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04.03.06 / Ein Übermaß an Verständnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Gedanken zur Zeit:
Ein Übermaß an Verständnis
von Jürgen Liminski

Der Glaube ist die größte Leidenschaft des Menschen", befand der dänische Philosoph Sören Kierkegaard schon vor mehr als 150 Jahren. Wie recht er hatte, zeigen die Tage des Aufruhrs um die Karikaturen. Aber es geht bei den angeblichen Glaubensfragen und religiösen Gefühlen rund um die Karikaturen aus Dänemark mehr um Politik und Massenpsychologie als um Dogmen. Und es geht um die Demokratiefähigkeit sowohl der muslimischen Massen als auch der europäischen Gesellschaften.

Der islamisch-religiöse Aspekt ist schnell abgehandelt. Denn Abbildungen von Mohammed gibt es auch in der islamischen Literatur, insbesondere im Mittelalter. Sie sind selten, aber existent. Die wirkliche Frage dreht sich um die echte und wahrhafte Anerkennung demokratischer Grundrechte, nicht nur der Pressefreiheit, sondern auch der Gleichheit aller Menschen, also auch der Frauen, vor dem Gesetz. Hier gibt es, um es milde auszudrücken, Nachholbedarf für die islamische Welt. "Allahs Frauen" sollen Krieger gebären für den Befreiungskrieg - so steht es zum Beispiel in der Charta der Palästinenserorganisation "Hamas". Nach Brauch und Gesetz (Scharia) hat die Frau dem Mann in allen Belangen untertan zu sein und jederzeit zur Verfügung zu stehen. Die Unterworfenheit zeigt sich schon darin, daß ein Mann bis zu vier Frauen haben darf. Einzige Bedingung: Er muß sie ernähren können. Allein dieses "oberste islamische Gebot der totalen Unterwerfung der Frau unter den Mann", so der Orientalist Hans-Peter Raddatz, Autor von "Allahs Schleier" und "Allahs Frauen", ist mit den einfachsten Grundsätzen heutiger Demokratien nicht kompatibel.

Hinzu kommt, daß eine Entwicklung in Richtung Aufklärung oder eine Öffnung der Gedankenwelt nur schwer möglich ist, weil der Koran als unmittelbar göttliches Wort nicht interpretiert werden darf und so ein totalitäres Denken fördert.

Der Islam regelt das Leben der Muslime in allen Bereichen. Durch diese Einheit von Glaube und Staat - der Fachbegriff lautet din wa daula - ähnelt er mehr einer ganzheitlichen, man könnte auch sagen: totalitären Ideologie als einer Religion. Insofern paßt auf ihn das Diktum von Karl Dietrich Bracher, wonach Demokratie Selbstbeschränkung bedeutet, Ideologie aber Selbsterhöhung. Genau diese Selbsterhöhung hat die freie Welt in der Karikatur-Affäre erlebt, und genau diese Selbstbeschränkung hat sie sich auch im politischen Bereich durch ein Übermaß an Verständnis auch für das aggressive Verhalten vieler Muslime selbst auferlegt. Dabei ist das die Grenzlinie: Die Anwendung von Gewalt. Sie entlarvt die radikalen Muslime als Ideologen. Auch die Instrumentalisierung der religiösen Gefühle demaskiert die Strippenzieher in Teheran ebenso wie die Haßprediger in Indonesien oder auch in Skandinavien als Funktionäre einer Ideologie.

Aber auch das Verhalten der Medienschaffenden in der freien Welt gab und gibt weiterhin zu Fragen Anlaß. Geradezu reflexhaft schrieen viele liberalistische Journalisten auf, so als ob die Presse- und Meinungsfreiheit der Gott der Demokratie wäre, so als ob sie ein Recht ohne Schranken, ohne Pflichten, ohne Verantwortung sei. Schon Alexis de Tocqueville, ein Zeitgenosse Kierkegaards, hatte in seinen Gedanken über das Wesen der amerikanischen Demokratie die Schwächen der Pressefreiheit erkannt. Er schätze diese Freiheit weit mehr für die Übel, die sie verhindere, als für das, was sie tue oder hervorbringe, meinte er. Die moderne Publizistik definiert das als "Kontrollfunktion der vierten Gewalt" und formuliert die Schwäche der Pressefreiheit in der Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleure?

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Denn eine Pflicht- oder Verantwortungsethik wird nur empfinden, wer die Pressefreiheit einem höheren Gut unterzuordnen weiß. Wenn er aber kein höheres Gut als seine persönliche Moral hat oder von einem Bewußtsein der Unfehlbarkeit lebt, das übrigens auch den Kommunisten zu eigen war, weil sie in ihrem Sendungsbewußtsein die Geschichte für ihre Idee gepachtet glaubten, dann haben wir es, wie Hermann Lübbe es nannte, mit einer Art "moralistischer Selbstermächtigung" zu tun. Die eigene Gesinnung wird zur letzten Urteilsinstanz, das angeblich autonome Gewissen verdrängt die Beziehung zu Gott und zur Wahrheit.

