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03.06.06 / "Vorwärts in eine helle Zukunft!" / Vor 60 Jahren hätte das I. Parlament der Freien Deutschen Jugend in Brandenburg fast in einem Eklat geendet

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Juni 2006

"Vorwärts in eine helle Zukunft!"
Vor 60 Jahren hätte das I. Parlament der Freien Deutschen Jugend in Brandenburg fast in einem Eklat geendet
von Manfred Müller

Wir sind die Träger des neuen Deutschland" - dieses Transparent prangte an der Stirnwand der Stadthalle von Brandenburg an der Havel, wo am Pfingstsamstag (8. Juni) des Jahres 1946 das I. Parlament der Freien Deutschen Jugend (FDJ) eröffnet wurde. 650 Delegierte (und 150 Gastdelegierte) vertraten - drei Monate nach der Gründung - 240000 sowjetzonale Mitglieder und etwa 20000 aus den Westzonen. Der Tagungsort Brandenburg entsprach ganz den Wünschen Erich Honeckers, des Vorsitzenden des provisorischen Zentralrats der FDJ. Hier hatte er während des Dritten Reiches als kommunistischer Funktionär einige Jahre im Zuchthaus gesessen, in dieser noch kriegszerstörten Stadt wollte er nun ein Meisterstück kommunistischer Täuschung vorführen. Kongreßmotto: "Vorwärts in eine helle Zukunft!"

Die Delegierten, überwiegend sorgfältig ausgesuchte Jungkommunisten, sollten an den Pfingsttagen über die Zielvorstellungen und die Struktur der als überparteilich ausgegebenen Jugendorganisation (für 14- bis 25jährige männliche und weibliche Jugendliche) beraten und abstimmen. Allzu demokratisch war es bei der Zusammenstellung der Delegierten nicht zugegangen. Der spätere Kommunismus-Experte Hermann Weber (Mannheim) erinnerte sich nach Jahrzehnten: "Ich war in der Programmkommission unter Honecker. Doch ich hätte gar kein Delegierter sein können. Es gab in Mannheim überhaupt keine FDJ, niemand hat mich entsandt. Man hatte mich von hier, von dieser Bogensee-Schule, wo ich einige Wochen war, dahin geschickt ... Da merkte ich, irgend etwas mit dem Demokratieverständnis stimmt da von Anfang an nicht."

Am Pfingstsonntag läuteten um 7.30 Uhr die Glocken der evangelischen St.-Gotthard-Kirche und der Kapelle des katholischen Marien-Krankenhauses zum Gottesdienst für die christlichen Kongreßteilnehmer. Die christlichen Delegierten beteten hier um die Gnadengaben des Heiligen Geistes für die deutsche Jugend, damit sie eine bessere Zukunft für das daniederliegende Vaterland gestalten könne. Bei den Beratungen kam es dann fast zum Eklat, zum Auszug der christlichen Delegierten. Durch Zufall hörte ein katholischer Delegierter ein Gespräch zwischen zwei ranghohen Kommunisten mit. Robert Bialek, FDJ-Landesleiter Sachsen, sagte zu dem etwas begriffsstutzigen Hans Gerarts, Landesleiter Sachsen-Anhalt: "Wir werden den Kirchen täglich zehn Nackenschläge geben, bis sie am Boden liegen, und wenn wir sie wieder brauchen, streicheln wir sie ein wenig, bis die Wunden geheilt sind. Dann schicken sie wieder ein Rundschreiben heraus, welches uns Mitglieder einbringt, und dann schlagen wir ihnen wieder in den Nacken, bis sie am Boden liegen ... Wir müssen die Kirchen erst an uns ziehen, um so leichter können wir ihnen dann den Schnorchel umdrehen." Erich Honecker, Hermann Axen und andere prominente Kommunisten hatten große Mühe, die Erschütterung des Vertrauens durch Bagatellisierung, Beschwichtigung und biedermännische Bekundungen zu beheben. Die sowjetischen Kontrolloffiziere taten mit unverhüllten Drohungen ein übriges, den Fortgang des Kongresses im gewünschten Sinne sicherzustellen.

Was das Parlament verabschiedete, klang so, daß auch Nichtkommunisten zustimmen konnten. So hieß es etwa in den "Grundsätzen und Zielen der Freien Deutschen Jugend": "Wir wollen: Die Erhaltung der Einheit Deutschlands, die Gewinnung der deutschen Jugend für die großen Ziele der Freiheit, des Humanismus einer kämpferischen Demokratie, des Völkerfriedens und der Völkerfreundschaft ... Deutscher Junge, deutsches Mädel, wenn Du in Deinem Herzen den Drang fühlst, an der Gestaltung einer frohen, freien, glücklichen und friedlichen Zukunft unseres Volkes mitzuwirken, reihe Dich ein in den großen ewigen Freundschaftsbund der Freien Deutschen Jugend!" Auch die auf dem Kongreß proklamierten "Grundrechte der jungen Generation" konnten ein einigendes Band in einem weltanschaulich und politisch pluralistischen Jugendverband sein: Recht auf politische Mitwirkung, Recht auf Arbeit und Erholung, Recht auf Bildung, Recht auf Freude und Frohsinn. In der praktischen Arbeit der FDJ wurde in den Aufbaujahren das "frohe Jugendleben" nicht nur proklamiert, sondern auch praktiziert, in dem man auf die vielfältigen Möglichkeiten zurückgriff, die in der deutschen Jugendbewegung entwickelt worden waren (Wandern, Singen, Musizieren, Spiel und Sport, lebendig gestaltete Heimabende und so weiter).

Damit aber alles nach den Vorstellungen der SED ablief, waren die Machtverhältnisse in den FDJ-Gremien, die der Kongreß wählte, klar geregelt. So setzte sich der Zentralrat der FDJ aus 47 Mitgliedern der SED, acht CDU-Mitgliedern, drei Liberaldemokraten, zwei Vertretern der Kirchen und zwei Parteilosen zusammen. Honecker: "Wir haben den Beweis erbracht, daß eine überparteiliche, demokratische Organisation möglich ist, ... daß an einer solchen überparteilichen und demokratischen Organisation alle positiven Kräfte mitarbeiten können ... Daher haben wir im Interesse der weiteren Entwicklung auch die Verpflichtung, den überparteilichen Charakter unserer Organisation wie unseren eigenen Augapfel zu hüten."

Eine Pfingsthoffnung für Deutschland? In den nächsten Jahren wurde die scheinbar pluralistische Orientierung der FDJ durch eine immer stärkere weltanschaulich-politische Ausrichtung im Sinne der SED ersetzt. So wurde die FDJ im Kalten Krieg Zug um Zug zu einer Kampfreserve der SED.


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