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25.03.06 / Frankreich tritt an Rußlands Stelle / Vor 150 Jahren fand der Krimkrieg mit der Unterzeichnung des Pariser Friedens sein Ende

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. März 2006

Frankreich tritt an Rußlands Stelle
Vor 150 Jahren fand der Krimkrieg mit der Unterzeichnung des Pariser Friedens sein Ende
von Manuel Ruoff

Nach dem Ende der napoleonischen Kriege und der napoleonischen Ordnung wurde Europa vor allem auf dem Wiener Kongreß von 1814/15 neu geordnet. Verteidiger der Wiener Ordnung halten dieser zugute, daß sie mit ihrem sogenannten Konzert der Mächte rund hundert Jahre bis zum Ersten Weltkrieg und der anschließenden Neuordnung Europas durch Versailles und die anderen Pariser Vorortverträge gehalten habe. Kritiker hingegen verweisen darauf, daß sich bereits vier Jahrzehnte nach dem Wiener Kongreß die Mehrheit der Großmächte wieder in einem Krieg gegenüberstand - dem sogenannten Krimkrieg.

Nach der Niederringung Napoleons wurde Frankreich durch Rußland als mächtigste Macht auf dem Kontinent abgelöst. Von Moskau war die Zurückdrängung der napoleonischen Truppen ausgegangen. Am Ende der napoleonischen Kriege standen russische Truppen nicht nur in Mittel-, sondern auch in Westeuropa. Aus dem Wiener Kongreß ging die östliche Flügelmacht als Besitzer "Kongreßpolens" heraus und war damit längerfristig in die Mitte Europas vorgedrungen. Das Zarenreich versuchte, diese Macht zu einer weiteren Ausdehnung seines Einflusses in Europa zu nutzen. Als Opfer schien sich das Osmanische Reich anzubieten, der nicht ohne Grund so genannte "kranke Mann am Bosporus".

Ein eisfreier Hafen mit unbeschränktem Zugang zu den Weltmeeren ist traditionell ein Anliegen Rußlands. Das Schwarze Meer hatten die Russen bereits erreicht, aber die Verbindung zwischen diesem und dem Mittelmeer, die türkischen Meerengen, befanden sich (noch) in den Händen der Osmanen. Dieses wünschte der Zar zu ändern. Am 2. Juli 1853 überschritten russische Truppen den Grenzfluß Pruth und marschierten in die zum osmanischen Imperium gehörenden Donaufürstentümer ein.

Nikolaus I. erlebte nun eine ähnliche Überraschung seitens der Angelsachsen wie knapp eineinhalb Jahrhunderte später Saddam Hussein. Wie der Iraker vor dem Einmarsch in Kuwait bei der US-Botschafterin April Glaspie, hatte der Russe vor dem Einmarsch ins osmanische Imperium beim britischen Außenminister George H. Aberdeen und beim englischen Gesandten George Hamilton Seymour vorgefühlt, und wie dem Präsidenten war auch dem Zaren Wohlwollen signalisiert worden. Wie im irakischen folgte auch im russischen Falle der Invasion eine bittere Desillusionierung. Großbritannien reagierte nämlich keineswegs wohlwollend. Das lag grundsätzlich an der britischen Strategie des divide et impera (teile und herrsche). Entsprechend dieser Strategie versuchte Großbritannien, die europäischen Großmächte im Gleichgewicht zu halten, so daß keine stark genug wurde, Britanniens Herrschaft auf den Weltmeeren in Frage zu stellen. Diese Gleichgewichtspolitik ließ die Inselmacht mehr oder weniger automatisch Machterweiterungen der mächtigsten Kontinentalmacht kritisch gegenüberstehen, und das war zu dieser Zeit nun einmal Rußland.

Ein spezielles Interesse Großbritanniens an der "Integrität und Unabhängigkeit" des Osmanischen Reiches kam in diesem Fall hinzu. Bereits 1833 war diese "Integrität und Unabhängigkeit" im Unterhaus vom damaligen Außenminister und späteren Premierminister des Inselreichs, Henry John Temple Palmerston, als unabdingbar für "die Ruhe, die Freiheit und das Gleichgewicht im übrigen Europa" bezeichnet worden. Die Hauptverbindungslinie zwischen Großbritannien und der Kronkolonie Indien verlief über die Landenge von Suez, und ein Großteil der Getreideimporte erfolgte aus den Donaufürstentümern über die Donau. Verständlicherweise wußten die Briten diese Gebiete lieber in der Hand der schwachen Osmanen als der starken Russen. Zudem war das Osmanische Reich ein ausgesprochen wichtiger Abnehmer britischer Waren. Der britische Botschafter in Konstantinopel Stratford Canning brachte es auf den Punkt: "Eine Auflösung der Türkei wäre das Signal für den Ruin des englischen Handels." Inwieweit sich dieser britische Botschafter in Konstantinopel als Kriegstreiber betätigt hat, ist in der Geschichtsschreibung umstritten, jedenfalls erklärte das Osmanische Reich Rußland am 4. Oktober 1853 den Krieg.

