20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.03.06 / Ein Sowjetmarschall gab den Startschuß / Vor 60 Jahren gründete Erich Honecker mit Gleichgesinnten in Berlin (Ost) die Freie Deutsche Jugend (FDJ)

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Ein Sowjetmarschall gab den Startschuß
Vor 60 Jahren gründete Erich Honecker mit Gleichgesinnten in Berlin (Ost) die Freie Deutsche Jugend (FDJ)
von Manfred Müller

Von einer "einheitlichen, antifaschistisch-demokratischen, überparteilichen, unabhängigen und überkonfessionellen Jugendorganisation" fabulierten 1935 in Moskau Exil-Funktionäre der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Eine solche Organisation sollte an die Stelle der Hitler-Jugend treten, die zu diesem Zeitpunkt im Deutschen Reich ihren Monopolanspruch durchsetzte.

Anfang 1946 rückte die Verwirklichung des kommunistischen Plans von 1935 - zumindest für die sowjetische Besatzungszone in Rumpfdeutschland - in greifbare Nähe. Erich Honecker, damals 33 Jahre alt, erfahrener kommunistischer Berufsjugendlicher, von Walter Ulbricht zum Jugendsekretär der KPD bestellt, äußerte sich hierzu vor dem von der sowjetischen Besatzungsmacht installierten sogenannten Zentralen Jugendausschuß in Berlin:

"Ich habe mir schon überlegt, wie diese Organisation heißen soll: ‚Freie Deutsche Jugend'. Dagegen kann doch niemand etwas haben. Frei wollen wir sein, deutsch und jung sind wir auch. Damit unsere Freunde von den Kirchen nicht abgestoßen werden, wollen wir auch keine rote Fahne. Ich denke, daß gegen eine blaue Fahne - blau ist doch die Farbe der evangelischen Kirche - mit aufgehender Sonne niemand etwas haben kann."

Wer etwas Ahnung von kommunistischer Bündnispolitik hatte, mußte bei diesen zynischen Worten merken, daß die hier so betont herausgestellte Überparteilichkeit nur ein vorübergehendes taktisches Manöver war. Am 31. Juli 1945 hatte Sowjetmarschall Shukow die Schaffung von "antifaschistischen Jugendkomitees" befohlen und andere Jugendorganisationen für verboten erklärt. In den Dörfern und Städten der SBZ brachten die Kommunisten die "antifaschistischen Jugendausschüsse" (so nannte man nun die befohlenen "Komitees") unter ihre Kontrolle und gaben Ende Februar 1946 die Anweisung, "eine Massenbewegung zur Forderung der Gründung eines Jugendverbandes einzuleiten". 22000 Telegramme sowie Briefe mit 380000 Unterschriften wurden Marschall Shukow zugeleitet. Gefordert wurde ein Jugendverband nach den kommunistischen Plänen von 1935. Ulbricht mußte kommunistische Betonköpfe, die die Wiedererrichtung des von den Nationalsozialisten zerschlagenen Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands wünschten, von den Sowjets disziplinieren lassen, damit Honekker freie Hand bei der Errichtung des überparteilichen Verbandes hatte.

Am 5. März 1946 befahl Marschall Shukow: "Auf dem Gebiet der von sowjetischen Besatzungskräften befreiten Teile Deutschlands wird der deutschen Jugend die Möglichkeit zu freier, demokratischer Betätigung in einer ihrem Willen entsprechenden Organisation gegeben. Damit kommt die sowjetische Militäradministration den Wünschen und Forderungen der deutschen Jugend entgegen. Die neue Organisation darf keinerlei militärische oder faschistische Tendenzen aufweisen." Zwei Tage später wurde die Freie Deutsche Jugend (FDJ) von Erich Honecker und weiteren Mitgliedern des Zentralen Jugendausschusses in Berlin förmlich gegründet.

