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27.05.06 / Opfer der Zeiten / Renate Welsh über eine vereinsamte Trümmerfrau

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. Mai 2006

Opfer der Zeiten
Renate Welsh über eine vereinsamte Trümmerfrau

Der Phantasie freien Lauf lassen: Das hat die österreichische Autorin Renate Welsh gemacht, als sie die wenigen Informationen, die sie über ihre Kinderfrau Rosa hatte, zu einem ganzen Roman ausbaute. Auch wenn er nur wenig mit der wirklichen Rosa zu tun hat, so ist "Die schöne Aussicht" doch ein unterhaltsamer und auch nachdenklich stimmender Roman geworden.

Rosa ist alles andere als ein Wunschkind, als sie in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Wien geboren wird. Ihre älteste Schwester Anna hat selbst schon ein Kind, und auch die anderen Schwestern Hilde und Marianne sind um einiges älter. Rosa ist also ein Unfall, der allenfalls dazu gut ist, im Wirtshaus der Eltern einfache Arbeiten zu verrichten. Damit noch ein bißchen Geld reinkommt, wird Rosa nach Abschluß der Volksschule zu der Weißnäherin Michalek in die Lehre gegeben, die allerdings schnell dagegen vorgeht, daß das Mädchen seinen gesamten Lohn bei den Eltern abgeben muß. Neben Frau Michalek tritt mit dem Tischlerlehrling Josef das Glück in Rosas Leben.

Es ist herzerwärmend, wie die Autorin das Aufblühen Rosas schildert, die sich vom verängstigten stillen Mäuschen zu einer jungen Frau wandelt. Doch dann kommt Josef ums Leben, die Michalek muß aufgrund ihrer jüdischen Abstammung Wien verlassen, und alles ist wieder beim Alten. Erst der Witwer Ferdinand bringt wieder Freude in Rosas Leben, doch auch das ist nur von kurzer Dauer. Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg nehmen Rosa alles, und sie, die sich geöffnet hatte und auf der Suche nach Glück das Risiko eingegangen ist verletzt zu werden, erlebt heftige Rückschläge, von denen die Trümmerfrau sich nie erholt. Selbst Jahrzehnte nach dem Krieg sind bei Rosa, nun inzwischen eine alte Frau, die Wunden von einst nicht verheilt. Vor allem aus Einsamkeit nimmt sie nach ihrer Pensionierung als Schaffnerin eine Anstellung als Haushälterin im Hause der Autorin an, die erst nach dem Tod der dominanten Angestellten rausbekommt, daß Rosa sie in einem wichtigen Punkt belogen hat. R. B.

Renate Welsh: "Die schöne Aussicht", dtv premium, München 2005, kartoniert, 236 Seiten, 14 Euro, Best.-Nr.: 5529


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