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22.04.06 / "Der Triumph des Scheiterns" / Vor 90 Jahren brachte der Osteraufstand in Irland die Wende

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. April 2006

"Der Triumph des Scheiterns"
Vor 90 Jahren brachte der Osteraufstand in Irland die Wende
von Manuel Ruoff

Wir kennen aus der Gegenwart islamische Selbstmordanschläge im Nahen und Mittleren Osten; und wir kennen aus der Geschichte japanische Kamikazeangriffe im Fernen Osten. Gerne wird im "Kampf der Kulturen" die Meinung verbreitet, der qualitative Unterschied zwischen den Kulturen ließe sich auch daran festmachen, daß eine derartige Selbstaufopferung im Kampf gegen einen militärisch überlegenen Gegner dem Westen fremd sei. Davor seien Christentum und Aufklärung. Der vor 90 Jahren erfolgte irische Osteraufstand ist ein Gegenbeispiel. Daß dieser von der nationalistischen Irish Republican Brotherhood (Irischen Republikanischen Bruderschaft) mit Unterstützung der ebenfalls patriotisch gesinnten sozialistischen Irish Citizen Army (Irischen Bürgerarmee) durchgeführte Aufstand Ostern stattfand, war kein Zufall. Das Sühneopfer Jesu Christi für die Menschheit stand Pate. "In der irischen Geschichte", schrieb der Führer des Aufstandes, Patrick Pearse, "gab es kein fürchterlicheres Ereignis als das Versagen der vorigen Generation." Er selber und seine Mitkämpfer waren überzeugt, daß nur ein Blutopfer diese historische Schuld tilgen könne. James Connolly von der Bürgerarmee formulierte es wie folgt: "Ohne eine Spur von Blasphemie, vielmehr mit der geschuldeten Demut und Ehrfurcht, erkennen wir, daß man von uns, wie von der Menschheit vor dem Kreuzopfer, wahrlich sagen kann: ,ohne Vergießung des Blutes gibt es keine Erlösung'." Analog zur Auferstehung Jesu Christ nach dem Tod am Kreuz hofften die stark katholisch geprägten Aufständischen, daß nach ihrem Tod im Aufstand aus ihren Gräbern die irische Nation auferstehen würde. Denn daß der Osteraufstand zum Scheitern verurteilt war und den eigenen Tod bedeutete, war der Aufstandsführung vorher klar. "Der Tag wird kommen, an dem ich erschossen werde und meine Kameraden mit mir", hatte Pearse schon vor dem Osteraufstand seiner Mutter geweissagt, und auf deren Frage nach ihrem anderen Sohn William soll er geantwortet haben: "Willie? Erschossen, wie die anderen. Wir werden alle erschossen." Bereits im August 1915 hatte er in seiner Grabrede für einen im US-amerikanischen Exil gestorbenen irischen Freiheitshelden den Sinn dieses Opfertodes deutlich gemacht: "Aus dem Tod sprießt das Leben, und aus den Gräbern patriotischer Männer und Frauen sprießen lebende Nationen."

Prophetisch meinte einer der Führer des Osteraufstandes: "Wir werden Dublin eine Woche halten, aber wir werden Irland retten." In der Tat konnten die knapp 2000 Aufständischen das von ihnen am Ostermontag des Jahres 1916 besetzte Stadtzentrum Dublins mit der Hauptpost als Hauptquartier eine Woche halten. Die Briten unterschätzten den vermeintlichen Dolchstoß in den Rücken nicht und scheuten weder Personal noch Material, dem Aufstand ein Ende zu bereiten. Stellenweise war das Verhältnis der Engländer zu den Iren 20 zu eins. Rabiat nutzten die Angelsachsen ihre artilleristische Überlegenheit. Die von den Iren besetzten Häuser wurden weniger zurückerobert, denn platt gemacht. 150 große Häuser fielen dieser Kriegsführung der Briten zum Opfer. Die Engländer verhielten sich wie in Feindesland. Dazu gehörte auch, daß auf Zivilisten keine Rücksicht genommen wurde und Iren in Zivilkleidung im Zweifelsfall wie Aufständische behandelt wurden. (Man fühlt sich an den berüchtigten US-amerikanischen Body Count im Vietnamkrieg erinnert, wo die von den GIs getöteten Vietnamesen in Zivilkleidung im Zweifelsfall als gefallene "Vietcong" gezählt wurden.) Hierzu paßt, daß die zwischen 450 und 500 Toten, welche der Osteraufstand und seine Niederschlagung kosteten, größtenteils Zivilisten waren. Tausende von Menschen wurden in ihren Häusern verletzt oder verstümmelt.

Anfänglich ernteten die Aufständischen für ihr Himmelfahrtskommando bei der Mehrheit jener, für die sich aufzuopfern entschlossen hatten, nämlich ihren irischen Landsleuten, vornehmlich Hohn und Spott. Das änderte sich, als die Briten sich so verhielten, wie es dem von den irischen Nationalisten gezeichneten antibritischen Klischee entsprach. Wenn die Briten im Rahmen der Niederschlagung des Aufstandes mit ihren Gegnern kurzen Prozeß gemacht hätten, wäre das kein Problem gewesen, doch daß die Engländer, nachdem die Gefährdung ihrer Herrschaft über Irland bereits beseitigt war, noch blutige Rache an den Unterlegenen nahmen, stieß unangenehm auf. 3500 Menschen wurden von den Engländern verhaftet, von denen über die Hälfte ohne Verfahren in englischen Gefängnissen verschwand. 170 Menschen wurden von Kriegsgerichten verurteilt, davon 90 zum Tode. 15 Urteile wurden sukzessive zwischen dem 3. und 12. Mai vollstreckt. Zu den Opfern gehörten, wie von Patrick Pearse geweissagt, auch er und sein Bruder William. Einer der Delinquenten, der Führer der Bürgerarmee James Conolly, mußte sogar wegen seiner während des Aufstandes zugezogenen schweren Verwundungen auf einem Stuhl beziehungsweise einer Trage vor das Erschießungskommando getragen werden.

Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten die Briten die Quittung. Als nach Kriegsende die ersten freien Wahlen im Vereinigten Königreich abgehalten wurden, deklassierte die nationalistische Sinn Féin (Wir selbst) die bisherige Meinungsführerin, die englandfreundliche Home-Rule-Partei. Der Wahlsieger Sinn Féin bestätigte 1919 die 1916 von den Aufständischen auf den Stufen des Hauptpostamtes proklamierte Unabhängigkeitserklärung, und nach einem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg gegen die Engländer erhielt Irland 1921 als Freistaat die Unabhängigkeit.

Insofern paßt der Titel, den Ruth Dudley Edwards für sein Buch über das Leben des Führers des Osteraufstandes Patrick Pearse wählte: "The Triumph of Failure" (Der Triumph des Scheiterns).


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