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13.05.06 / Der klagende Dritte / Abmahnung und Antidiskriminierung - Deutschland auf dem Weg zum Willkürstaat

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. Mai 2006

Der klagende Dritte
Abmahnung und Antidiskriminierung - Deutschland auf dem Weg zum Willkürstaat
von Sverre Gutschmidt

Das deutsche Abmahnwesen ist seinem Umfang und seinen Mißbrauchsmöglichkeiten nach einmalig in der Welt. Nun bekommen Institutionen, die sich auf die Rechtevertretung für andere spezialisiert haben, dank der neuen europaweit einmalig scharfen deutschen Antidiskriminierungsgesetzgebung neue Einnahmequellen.

In Deutschland ermöglichen Teledienstgesetz, Rechtsberatungsgesetz, Preisangabenverordnung, Informationspflichtenverordnung und nicht zuletzt das Markengesetz Prozesse aus scheinbar nichtigen und oft schwer nachvollziehbaren Gründen. Kaum ein Bürger kennt die Gesetze, geschweige denn die Praktiken der Abmahn-Anwälte. Dabei sind die klassischen Abmahnvereine heutzutage kaum mehr aktiv. Zu umständlich und arbeitsintensiv ist das Sichten von Zeitungen und anderen Publikationen geworden. Fanden sich darin nicht korrekte Bezeichnungen wie Maßeinheiten, wurde früher gern geklagt. Und das von eigentlich völlig Unbeteiligten. Die Motive: Geld von Ahnungslosen kassieren oder gewerbliche Konkurrenten ausschalten. Das Internet bietet dafür heute noch viel weiter reichende Möglichkeiten. Gewünschte Suchbegriffe, sprich gesetzlich "unzulässige" Formulierungen, werden in eine Suchmaschine eingegeben und schon stehen Dutzende wenn nicht Hunderte Beklagbarer zur Auswahl.

Die rechtliche Grauzone der Zuständigkeit von Vereinen, also dritten, in der Regel nicht geschädigten Rechtspersonen, ist der entscheidende Schwachpunkt. Er macht das Abmahnen und Verklagen als Abzockform attraktiv. Lange Verfahrenswege und die Drohkulisse, die der Mahner rechtlich aufbauen kann, führen oft selbst in unzulässigen Anschuldigungsfällen zum Vergleich. Das bedeutet ungerechtfertigte Einnahmen für den Kläger.

Das neue Antidiskriminierungsgesetz sieht ebenso Schadenersatz wegen mehr oder minder subjektiv Empfundenem vor. Ebenso sind die vom Abmahnwesen bekannten Unterlassungserklärungen und die damit verbundenen Drohmöglichkeiten vorhanden. Die politische Brisanz des Gesetzes der großen Koalition liegt darin, daß es diese Funktion Dritter, völlig Unbeteiligter, ausdrücklich vorsieht. Es reiht sich ein in die Riege der beschriebenen undurchsichtigen Gesetze.

Ein Verbandsklagerecht für Betriebsräte und Gewerkschaften ist beispielsweise festgeschrieben. Das neue Gesetz geht über die in der Rechtspraxis zweifelhaften Abmahnmöglichkeiten anderer Verordnungen und Gesetze noch hinaus. Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter müssen im speziellen Antidiskriminierungsbereich nicht einmal mehr theoretisch nachweisen, daß der konkrete Klage-Fall sie irgendwie betrifft. Sie sind als generelle Interessenvertreter ausdrücklich im neuen SPD-CDU/CSU-Kompromiß vorgesehen. Da sie gerade für "eingeschüchterte" Arbeitnehmer stellvertretend klagen sollen, besteht in der Praxis zukünftig Gefahr, daß eine Klage auch ohne Einverständnis des eigentlich Betroffenen eingereicht werden könnte. Schließlich muß ja alles zu dessen "Schutz" anonym eingeleitet werden. Die sonst Mahn-Geschädigten empfohlene Prüfung, ob der Abmahner überhaupt zu seinem Tun berechtigt ist, entfällt damit. Ein völlig neues Feld für Klagen ist eröffnet - auch gegen gänzlich Unbeteiligte. Kann ein Arbeitgeber beispielsweise nicht nachweisen, daß er alles getan hat, Diskriminierungen am Arbeitsplatz zu vermeiden, kann er verklagt werden - selbst wenn er in einen angeblichen Diskriminierungs-Streit zweier seiner Arbeitnehmer gar nicht verwickelt war.

