sein Gehilfe geworden war. Unter Köpffs Leitung blühte das Unternehmen besonders nach dem Beginn der sogenannten Gründerzeit im Reichsgründungsjahr 1871 auf. Er kaufte ein angrenzendes Haus in der Hüxstraße dazu und erweiterte dadurch die Geschäftsräume. Unter der Führung von Wilhelm Köpffs einzigen Sohn Hans erlebte die Firma die Glanzzeiten um die Jahrhundertwende. Die Privatwohnung im ersten Stock wurde in ein Café im Jugendstil umgewandelt. Hans Köpff waren jedoch nicht nur gute Zeiten vergönnt. So fielen in seine Ära auch der Erste Weltkrieg und die durch Versailles geprägte Nachkriegszeit mit all ihren Problemen. Kurz vor dem Tod seines Schwiegervaters wurde 1930 Carl Arthur Strait alleiniger Inhaber der Firma Niederegger. Er unternahm mit dem Kauf eines Fabrikgeländes in der Zietenstraße den entscheidenden Schritt vom Handwerk zur Industrie. Zusammen mit seinen Söhnen Jürgen und Henning baute er nach dem Krieg das in der Palmsonntagnacht des Jahres 1942 zerstörte Haus in der Breiten Straße Stock für Stock wieder auf. Von dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er und 60er Jahren profitierte auch das Haus Niederegger, so daß sich die beiden Brüder - seit 1955 Nachfolger ihres Vaters in der Geschäftführung - entschlossen, eine neue Fabrik auf der grünen Wiese zu bauen. Nach Errichtung des ersten Bauabschnittes verunglückte Jürgen Strait bei einem Verkehrsunfall tödlich. Henning Strait leitete von nun an das Unternehmen allein. Er baute die Fabrik in der Zeißstraße kräftig aus und führte modernste Produktionsstraßen ein. Seit 1986 sind Henning Straits 1949 geborener Sohn Holger und dessen Ehefrau Angelika Strait-Binder alleinige Inhaber des Hauses Niederegger, wobei er die Gesamtverantwortung hat und sie für den Geschäftsbereich "Café-Betriebe" verantwortlich ist. E. B. J. G. Niedegger: Gründer der gleichnamigen Gesellschaft, die mittlerweile in der Saison etwa 30 Tonnen Marzipan pro Tag produziert, verpackt und in alle Welt versendet |
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