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15.04.06 / Vom Eise befreit ... / Österliche Betrachtungen, frei nach Johann Wolfgang von Goethe

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. April 2006

Vom Eise befreit ...
Österliche Betrachtungen, frei nach Johann Wolfgang von Goethe

Wie hätte der Dichterfürst seinen "Osterspaziergang" wohl beschrieben, würde "Faust, der Tragödie erster Teil" heute spielen? Vieles in Goethes Zeilen voller geflügelter Worte ist von ewiger Gültigkeit, heute noch genauso aktuell wie damals, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bei manch anderem passen die inhaltlichen Bezüge nicht mehr, zumindest aber die zeitlichen Zuordnungen scheinen durcheinandergeraten.

Ostern 2006 - daß Ströme und Bäche vom Eise und das Land weitestgehend vom Schnee befreit sind, liegt daran, daß in diesem Jahr das Fest auf einen sehr späten Termin fällt; vor einem Jahr hätte Goethe diese Passage umschreiben müssen. So aber paßt alles, auch der Hinweis, daß der Winter sich immer noch mal in Erinnerung bringt.

Völlig daneben hingegen liegt der Dichter mit seinem "Fluß in Breit und Länge", der eben keine "lustigen Nachen bewegt", sondern ganze Landschaften, Städte und Dörfer überflutet, Menschen, die sich gerade erst von den Folgen der letzten Flut erholt haben, erneut in bittere Not stürzt. Das hätte Goethe sich nicht träumen lassen, daß der so "fortschrittliche" Mensch so dumm sein kann, sich sein Land, seine Flußläufe, seinen ganzen Lebensraum so zu verbauen, daß schließlich die "Jahrhundertkatastrophen" sich in immer kürzeren Abständen wiederholen. Denn dies sind keine Naturkatastrophen, sondern die Reaktion der Schöpfung Gottes auf die Sünden, die der Mensch ihr antut.

Nicht ahnen konnte Goethe auch, daß die Menschen, wenn sie aus dem Dunkel und der Kälte des Winters "auferstanden" sind, nicht mehr in buntem Gewimmel vor die Tore in Gärten und Felder drängen; die einen drängt es zu den großen Flughäfen und von dort weiter nach Mallorca, Miami oder auf die Malediven; die anderen drängt es auf die Autobahnen, wo nicht einmal die unersättlich geldgierigen Ölmultis, die pünktlich zu jedem Ferientermin an der Spritpreisschraube drehen, immer neue "Jahrhundertstaus" verhindern können - ein ganzes Volk auf der Flucht in die südliche Sonne, und auch auf der Flucht vor sich selbst? "Jeder sonnt sich heute so gern" - selbst diesen heute noch gültigen Satz dürfte der Dichter nicht so gemeint haben wie heute die Werbemanager der Touristikkonzerne. Und Hautkrebs wegen übertriebener Sonnenbraterei an den Teutonengrills südlicher Gefilde war damals auch noch kein Thema.

Ein anderes, damals großes Thema aber ist heute in den Hintergrund getreten. Für Goethe war es noch ganz selbstverständlich, daß die Menschen zu Ostern "die Auferstehung des Herrn feiern". Sie wußten, was sie feierten, und sie wußten auch noch, warum sie es feierten. Die in den Evangelien des Neuen Testaments beschriebene Aufsertstehung Jesu als symbolischer, stellvertretender Akt der Erlösung des Menschen von seiner Sündigkeit, aus der er sich selber nicht befreien kann - das war allen bewußt. Alles andere, der Abschied vom Winter, der Blick - oder auch der erste Schritt - in die Zukunft, für die der Frühling steht, ergibt sich logisch aus diesem religiösen Bewußtsein. Heute zählt für die meisten nur noch, welche Reiseziele zu Ostern noch nicht ausgebucht sind, wie das Wetter wo sein wird und ob es (als "Überraschungsei") den neuen Fernseher zum Osterfest oder erst zur WM gibt. So weit ist die geistige Verarmung seit Goethes Zeiten vorangeschritten.

Selbst die Schlußverse des "Osterspaziergangs" (den wir oben aus Platzgründen nur leicht gekürzt wiedergeben können) spenden heute kaum noch Trost. Wo kann, wo darf der Mensch noch Mensch sein? Bestimmt nicht in unseren modernen Kinderzimmern, in denen unsere vereinsamten Kinder vor ihren Computern sitzen und vermutlich bei Google ganz andere Suchbegriffe eingeben als "Goethe, Faust, Osterspaziergang". H.J.M.

 

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

Im Tale grünet Hoffnungsglück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,

Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dort her sendet er, fliehend, nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

In Streifen über die grünende Flur ...

Aus dem hohlen finstern Tor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden:

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluß in Breit und Länge

So manchen lustigen Nachen bewegt ...

Zufrieden jauchzet groß und klein,

Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Schloß Glienicke im Frühling: Prinz Carl von Preußen ließ es 1823 erbauen.

Foto: ddp


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