Entgegen den Hoffnungen des Zaren ergriff Großbritannien von Anfang an Partei. Die englische Mittelmeerflotte wurde Richtung Dardanellen in Marsch gesetzt. Genug Gründe waren bereits vorhanden, nun fehlte den Briten nur noch ein Anlaß zum offiziellen Kriegseintritt. Als ein solcher diente ein Greuelmärchen. Am 30. November 1853 hatten die Russen mit großem Erfolg die osmanische Schwarzmeerflotte im Hafen von Sinope angegriffen. Daraus wurde in Großbritannien nun das "Massaker von Sinope". Am 27. März 1854 erklärte Großbritannien Rußland den Krieg.

Einen Tag später folgte Frankreich. Für Napoleon III. waren Streit und Zwietracht zwischen den Bezwingern seines Onkels Napoleon I. eine willkommene Chance, die von der Anti-Napoleon-Koalition geprägte Wiener Nachkriegsordnung zu revidieren. Zweierlei sprach für eine Parteinahme gegen Rußland und damit für Großbritannien. Ähnlich wie bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen im allgemeinen und den USA im besonderen auf der einen Seite und der muslimischen Welt auf der anderen, gab es auch im Krimkrieg neben geostrategischen und ökonomischen eine religiöse Komponente. Der Zar begründete und rechtfertigte sein offensives, um nicht zu sagen aggressives, Auftreten gegenüber dem Osmanischen Reich mit der Notwendigkeit, die Rechte seiner Glaubensbrüder in diesem muslimischen Staat verteidigen zu müssen. Als orthodoxer Christ machte er sich dabei primär für die Interessen der orthodoxen Minderheit stark - und das nicht nur zu Lasten der muslimischen Mehrheit, sondern auch der katholischen Minderheit. Der Kaiser der Franzosen setzte in seinem Kampf um Mehrheiten im eigenen Volk allerdings in starkem Maße auf den katholischen Bevölkerungsanteil in seinem Land und versuchte deshalb in dieser Orientkrise, sich als Verteidiger der Katholiken gegen die Orthodoxen zu profilieren. Hinzu kam, daß der erzkonservative, legitimistisch gesinnte Zar den aus der 48er Revolution hervorgegangenen Franzosenkaiser nicht als ebenbürtig anerkannte, was darin zum Ausdruck kam, daß er ihn statt wie andere gekrönte Häupter mit "Mon frére" (mein Bruder) nur mit "Cher ami" (lieber Freund) anredete.

Die Fronten waren also soweit klar. Den beiden Westmächten auf der einen Seite stand die große Macht des Ostens auf der anderen gegenüber. Als Problem bei der Kriegsführung erwies sich nun, daß die Kriegsgegner keine gemeinsame Grenze besaßen, an der die gegnerischen Armeen hätten aufeinanderprallen können. Hier kommt nun Deutschland ins Spiel. Aus Sicht des Westens war die deutsch-russische Grenze an der Weichsel optimal als Hauptkampflinie geeignet. So versuchten die beiden Großmächte also, die deutschen Großmächte in den Krieg zu ziehen, wobei Frankreich mit einer Involvierung des östlichen Nachbarn in die Auseinandersetzung die Hoffnung verband, in einem großen Krieg quasi nebenbei auch noch Deutschlands Grenzen zur Disposition stellen zu können.

Bei Österreich waren die Westmächte erfolgreicher als bei Preußen. Der Kaiserstaat grenzte an die Donaufürstentümer, und verständlicherweise hatte der Kaiser dort lieber die schwachen Osmanen als die starken Russen zum Nachbarn. Um bei einem Krieg gegen die Russen den Rücken freizuhaben, wünschten die Österreicher jedoch die Rückendeckung des Deutschen Bundes in Form eines gemeinsamen Kriegseintritts. Dieses wußte Preußen unter dem Einfluß Otto von Bismarcks zu verhindern. Im Gegensatz zur süddeutschen war der norddeutschen Großmacht der Balkan nämlich ziemlich egal. Zudem war die Waffenbrüderschaft mit den Russen in den Befreiungskriegen und die gemeinsame Befreiung Deutschlands von der Franzosenherrschaft für die Preußen ein viel prägenderes Erlebnis. Die süddeutsche Großmacht hatte ungleich weniger als die norddeutschen unter der Franzosenherrschaft zu leiden gehabt, weshalb sie ja auch erst relativ spät und leidenschaftslos von der französischen auf die russische Seite gewechselt hatte.

Ohne Preußen hatte Österreich jedoch Hemmungen, sich gegen Rußland zu stellen. Vor einem Kriegseintritt wollte es deshalb versuchen, in seiner Hauptstadt eine friedliche Lösung zu finden. Da die Österreicher erst nach dem Scheitern dieses Versuches in den Krieg eintreten wollten, blieb den Westeuropäern nichts anderes übrig, als der Einladung nach Wien Folge zu leisten. Wie von ihnen gewünscht, endete die Friedenskonferenz ergebnislos.

