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04.03.06 / Der Islam auf dem Vormarsch / Karikaturen-Streit löste blutige Unruhen zwischen nigerianischen Moslems und Christen aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Der Islam auf dem Vormarsch
Karikaturen-Streit löste blutige Unruhen zwischen nigerianischen Moslems und Christen aus
von Dietrich Zeitel

Vor einigen Tagen brachen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, einmal mehr religiös motivierte Unruhen aus, die mittlerweile Dutzende von Toten, meist Christen, gefordert haben. Auslöser waren Übergriffe von Moslems auf Christen im Norden des Landes. Auch hier soll angeblich die Empörung über die "Mohammed-Karikaturen" eine Rolle gespielt haben. In der nigerianischen Stadt Maiduguri wurden Christen attackiert und Kirchen angezündet. Christen übten daraufhin Vergeltung und setzten in Onitsha im Südosten Nigerias Moscheen in Brand. Daraufhin folgten seitens der Moslems weitere Übergriffe gegen Christen.

Seit der Amtseinführung von Nigerias Präsident Obasanjo im Jahre 1999 sind die Zahlen der Opfer religiös motivierter Gewalt deutlich nach oben geschnellt. Offiziellen Angaben zufolge liegt die Zahl der bisherigen Opfer bei über 10000. Schätzungen gehen davon aus, daß die wirklichen Zahlen deutlich höher liegen dürften. Allein bei den Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems in der zentralnigerianischen Stadt Jos soll es nach Regierungsangaben bis zu 500 Tote gegeben haben. Diese blutigen Unruhen fanden, und dies verdient Erwähnung, trotz massiver Militärpräsenz statt. Aufmerksamkeit erregten in Europa vor allem die Unruhen im Zuge der "Miss-World-Wahlen" 2002. Viele Muslime empfanden diesen Schönheitswettbewerb als "gotteslästerlich" und "unmoralisch" und demolierten während der Proteste christliche Kirchen und griffen Christen an.

Ein Grund für die Spannungen in Nigeria ist die Einführung der Scharia, sprich: der islamischen Rechtsprechung, in einer Reihe nigerianischer Bundesstaaten, die alle im Norden des Landes liegen. Diese Maßnahme hat zu einer faktischen Teilung des Landes geführt, will sich doch der christliche Teil der Bevölkerung, der etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmacht, der Scharia nicht unterwerfen. Bis zu 2000 Tote soll es bei den religiösen Auseinandersetzungen infolge der Einführung der islamischen Rechtsprechung gegeben haben. Fanatischen Mullahs reicht dies nicht; sie arbeiten darauf hin, die Scharia überall einzuführen. Die Folge: Dort, wo die Moslems sind, finden sich kaum noch Christen oder Ani-misten, sprich: An-hänger traditioneller afrikanischer Religionen, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung Nigerias ausmachen.

Die systematische christliche Missionierung Nigerias, sieht man einmal von den Aktivitäten einzelner Missionare auf den großen Sklavenumschlagplätzen ab, begann 1847. Allerdings ge-lang es den christlichen Kirchen nicht, einen Alleinvertretungsanspruch in religiösen Fragen durchzusetzen. Für den Großteil der Bevölkerung blieben die afrikanischen Religionen präsent, wenn auch weniger "sichtbar". So entstanden christliche Kirchen, die eigene Wege unabhängig von den etablierten Kirchen suchten und heute selbst missionieren. Da christliche Kirchen von jeher das Bildungswesen in Nigeria getragen haben, ist eine christliche Bildungselite entstanden, die tragende Positionen in der Gesellschaft übernommen hat. Angesichts des zunehmenden islamischen Drucks gibt es heute nach den Ausführungen des Landesinformationsdienstes (LIS) für Nigeria Überlegungen, die Missionstätigkeit zu bündeln.

Die Einführung der Scharia wurde zwar durch die nigerianische Regierung verurteilt, sie unternahm aber bisher keine Schritte, um deren Anwendung zu unterbinden. Diese stillschweigende Hinnahme wird als taktisches Zugeständnis von Präsident Obasanjo bewertet. Würde er nämlich versuchen, die verfassungswidrige Einführung des islamischen Strafrechts zu unterbinden, könnte der Dampfkessel Nigeria zur Explosion kommen. Dieses Szenario hat bereits der 1995 hingerichtete Bürgerrechtler Saro-Wiwa befürchtet, der sagte, Nigeria stünde kurz vor einer "Katastrophe". Was Saro-Wiwa damit gemeint hat, ist deutlicher geworden, nämlich daß die Zeitbombe eines Religionskrieges in Nigeria jederzeit explodieren kann.

