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06.05.06 / Warum wir "vergreisen", aber nicht "verkalken" / Deutschland muß die Calciumlücke schließen - Bericht vom Osteoporose-Kongreß in Wien

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. Mai 2006

Warum wir "vergreisen", aber nicht "verkalken"
Deutschland muß die Calciumlücke schließen - Bericht vom Osteoporose-Kongreß in Wien
von Hans-Jürgen Mahlitz

Ein Mädchen, das heute in Deutschland geboren wird, hat - statistisch gesehen - gute Chancen, das 90. Lebensjahr zu erreichen. Ein Drittel dieser Gruppe, vielleicht mehr, wird es selber berufstätig sein; die übrige Zeit wird es zumindest teilweise auf die Solidarität der Eltern- und der Kindergeneration angewiesen sein. Und selbst wenn es gelingen sollte, die bedrohlichen Seiten der demographischen Entwicklung (quasi Umkehrung der sogenannten Alterspyramide als Resultat von niedrigen Geburtenzahlen und steigender Lebenserwartung) soweit in den Griff zu bekommen, daß auch im hohen Alter ein Leben unter menschenwürdigen sozialen und materiellen Bedingungen möglich ist - ob es wirklich ein so großes Glück ist, nicht nur alt zu werden, sondern alt zu sein, hängt vor allem von der Gesundheit ab.

Mit einer "typischen Alterskrankheit" befaßten sich kürzlich Experten aus aller Welt auf einem internationalen Kongreß in Wien: Osteoporose. Die dramatische Zunahme dieser Knochenerkrankung hängt auch mit der Veränderung der Altersstruktur unserer Gesellschaft zusammen. Salopp formuliert: Deutschland vergreist, ohne allerdings zu "verkalken". Im Gegenteil: Chronischer Mangel an Calcium (phosphorsaurer Kalk/ Hydroxylapatit) ist die Ursache dieser sich immer weiter verbreitenden Erkrankung des Knochenstoffwechsels.

Das Knochengerüst des menschlichen Körpers ist - entgegen landläufiger Meinung - durchaus lebendes Gewebe. Es zeichnet sich durch eine geradezu geniale Architektur aus, bedarf aber stetiger "Renovierung". In einem Pressegespräch am Rande des Wiener Ärzte-Kongresses verdeutlichte Prof. Dr. Johann Diederich Ringe (Leverkusen) die Problematik, indem er die Kno- chenstatik mit mittelalterlichen Kathedralen verglich: Stabilität und Belastbarkeit hängen nicht allein von der Menge des Baumaterials (also des Calciums) ab, sondern vor allem davon, wie die Bausteine zusammengefügt, gepflegt und bei Bedarf ausgetauscht werden. Schließlich habe man ja - so Prof. Ringe - bei gotischen Kathedralen weniger Baumaterial verarbeitet als bei romanischen Basiliken, ohne daß dies sich nachteilig auf die Statik auswirkte.

Ähnlich wie solche historischen Bauwerke ist aber auch unser Knochengerüst eine lebenslange "Dauerbaustelle". Hochspezialisierte Zellen, sogenannte Osteoklasten, demontieren alte, "baufällige" Knochensubstanz, ihre Partner, die Osteoblasten, bauen an dieser Stelle neues Knochengewebe auf. Bei gesunden Menschen bleibt dies im Gleichgewicht.

Eine Osteoporose (wörtlich übersetzt: poröser Knochen) liegt vor, wenn dieses Gleichgewicht gestört ist. Es wird mehr Knochensubstanz ab- als aufgebaut, die Architektur stimmt nicht mehr, der Knochen verliert an Stabilität und bricht schon bei geringsten Belastungen.

Die wichtigsten Ursachen: hormonelle Veränderungen bei Frauen (Wechseljahre), Stoffwechselstörungen (z. B. Diabetes), Medi- kamente (Kortison), falsche Ernährung (Calciummangel), aber auch erbliche Veranlagung.

In Deutschland wird die Zahl der von Osteoporose akut bedrohten Frauen auf fünf Millionen geschätzt, insgesamt handelt es sich um zwischen sieben und acht Millionen Kranke, mehr als ein Viertel aller Deutschen in der Altersgruppe über 50. Prof. Dr. Dieter Felsenberg (Berlin) wies in Wien darauf hin, daß es bei zwei Millionen dieser Patienten bereits zu einem osteoporosebedingten Knochenbruch gekommen ist. Etwa 150000 Menschen erleiden jährlich einen Oberschenkelhalsbruch, mit fatalen Folgen gerade für betagte Patienten. Auch wenn "man üblicherweise nicht an Osteoporose stirbt", so führt diese Krankheit doch indirekt zu einer deutlich erhöhten Sterblichkeit. Und sie verursacht Folgekosten in Milliardenhöhe; inoffiziell wurde eine Größenordnung von fünfeinhalb Milliarden Euro pro Jahr genannt. Zudem sind die Zukunftsprognosen düster: Die Experten rechnen mit einer weiteren dramatischen Ausbreitung dieser Volkskrankheit.

