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01.04.06 / Hintergründig / Politkrimi um wahre Geiselnahme

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. April 2006

Hintergründig
Politkrimi um wahre Geiselnahme

Jean Baptist Warnke ist Angestellter der niederländischen Botschaft in Lima. In dieser Position ist es selbstverständlich, daß er Privates und Geschäftliches voneinander zu trennen vermag.

Als "Geschäftsmann" trinkt er tagtäglich mit dem Botschafter ein Glas Riesling und kauft ihm von Zeit zu Zeit ein paar Vitaminpräparate ab, die dieser in seiner Bekanntschaft unter der Hand vertreibt.

Als "Privatmann" ist Warnke nicht nur verständnisvoller Ehemann einer Frau, die nachts in ihren Armen ein altes zerzaustes Stofftier ihrem Mann vorzieht, sondern auch liebevoller Vater zweier Töchter.

Sein Leben läuft in geregelten Bahnen, und sogar Warnke selbst würde sich als einen äußerst glück-lichen Mann bezeichnet haben, ... bis er eines Tages in einem Café auf der Suche nach seiner Lieblingszeitung, der "Newsweek", auf Malena, eine hübsche aber arme peruanische Studentin, trifft.

"Um Viertel vor vier begibt er sich ins El Corner, wo das Mädchen im rosa Pulli auf ihn wartet; sie winkt schon mit der ,Newsweek' ... Er setzt sich neben sie, und sie lesen. Er in der ,Newsweek', sie in einem Buch. Als er den Kaffee ausgetrunken hat ... und dem Mädchen die Zeitung zurück, gibt, schließlich soll sie Englisch lernen, fragt sie: ,Was arbeiten sie eigentlich?'... ,Ich tue nichts', sagt er und lächelt nervös."

Auf diese Weise, indem er Malena zunächst weder Dinge aus seinem Berufsleben noch seinem Privatleben erzählt, gelingt es ihm am Anfang noch, die Gefühle, die zwischen den beiden entstehen, als unverbindlich abzutun. Doch dies wird Warnke aufgrund von Malenas offenherziger, nicht gerade zurückhaltender Art nicht lange möglich sein.

"Malenas Hand wandert höher. Er lächelt sie an. Ihre Hand liegt auf seinem Oberschenkel. Er sieht Verlangen in ihren Augen, nichts zu machen, er sieht es. Für sie ist Warnke natürlich etwas Besonderes, mehr als der soundsovielte Diplomat ..."

Hals über Kopf verliebt sich Warnke in dieses junge hübsche Ding, deren Zukunftschancen in ihrem Land gleich null sind.

Ungeachtet der Tatsache, daß sein schlechtes Gewissen ihn daheim zerfrißt, trifft er sich täglich mit Malena zu einem kleinen Schäferstündchen. Sein bisheriges "ach so perfektes" Leben reduziert sich in Kürze zu einem großen Irrtum, und sogar seine Töchter erscheinen ihm in dieser Situation nicht mehr als Trost.

Doch eines Tages erscheint Malena nicht wie gewohnt im El Corner, und Warnke befürchtet das Schlimmste ...

"Gnadenfrist" ist ein humorvoller und zugleich tragischer Roman, der die Romanze zwischen einem realistischen Diplomaten und einem gutgläubigen peruanischen Mädchen erzählt. Das Besondere an diesem Roman ist jedoch, daß der Autor Arnon Grünberg nicht einfach irgendeine Liebesgeschichte zu Papier gebracht hat: Das Buch hat mit der Geiselnahme in der japanischen Botschaft in Lima einen realen Hintergrund. Im Dezember 1996 kam es bei einem Empfang in der Residenz zur Geiselnahme von rund 340 Diplomaten, die 126 Tage dauern sollte. Eine Geisel erlitt damals einen Herzinfarkt, zwei Soldaten starben und 14 der marxistischen Rebellen wurden getötet. In "Gnadenfrist" steht die Frage im Mittelpunkt, warum die Vertreter der niederländischen Botschaft nicht am Empfang teilnahmen.

Ein sehr empfehlenswertes Buch, welches der Leser (gefühlsmäßig) am besten in einem Rutsch durchlesen sollte, was bei 153 Seiten nicht allzu schwierig sein dürfte. A. Ney

Arnon Grünberg: "Gnadenfrist", Diogenes, Zürich 2006, broschiert, 153 Seiten, 17,90 Euro


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