Leitbild für viele Muslime in Nigeria, die in ihrer Mehrzahl Sunniten sind, sind die Ideale von Dan Fodio, der als eine Art "Vater des politischen Islams" in Nigeria gilt. Fodio trat als eine Art Wanderprediger Ende des 18. Jahrhunderts auf, als die Volksgruppe der Haussa durch Cliquenwirtschaft und Korruption das Land heruntergewirtschaftet hatte. Fodio, der dem Nomadenvolk der Fulani angehörte, zog mit dem Koran umher und predigte den "Heiligen Krieg" gegen die Unterdrücker. Er hatte nicht nur Erfolg, sondern gründete auch ein Kalifat, das vom heutigen Kamerun bis zum heutigen Burkina Faso reichte. Dieses "Sokoto-Kalifat" hatte die Besonderheit, daß zum ersten Mal in der Geschichte muslimischer Gesellschaften des subsaharischen Afrikas ein Staat entstanden war, der von religiösen Gelehrten geführt wurde. Diese Entwicklung setzte sich in der Kolonialzeit fort, als der Islam zur "Ideologie des Widerstandes" gegen die christlich-europäischen Kolonialherren mutierte. Die dominierende Stellung, die die Muslime bis zum Ende der Kolonialzeit in vielen afrikanischen Territorien innehatten, verlor sich mit der Unabhängigkeit, die zu-nächst durch Säkularisierung und Mo-dernisierungsprozesse bestimmt war. Dies gilt für Nigeria, aber auch für Kenia und Tansania, wo sich Muslime, nicht zuletzt durch willkürliche Grenzziehungen, plötzlich als Minderheit unter Christen wiederfanden.

Der Eindruck, daß derzeit in verschiedenen Staaten der subsaharischen Zone seitens fundamentalistischer Islamisten der Versuch unternommen wird, und hier wäre Nigeria dann nur das exponierteste Beispiel, den alten Einfluß nicht nur zurückzugewinnen, sondern dem Islam in dieser Region insgesamt zum Durchbruch zu verhelfen, dürfte nicht trügen. Dabei kommt den Islamisten der zunehmende Zerfall staatlicher Gewalt in dieser Region entgegen. Die staatlichen Institutionen in Nigeria sind bereits nicht mehr in der Lage, eine gewaltfreie Lösung der Konflikte durchzusetzen. Weiter kommt den Islamisten die bittere Armut in Nigeria entgegen, in dem es zwar eine von ausländischen Konzernen dominierte Ölindustrie gibt, die mehr Gelder denn je in die Staatskassen fließen läßt. Davon sieht die Bevölkerung aber wenig bis nichts.

Welche Konsequenzen der zunehmende Einfluß des Islamismus im Norden Nigerias hat, zeigt unter anderem das Gesundheitswesen. Wegen des aus religiösen Gründen verhängten Impfverbots in den islamisch dominierten Bundesstaaten waren 2004 viele der weltweit registrierten Polio-Fälle in Nigeria anzutreffen. Muslimische Geistliche hatten das Gerücht verbreitet, der Impfstoff mache unfruchtbar. Eine weitere Folge dieses Impfverbots war, daß sich die Krankheit über die Grenzen Nigerias hinweg ausbreitete. Eklatant verschlechtert hat sich nach der Einführung der Scharia auch die ärztliche Versorgung der Frauen. In der Regel kommen in den Scharia-Bundesstaaten auf eine einzige Ärztin drei Millionen Einwohner. Betroffen sind hiervon vor allem die unteren Gesellschaftsschichten.

Daß der Islamismus dennoch immer mehr an Einfluß gewinnen kann, dürfte zu einem Gutteil (gewollter) Unwissenheit geschuldet sein. Muslimische Kinder in Nigeria (und sicherlich auch anderswo) lernen in ihren Schulen nur Arabisch und den Koran. Verständnis für andere Lebensanschauungen wird ihnen nicht vermittelt. Diese Verständnislosigkeit ist Voraussetzung für religiöse Deutungshegemonie, aber auch für den Anspruch auf politische Führung, den die Fundamentalisten in Nigeria und anderswo für sich reklamieren.

Nigeria: Militär versucht, die religiösen Unruhen unter Kontrolle zu bringen. Foto: pa


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