Was kann man dagegen tun? Aufklärung, Früherkennung und Weiterentwicklung erfolgversprechender Therapiekonzepte - diesem Dreiklang sehen sich die beiden internationalen Pharma- Riesen Sanofi-Aventis und Procter & Gamble Pharmaceuticals verpflichtet. Sie arbeiten in der "Alliance for Better Bone Health" (Allianz für bessere Knochengesund- heit) zusammen und fördern weltweit Aktivitäten von Ärzten und Patienten. Zugleich repräsentieren die von ihnen entwickelten Osteoporosemedikamente den aktuellen Stand der internationalen Forschung auf diesem Gebiet.

Die Mediziner, die uns in Wien über diesen aktuellen Stand informierten, bevorzugen übereinstimmend eine Kombi-Therapie. Sogenannte Bisphosphonate (z. B. Risedronat) sollen den gefräßigen knochenabbauenden Osteoklasten den Appetit verderben, während Calciumtabletten den knochenaufbauenden Osteoblasten genügend Baumaterial zuführen. So will man die Calciumlücke schließen.

Diese Lücke hat bedrohliche Dimensionen: Frauen nach den Wechseljahren brauchen täglich zwischen 1300 und 1500 Milligramm Calcium, nehmen aber nach Erhebungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung durchschnittlich nur 800 bis 900 Milligramm über die Nahrung auf - eine Lücke von 500 bis 700 Milligramm pro Tag!

Hier zeigt sich auch ein erhebliches Aufklärungsdefizit. Anfang dieses Jahres ergab eine Emnid-Untersuchung, daß zwar 73 Prozent der Gesamtbevölkerung und sogar 87 der bereits Erkrankten über die Bedeutung einer regelmäßigen Calciumeinnahme informiert waren. Großenteil aber wurde die Menge des mit der Nahrung zugeführten Calciums deutlich überschätzt. 41 Prozent in beiden Gruppen glaubten, ein Glas Milch am Tag reiche bereits, um die Calciumlücke zu schließen - ein gefährlicher Irrtum. Nicht nur damit, sondern auch mit einem anderen weitverbreiteten Irrglauben räumte die Fachärztin Dr. Ortrun Gröschel (Coburg) im Rahmen der Wiener Veranstaltung auf. Vielfach wird (auch von Ärzten) angenommen, es reiche, die Calciumkonzentration im Blut zu messen, um eine drohende Osteoporose zu erkennen. Inzwischen weiß man aber: Ein hochsensibles Regulationssystem im Körper sorgt dafür, daß im Blut immer genügend Calcium zirkuliert. Dieser Universalbaustoff ist nämlich nicht nur für den Knochenaufbau wichtig, sondern auch für zahlreiche andere Körperfunktionen, zum Beispiel für die Übertragung von Impulsen in den Nervenzellen. Normalerweise holt der Körper sich das im Blut benötigte Calcium aus der Nahrung. Kommt da aber nicht genügend Nachschub, greift er auf das "Reservoir" in den Knochen zurück.

Bei der Kombination von knochenabbauenden und -aufbauenden Präparaten ist zu beachten, daß Calcium dem Bisphosphonat die Wirkung nimmt. Viele - vor allem betagte - Patienten sind mit der komplizierten Einnahme überfordert. Daher wurde nun eine Wochenpackung entwickelt: Am ersten Tag gibt es 35 mg Risedronat, dann für sechs Tage je 500 mg Calcium. Erste Untersuchungen bestätigten, daß die Patienten damit wesentlich besser zurechtkommen, die Fehlerquote sank deutlich.

Die inzwischen vorliegenden klinischen Studien attestieren der Kombitherapie spektakuläre Erfolgsquoten. So sank das Risiko von Wirbelkörperfrakturen im Vergleich zu Patientinnen, die nur mit Calcium behandelt wurden, innerhalb eines Jahres um 69 Prozent. Bei einer anderen Patientengruppe (70- bis 79jährige) ging das Risiko von Hüftfrakturen in drei Jahren um 60 Prozent zurück. Gerade solche Brüche aber sind mit über 10000 Euro pro Fall besonders kostenintensiv. In diesem Zusammenhang fand Prof. Felsenberg Worte, die für die Gesundheitspolitik insgesamt Gültigkeit haben sollten: Man müsse, so forderte er, nicht an, sondern mit Medikamenten sparen.

Die Calciumlücke: Täglich bis zu 700 Milligramm

Vom aufrechten Gang zum Rollstuhl: Der typische Verlauf einer Osteoporose Foto: The Alliance for Better Bone Health


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