Bevor es jedoch zu einem aktiven Eingreifen der Donaumonarchie in den Krieg kommen konnte, geschah zweierlei. In Rußland kam es zu einem Thronwechsel. Am 2. März 1855 starb Zar Nikolaus I. und Alexander II. trat seine Nachfolge an. Und am 8. September 1855 erstürmten die Westmächte die russische Festung Sewastopol. Da die Preußen durch ihre Neutralität verhindert hatten, daß die Weichsel Front wurde, hatte sich die Krim zum entscheidenden Kriegsschauplatz entwickelt. Nachdem den Westmächten hier ein letztlich kriegsentscheidender Sieg gelungen war, streckte der neue Zar Friedensfühler aus. Da Napoleon III. inzwischen aufgrund der internationalen Konstellation die Hoffnung aufgegeben hatte, durch eine Ausweitung des Krimkrieges die polnische Frage auf Kosten Rußlands (und Deutschlands) neu aufrollen zu können, versuchte er nun, als Friedensmittler den größtmöglichen Prestigegewinn zu erzielen. In seiner Hauptstadt kam es zu einer Friedenskonferenz, die im Gegensatz zu der vorausgegangenen in Wien nicht scheiterte, da diesmal sowohl er als auch der Zar sich von der Fortsetzung des Krieges keinen Gewinn versprachen. Am 30. März 1856 erfolgte mit der Unterzeichnung des Friedens von Paris die Beendigung des Krimkrieges.

Rußlands Niederlage manifestiert sich vor allem in der Pontusklausel. Das Schwarze Meer wird neutralisiert und demilitarisiert. Das Zaren- darf wie das Osmanische Reich an seiner Schwarzmeerküste keine Kriegshäfen unterhalten und keine Kriegsschiffe stationieren. Es hat also keine Möglichkeit, vom Schwarzen Meer aus mit Seestreitkräften in das Mittelmeer vorzustoßen; und im Kriegsfall steht seine Schwarzmeerküste ohne maritime Verteidigung einem Angriff von aus dem Mittelmeer kommenden gegnerischen Marineeinheiten gegenüber. Auch ist ihm unmöglich, die Getreidelieferungen der Donaufürstentümer nach Großbritannien im Schwarzen Meer zu unterbrechen.

Ganz im Interesse der Briten an einer ungehinderten Getreideversorgung aus den Donaufürstentümern war auch die von den Russen erzwungene Anerkennung der Freiheit der Donauschiffahrt sowie Rußlands Aufgabe des Protektorats über die Donaufürstentümer. An seine Stelle trat die Gesamtheit der europäischen Großmächte unter Einschluß Rußlands wie Großbritanniens.

Des weiteren mußte Rußland seinen Anspruch aufgeben, Schutzmacht der unter osmanischer Herrschaft lebenden Christen zu sein. Auch diese Rolle wurde nun den europäischen Mächten in ihrer Gesamtheit übertragen.

Schließlich mußte das Zarenreich auch noch auf britischen Wunsch hin der Entfestigung seiner in der Ostsee gelegenen Åland-Inseln zustimmen, die eine britisch-französische Flotte im Laufe des Krimkrieges erobert hatte und welche die Briten wie die Schweden als potentielle Gefahr für ihren Handel in der Region betrachteten.

Die Folgen des Krimkrieges und des Pariser Friedens sind vielfältig. Kontinentaleuropa bekommt eine neue Hegemonialmacht. Rußland verliert als Kriegsverlierer seine vorherrschende Stellung auf dem Kontinent. An seine Stelle tritt nun wieder Frankreich als die den Friedenskongreß ausrichtende Großmacht.

Rußlands Verhältnis zu Österreich ist nachhaltig gestört. Die Russen fühlen sich um die Dankbarkeit betrogen, welche die Österreicher ihnen ihres Erachtens dafür schulden, daß sie 1849 den ungarischen Aufstand im Gefolge der 48er Revolution niederschlugen. Kurzfristig profitiert Preußen von dieser Trübung des russisch-österreichischen Verhältnisses, da es so die Rückendek-

kung Rußlands bei der Lösung der deutschen Frage auf Kosten Österreichs erhält. Es kommt zwischen beiden Großmächten zu einer großen Symbiose. Rußland übt wohlwollende Neutralität, als Preußen Deutschlands Einigung unter seiner Führung durchsetzt. Und Preußen übt wohlwollende Neutralität, als Rußland die Aufhebung der zum Pariser Frieden gehörenden Pontusklausel durchsetzt. Ohne russische beziehungsweise preußische Unterstützung jedoch sind die Westmächte weder in der Lage das eine noch das andere zu verhindern.

Langfristig schadet der im Krimkrieg zutage getretene russisch-österreichische Interessengegensatz auf dem Balkan Preußen, denn als Verbündeter des Habsburgerreiches wird der Hohenzollernstaat zum Gegner Rußlands im Ersten Weltkrieg, der sowohl die deutsche als auch die russische Nation ins Unglück stürzt und Frankreich wieder zur ersten Macht auf dem europäischen Kontinent macht.

Unterzeichnung des Pariser Friedens: Die Königin von Großbritannien, der König von Sardinien, der Kaiser der Franzosen, der Sultan des Osmanischen Reiches, der Kaiser von Rußland, der König von Preußen und der Kaiser von Österreich (von links nach rechts) Foto: bpk


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