Der Name "Freie Deutsche Jugend" war ähnlich dem Emblem keineswegs eine Erfindung Honeckers. Schon im Kriege hatten Exil-Jugendgruppen - die bedeutendste in England - diesen Namen getragen. Wie sehr Honecker die Planungen bis März 1946 vorangetrieben hatte, zeigte sich auch daran, daß der Zentrale Jugendausschuß sich über Nacht in den provisorischen Zentralrat der FDJ verwandelte - mit Honecker als Vorsitzenden.

Die Überparteilichkeit und die anderen schönen Attribute des neuen Jugendverbandes wurden zwar propagandistisch ausgewalzt, aber die Kommunisten hatten die Machtverhältnisse ganz in ihrem Sinne organisiert. Im hundertköpfigen Zentralrat saß eine überwältigende Mehrheit ihrer Genossen und Anhänger, aber die Pfarrer beider Konfessionen, die jungen Christen und die Vertreter der zugelassenen nichtkommunistischen Parteien waren als Minderheit gute Vorzeigefiguren. Die Vertreter der Kirchen ließen sich auf eine Mitarbeit beim Aufbau der FDJ ein, weil sie so hofften, Spielraum für den Aufbau von Strukturen kirchlicher Jugendarbeit zu gewinnen. Manche Nichtkommunisten ließen sich auch unter "antifaschistischen" Vorzeichen von der idealistisch klingenden Propaganda täuschen, bis sie in den nächsten Jahren feststellen mußten, daß sie Zug um Zug in der FDJ ausgeschaltet wurden.

Honecker und seine kommunistischen Jugendfunktionäre nutzten die Stimmung, die damals nach der Geschichtskatastrophe von 1945 in weiten Teilen der deutschen Jugend herrschte. Sie zogen von Versammlung zu Versammlung, sprachen in Sälen und an Lagerfeuern und führten auch viele Einzelgespräche.

Ein typisches Beispiel hierfür bietet der junge Dieter Borkowski (Jahrgang 1928). Der Flakhelfer Borkowski wurde noch im Endkampf um Berlin als Soldat eingesetzt. Was er erlebte, führte dazu, daß ihm alle NS-Ideale und sein bisheriges Weltbild zerbrachen. Zurückgekehrt aus kurzer sowjetischer Kriegsgefangenschaft, schien ihm in der SBZ ein hoffnungsvoller Neuanfang möglich zu sein. Er erinnert sich an eine Begegnung mit Erich Honecker: "... ein freundlicher, noch junger, wenn auch gereifter Mann, der mit schlichter grüner Windjacke angetan, abends mit uns am Lagerfeuer saß und aufmerksam zuhörte, wenn wir Mädchen und Jungen unsere Sorgen besprachen, die Ausweglosigkeit und Verzweiflung über das Chaos des viergeteilten Landes. ‚Sag Erich zu mir', forderte er mich kameradschaftlich auf und sprach mir Mut zu. Sein Bekenntnis galt dem geistigen Vermächtnis junger Widerstandskämpfer gegen die braune Barbarei. Den Einsatz christlicher Studenten wie Hans und Sophie Scholl rühmte er gleichermaßen wie den Opfertod der jungen sozialistischen Arbeiter Katja Niederkirchner und Walter Husemann. Er hatte offenbar zu ihnen gehört, im Nazizuchthaus zehn Jahre verbracht und warb nun intensiv auch um die Jugend, die vom Nationalsozialismus irregeleitet war. Ich hörte auf seine Worte, seine Welt, für die wir uns einsetzten sollten, würde Gerechtigkeit, Toleranz, Frieden und Menschlichkeit verwirklichen." Wie viele andere wurde Borkowski später bitter enttäuscht.

Unterzeichnung der Gründungsurkunde der Freien Deutschen Jugend: Erich Honecker (stehend) mit weiteren Mitgliedern des Zentralen Jugendausschusses Foto: Ullstein


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren