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04.03.06 / Lockruf auf türkisch / Mit einer großen Kampagne wollen Berlins Regierende Ausländerkinder in die Kitas holen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Lockruf auf türkisch
Mit einer großen Kampagne wollen Berlins Regierende Ausländerkinder in die Kitas holen
von Harald Fourier

Klaus Böger (SPD) hat ein Gespür für gute Fotos. "Dann nehmen wir als Hintergrund das Großplakat draußen", sagt er und stürmt zur Tür raus. Und das, obwohl er eigentlich erkältet ist, wie er sagt.

Vor dem Kindergarten in der Bülowstraße 35, der sich selbst "Interkulturelle Einrichtung" nennt, trifft der Berliner Bildungssenator eine der 20 Erzieherinnen mit vier ihrer Schützlinge. Die müssen mit aufs Foto, entscheidet er.

Böger, die Kita-Tante und die Kinder stehen vor einem von 700 Plakaten, auf denen der Hertha-BSC-Kicker Yildiray Bastürk zu sehen ist. Der Text dazu: "Cocugunuzum ofsayta düsmemesi icin, haydi yuvalaral!" (Zu Deutsch: In die Kita, damit Ihr Kind nicht im Abseits steht!"). Der Senat trommelt für die nächste große Werbekampagne unter den Zugewanderten. Diesmal sollen Eltern dazu gebracht werden, ihre Kinder in eine deutsche Kindertagesstätte zu schicken. In eine Kindertagesstätte wie die, in der Senator Böger seine Pressekonferenz abhält. Hier werden 150 Kleine pro Tag betreut. Zehn Prozent beträgt der Anteil der deutschen Kinder. Und: "Nur ein Drittel der Eltern ist erwerbstätig", klagt eine der Leiterinnen.

Im vergangenen Jahr hatten die stadteigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bereits eine auf türkischstämmige Kunden ausgerichtete Werbung an Litfaßsäulen gestartet. Demnächst plakatiert der Ausländerbeauftragte seine Aufforderung, sich einbürgern zu lassen (siehe PAZ Nr. 2).

Die neuste Senatsinitiative zielt nun auf die Jüngsten. Vor zehn Tagen mußte Böger der Öffentlichkeit mitteilen, daß jedes vierte Kind in Berlin bei der Einschulung nicht ausreichend Deutsch sprechen könne. Und heute morgen hat er die "DaZ"-Tage eröffnet ("DaZ" steht für "Deutsch als Zweitsprache"). In der Pressemitteilung aus dem Hause des Bildungssenators wird vorsichtig gefragt: "Wie können auch Eltern, die selbst keine Leser sind, als Unterstützer bei der Entwicklung von Lesekompetenz gewonnen werden?"

Böger glaubt offenbar selbst nicht daran, die Elterngeneration erfolgreich mit einbinden zu können. Ansonsten würde er jetzt nicht die Ganztagsbetreuung für alle empfehlen. "Alle Kinder können - rechtlich und faktisch - in die Kita gehen", verspricht er.

In Berlin gehen 90 Prozent aller Kinder in eine staatliche Kindertagesstätte (Stand 2004). Es gibt jedoch regionale Unterschiede: In Treptow-Köpenick (92,9 Prozent) oder Wilmersdorf-Charlottenburg (94,06) sind es deutlich mehr als in Spandau (86,4) oder Neukölln (84,8). Mit anderen Worten: In Bezirken mit hohem Ausländeranteil gehen weniger Kinder in die Kita.

Rund 80 Prozent der Ausländer-Kinder, die keine Tagesstätte besucht haben, werden später mit Sprachschwierigkeiten eingeschult. Böger: "Der Kita-Besuch wirkt sich immer positiv auf die Sprachkenntnisse von Kindern nicht-deutscher Herkunft aus", erkennt der Sozialdemokrat und fügt pathetisch an: "Das ist einer der wichtigsten Reformprozesse in der Bundesrepublik, wichtiger als die Frage, ob wir drei neue Autobahnen bekommen."

Böger ist ein alter Hase, dienstältester Senator in Wowereits Kabinett. 1999 wollte er als Regierender Bürgermeister gegen Eberhard Diepgen kandidieren. Aber die Partei wollte Walter Momper. Jetzt ist Böger 60 und seine Tage in der großen Politik sind gezählt.

Er liest jetzt den anderen Politikern in der Stadt (vor allem in seiner eigenen Partei) und ein bißchen auch sich selbst die Leviten. "Wir haben die Integration vernachlässigt", grämt er.

Als hier 1986 die Fernsehserie "Praxis Bülowbogen" mit Günter Pfitzmann in der Hauptrolle gestartet wurde, da war der "Bülowbogen" noch ein alternatives Szene-Quartier im nördlichen Schöneberg. Inzwischen ist die Gegend, die Senator Böger für seinen Kita-Auftritt gewählt hat, ein Elendsviertel geworden.

Ob die "Kita-Kampagne" heute überhaupt noch erfolgreich verlaufen kann, ist selbst den Initiatoren nicht ganz klar. Erreichen deutsche Werbe-Plakate die Menschen in den abgeschotteten Parallelgesellschaften eigentlich - selbst wenn sie auf türkisch verfaßt sind? Böger tastet vorsichtig in die Presserunde: "Ich hoffe, daß auch die türkischen Medien wie der Sender TD1 hier sind, die von türkischen Berlinern gesehen werden." Kein Pressevertreter meldet sich.


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