Einstweilige Verfügungen, Unterlassungserklärungen, Klagen sind die Instrumente der professionellen Abmahner und Ankläger. Allein im Mietwesen ergeben sich für eine Großstadt jährlich Tausende möglicher Klagefälle dank "Antidiskriminierung". Inserate, ein traditionelles Betätigungsfeld für Abmahnvereine, interessieren durchaus auch die neuen im Antidiskriminierungsgesetz vorgesehenen Interessenvertreter. Weist eine Stellenanzeige einer Firma inhaltliche oder auch nur durch Rechtschreibfehler entstandene "Verstöße" auf, die als diskriminierend interpretiert werden könnten, sind vor einer kostspieligen Klage für den Abmahnanwalt künftig kaum Hindernisse zu nehmen. Eine regelrechte Beweislastumkehr droht in der Praxis - noch muß der sich ausgegrenzt Fühlende Tatsachen vorlegen, die den Tatbestand beweisen. De facto dürfte ihm das in vielen Bereichen leichter fallen, als es dem Beklagten möglich ist, seine Unschuld zu beweisen, fürchten Juristen.

Nur durch kostenintensive Mitarbeiterfortbildung und zusätzliche Dokumentation werden Unternehmen, die finanziell sicher stärker als der Privatmann attackiert werden, einige Fallstricke der Abstrafung wegen "Diskriminierung" umgehen. Eine Hürde für Beschäftigung ist die Neuregelung allemal, denn jede Ausschreibung wird zum Vabanque-Spiel. Eine völlige Vernebelung der Geschäftssprache bis zur Unverständlichkeit könnte eine weitere Folge sein. Wie können zum Beispiel geforderte "gute Deutschkenntnisse" noch vor den Sittenwächtern der Antidiskriminierung bestehen? Wie kann eine Wohnungsgesellschaft einer Ghettoisierung entgegenwirken? - Ausnahmen, besonders durchschaubare, sind bis auf eine Sonderklausel für Kirchen als Arbeitgeber mit berechtigten Sonderinteressen nicht vorgesehen und somit nicht einklagbar. Die Rechtssicherheit wird aufgeweicht.

Gegner dieses Gesetzes laufen daher Sturm. Es ist nicht verwunderlich, daß es CDU-Chefin Angela Merkel schwerfällt, "ihre eigenen Leute im Zaume halten" zu können - so die Forderung der SPD. Sie setzt mit der "Antidiskriminierung" ein rot-grünes Lieblingsprojekt mit CDU-Hilfe um. Letzte Hoffnungen liegen nun auf verspäteten gesetzlichen Zusatzregeln. Ob sie jedoch je durchgesetzt werden, ist ungewiß.

Mag schon die Grundannahme, Toleranz und Offenheit per "Gleichbehandlungsgesetz" zu erzwingen, befremden, so ist die dadurch ausgelöste bürokratische Realität noch absurder. Freiheitsrechte, vor allem die Vertragsfreiheit als eines der ältesten Rechtsgüter, drohen auf der Strecke zu bleiben.

Nicht umsonst geht selbst der neue Beschluß weit über die Regelungen der EU hinaus, die für das Gesetz Pate standen. Ein ganz neues Feld der "Mitbestimmung" soll nach Willen der Befürworter eröffnet werden. Über die EU-Richtlinie hinausgeschossen ist konkret die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung oder Weltanschauung - zwei äußerst weit auslegbare, kaum objektivierbare Begriffe. Auch die anderen gesetzlich festgeschriebenen Kriterien Religion, Behinderung oder Alter eröffnen Mißbrauchsmöglichkeiten weit über EU-Maß.

"Sicherlich geht die Welt nicht unter, wenn man das Gesetz in dieser Form beschließt", wiegelt Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt ab. - Die Freiheit, besonders die vor ungerechtfertigten Klagen, allerdings schon. Hier gibt es keinen lachenden, sondern nur einen klagenden Dritten.

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