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25.03.06 / Mit dem Thespis-Karren auf Erfolgskurs / Vor 100 Jahren wurde der Intendant und Regisseur Boleslaw Barlog in Breslau geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. März 2006

Mit dem Thespis-Karren auf Erfolgskurs
Vor 100 Jahren wurde der Intendant und Regisseur Boleslaw Barlog in Breslau geboren
von Susanne Deuter

Was für ein Bonbon, die Barlog-Ära! Zu seiner Zeit als Generalintendant schwappten die Wogen der Begeisterung noch über auf andere Städte, waren Gesprächsthema. Nicht zuletzt wegen seiner großartigen Schauspieler. Theaterliebhaber kamen an die Spree, um zu sehen, was gespielt wurde bei Barlog. Genaugenommen waren es zwei-einhalb Häuser, die der Berliner aus Breslau bis 1972 führte: von 1945 an das Schloßpark-Theater, ab 1951 auch das Schiller-Theater, und acht Jahre später kam die Werkstatt hinzu.

Den Grundstock legte Boleslaw Barlog schon als Schuljunge selber: "Nachdem ich die Literatur entdeckt hatte, steckte in meinen ausgebeulten Jackentaschen immer ein Band Dostojewski oder Strindberg, Ibsen oder Hauptmann, Stefan George, Rilke, Arno Holz oder Morgenstern", schreibt er in seiner 1981 erschienenen Autobiographie "Theater lebenslänglich". Darin bleibt auch sein Rausschmiß aus einer Buchhandlung nicht unerwähnt. Der Lehrling Boleslaw war seinem Chef zu lesehungrig: "Ich habe immer im Keller gesessen mit einer elektrischen Lampe und die Dramen gelesen, die da standen." Außerdem ging er viel ins Theater. 75 Pfennige kostete damals ein Stehplatz. Vier Vorstellungen am Tag, begonnen mit der Matinee, waren keine Seltenheit für den interessierten Knaben.

Sein wohl wichtigster Lehrmeister nach Karl-Heinz Martin war Heinz Hilpert, der 1931 Direktor der Volksbühne wurde und seinem Regieassistenten Barlog wegweisend war. Gudrun Genest, Urgestein des Berliner Theaters, kennt Barlog aus diesen Anfangsjahren: "Er war immer kollegial und vor allem voller Humor." 1946 kam sie in sein Ensemble des Schloßpark-Theaters. Für sie ist unvergessen, "wie er sich vor die Kollegen stellte. Da war er wie 'ne Eins."

1933 von den Nazis "ausgebootet", jobbte er unter anderem als Bademeister im Freibad Wannsee. Dann gelang ihm der Einstieg beim Film. Robert Adolf Stemmle war einer seiner Förderer, so daß er mit "Unser kleiner Junge" 1939 sein Debüt als selbständiger Filmregisseur geben konnte. Im selben Jahr hat er seine Frau Herta geheiratet. Zu ihr gehen die Gedanken in diesen Tagen. Über Jahrzehnte hinweg haben beide auch im Theater manches gemeinsam gemeistert.

Kurz nach Kriegsende, im November 1945 hob sich unter Barlogs lntendanz erstmals der Vorhang im Schloßpark-Theater, für "Hokuspokus" von Curt Goetz. "Berühmt wurde unser Anschlag neben der Kasse: Tauschen Eintrittskarten gegen Nägel", schreibt der Prinzipal in seinen Erinnerungen, in denen es von großen Namen nur so wimmelt.