Aus dieser Haltung nährt sich die Manipulation vieler Medienleute. Sie glauben, recht zu tun, und glauben doch nur an sich. Sie glauben, richtig zu handeln, und richten doch nur andere hin. Sie glauben zu informieren und treiben doch nur Propaganda in eigener Sache. So ist den Manipulatoren von heute oft ein inquisatorischer Charakter eigen, Toleranz geht ihnen ab. In fatale Weise ähneln sie den Mullahs und Haßpredigern. Ihre Predigten sind nur leiser, subtiler und kommen im Deckmantel der Freiheit daher.

Das höhere Gut muß das Gemeinwohl sein oder, im Fall der Pressefreiheit, die Wahrheit. Insofern müssen sich auch Karikaturisten fragen, ob ihre zugespitzten Zeichnungen der Wahrheit entsprechen oder unzulässig verallgemeinern.

Die Journalisten und Karikaturisten aber, die im Namen der Pressefreiheit einen Freibrief für Verletzungen religiöser Gefühle beanspruchen, sind diejenigen, die wie einst Pilatus fragen: Was ist Wahrheit? Und die Wahrheit gleich suspendieren. Genau hier ist des Pudels Kern. In der Tat, Kardinal Ratzinger, inzwischen Papst Benedikt XVI., nannte "den Verzicht auf die Wahrheit den Kern der heutigen Krise". In den Institutionen und Medien unserer Demokratie wimmelt es von Pilatisten und je mehr die Relativierung aller Werte um sich greift, um so größer wird ihre Heerschar und um so kleiner der Haufen derjenigen, die sich vom Zwielicht der bequemen Halbwahrheiten nicht blenden, sondern den Glanz der Wahrheit durchscheinen lassen wollen. Die Kirche ist in diesem Sinn, wie Ratzinger schreibt, "Treuhänderin der Wahrheit", das Christentum eine vernünftige Religion, ja die "am meisten universale und rationale religiöse Kultur". Die Kirchen erinnern - oder sollten es tun - die Demokratie an ihre Prinzipien, insbesondere an die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Sie seien das Gewissen des demokratischen Staates, der die Wahrheit nicht wie Pilatus einfach suspendieren dürfe.

Der Mensch braucht, erst recht in unserer Informationsgesellschaft, die Wahrheit, jene "Enthüllung der Wirklichkeit" oder "Übereinstimmung des Denkens mit der Wirklichkeit", wie Thomas von Aquin sie bündig beschreibt, um sich orientieren und in der Welt zurechtfinden zu können.

Wahrheit als Richtschnur für die Pressefreiheit. Sie macht frei, wie Paulus sagt, nicht umgekehrt. Freiheit ohne Wahrheit aber ist wie ein Gesicht ohne Augen. Wer kein Gespür für sie hat und nicht versucht, sich an ihr auszurichten, der poltert auch auf religiösen Gefühlen herum wie ein blinder Elefant im Porzellanladen.

Diese Klarstellung sollte dazu dienen, sich intensiver mit den Beschränkungen der Pressefreiheit auseinanderzusetzen, etwa in Deutschland mit dem Blasphemieparagraphen 166 des Strafgesetzbuches. Längst sind die Gerichte dazu übergegangen, diesen Paragraphen fast immer zugunsten einer unbeschränkten Pressefreiheit auszulegen. Sie sehen ihre Aufgabe nicht mehr darin, die Kirchen und konkret die Christen gegen Beleidigungen oder Aktionen zu schützen, sondern geben vor, die geistige Auseinandersetzung fördern zu wollen, indem man gewähren läßt. Hier könnten die Christen und insbesondere die Vertreter der Kirchen von den Protesten der Muslime lernen. Sie müssen Krach schlagen, sie müssen klagen und sich Gehör verschaffen vor den Gerichten. Man wird in unseren säkularisierten Breiten nicht immer den Prozeß gewinnen, aber doch an Selbstachtung und an Selbstbestätigung der Gemeinschaft. Allein dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Dieser Kampf ist notwendig für die Demokratie. Das Gewissen der Demokratie ist schläfrig geworden. Keine Demokratie kommt ohne Abwägungen und Schranken für die Freiheitsrechte aus. Wirklich unantastbar ist nur die Würde des Menschen. Sie aber weist unmittelbar auf den Schöpfer. Deshalb ist die Achtung der religiösen Gefühle auch fundamental. Sie darf weder in das totalitäre Denken der Islamisten umkippen noch in die Gleichgültigkeit der Säkularisten und Laizisten. Diese beiden ideologisierten Geistesrichtungen sind im Karikaturenstreit aufeinandergestoßen. An den Christen liegt es, auf das rechte Maß der Wahrheit und der Menschenwürde hinzuweisen. Denn dieses Maß ist es, das uns die Kultur der Freiheit bewahrt.

Islam: Eher eine totalitäre Ideologie denn eine Religion

Die Wahrheit sollte der Pressefreiheit eine Richtschnur sein


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