"Barlog hat sich ja dadurch ausgezeichnet, daß er seine Schauspieler geliebt hat", so Lieselotte Rau, eine der Perlen des Ensembles, in dem unter anderen Hildegard Knef, Aribert Wäscher, Ursula Diestel, Erich Schellow, Martin Held, Eva-Katharina Schultz, Rolf Henniger, Horst Bollmann, Heidemarie Theobald, Carl Raddatz und Stefan Wigger zu Hause waren. "Ich habe mich stets umgesehen und versucht, nicht nur gute Schauspieler, sondern auch rechte Menschen zu engagieren", so Barlog. Ohne Frage, er liebte seine Truppe. Für ihn gehörte das Theater nun mal vorrangig den Darstellern - den Bühnenarbeitern und Autoren. Ein Hauptanliegen sei es gewesen, Harmonie zu schaffen - im Ensemble, in der Arbeit und im Ergebnis. Und er hat es fertiggebracht, die ganz Großen in kleinsten Rollen unterzubringen. Das sei Berliner Theater gewesen! "Bis in die winzigste Rolle hinein stand ein erstklassiger Schauspieler. Nirgends hat sich jemand eingeschlichen für 20 Mark pro Abend." Die wesentlichsten Stücke der modernen Dramatiker erlebten ihre Ur- und Erstaufführungen in seinen Häusern. Samuel Beckett ("Warten auf Godot") sei genannt. Oder Edward Albee und eine herausragende Aufführung aus dem Jahr 1963: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" mit Maria Becker und Erich Schellow. Barlog führte Regie, wie bei über 100 anderen lnszenierungen auch. Als Generalintendant a. D. im Unruhestand drückte er Theaterstücken und Opern in München, Wien, Hamburg und natürlich immer wieder in Berlin seinen Stempel auf. Leider war lbsens "Peer Gynt" nie dabei, was er stets sehr bedauerte. Den "Verirrungen" und "schlechten Sitten" mancher Regisseure der neuen Generation trat der Altmeister wortgewaltig entgegen. Er vermißte ein solides Handwerk, die Werktreue. "Intellektuelle Spielereien" auf der Bühne waren ihm verhaßt. Das habe es zwar unter Gustaf Gründgens und Erich Engels auch gegeben, aber da sei es gekonnt gewesen.

Mit Leidenschaft widmete sich Boleslaw Barlog auch der Opernregie, erstmals 1963 mit "La Bohème" an der Deutschen Oper Berlin. Noten lesen konnte er nicht. Er spielte sich die Musik so lange vor, bis er sie auswendig wußte. Ein Werk in seine stärkste Form zu bringen, das hatte er von Wilhelm Furtwängler gelernt - als Zuhörer in der Philharmonie.

Zu seinem 90. Geburtstag im Jahr 1996 wurde Barlog als Dank für 70jährige Verbundenheit zum Ehrenmitglied der Berliner Philharmoniker ernannt. In der Urkunde an den einstigen Orchesterdiener steht: "Furtwängler nannte Sie seinen treuesten und besten Freund." Das sei er wirklich gewesen, versichert Elisabeth Furtwängler, 95 und unterwegs wie ein Wiesel, bei einem Telefonat aus Clarens am Genfer See. "Diese Menschlichkeit zwischen uns war hervorragend." In kritischer Zeit, als Furtwängler (1886-1954) angegriffen wurde, habe er ihn als Zeitzeuge in Schutz genommen. Dankbarkeit auch hier.

Kritiker, die ihm einen antiquierten Spielplan vorwarfen, würden ihre Meinung heute vielleicht überprüfen. Was Barlog geleistet hat, wurde vielen erst später bewußt. Da geht ein wehmütiger Blick zurück auf ein Stück Berliner Theatergeschichte. Ein Blick, der durch die Schließung des Schiller-Theaters 1993 noch an Intensität gewinnt. Die Stadt hätte sich ihrem langjährigen Generalintendanten gegenüber durchaus etwas dankbarer erweisen können. "Ich hab' nie einen Kritikerpreis bekommen in Berlin, nie", so Barlog. "Ich war ihnen nicht modern genug. Als ich weg war, war ich dann eine Legende. Ich brauch' keene Legende. Ich war nur ein ordentlicher, gewissenhafter, fleißiger Theaterdirektor." Die Akademie der Künste in Berlin-Mitte, Pariser Platz 4, erinnert in ihrem Archiv-Schau-Fenster noch bis zum 2. April mit Fotos, Dokumenten und Briefen an einen Prinzipal, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Aber wo ist sie, die Gedenkstunde zum 28. März in seiner Theaterstadt Berlin? Wo ist sie, die Würdigung im Fernsehen oder die nach ihm benannte Straße? All das hätte er verdient. Ich wünsche mir heute einen geradlinigen, umsichtigen Theatervater, wie Barlog es war. Seine Zeit war die richtige, die danach verstand er nicht mehr. Boleslaw Barlog starb am 17. März 1999. Als er auf dem Waldfriedhof Zehlendorf beerdigt wurde, war sie da, seine noch verbliebene "Familie" von den Staatlichen Schauspielbühnen Berlins. Mich nannte er gern scherzhaft seine "Deuterin", und ich erinnere mich an die Besuche in seinem Haus in Steglitz und im Feriendomizil auf Sylt, an ihn als launigen Gastgeber und Anekdotenerzähler. Wie schön, Gespräche mit ihm auf Band und noch all seine Karten zu haben, die der fleißige Briefmarkensammler mit seinen berühmten "toi, toi, tois" in die Welt hinaus schickte. Dankbarkeit auch hier.


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