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17.06.06 / Am Nasenring vorgeführt / Der Deutschland prägende "Historikerstreit" von 1986 war nur eine Stellvertreterdebatte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juni 2006

Am Nasenring vorgeführt
Der Deutschland prägende "Historikerstreit" von 1986 war nur eine Stellvertreterdebatte
von Hans Heckel

Das neuerwachte Interesse an der Nation, am Patriotismus in Deutschland stößt auf keinen nennenswerten Widerstand mehr. Das - und nicht die uralte Frage: was ist deutsch? - kennzeichnet das eigentlich Neue an der Debatte unserer Tage, die sich an einem Buch des "Spiegel"-Journalisten Matthias Matussek entzündet hat. Vor kaum fünf oder gar zehn Jahren wäre Matussek von den einflußreichen Stichwortgebern der öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik zerrissen worden. "Deutsches Selbstbewußtsein" oder gar "Nationalstolz" galten bis kurzem als verpestete Vokabeln. Als der damalige Bundespräsident Roman Herzog kurz nach seinem Amtsantritt 1994 auch nur ein "unverkrampftes Verhältnis" der Deutschen zu sich selbst anregte, sah er sich einer vergifteten Kampagne ausgesetzt. Heute ginge seine Äußerung als Selbstverständlichkeit im Chor ähnlich lautender Stellungnahmen von beinahe allen Seiten völlig unter.

Die Atmosphäre der 90er Jahre war geprägt von den Ergebnissen eines Machtkampfs, der in diesen Tagen vor genau 20 Jahren entflammt war, dem sogenannten "Historikerstreit". Dem Protagonisten des Streits, der sich ab 1986 bis in die Folgejahre fortsetzte, dem linken Philosophen Jürgen Habermas, ging es dabei nur vordergründig um die korrekte Beurteilung und Einordnung der NS-Verbrechen (siehe Beitrag unten). Seine vernichtenden Angriffe auf den Historiker Ernst Nolte zielten hingegen auf ganz etwas anderes: Es ging um Macht, um geistige Vorherrschaft und Deutungshoheit.

Der "Historikerstreit" war eine klassische "Stellvertreterdebatte". Von einer Stellvertreterdebatte ist die Rede, wenn sich zwei Parteien nur vordergründig über ein bestimmtes Thema streiten, obwohl ihr Disput in Wahrheit um ganz etwas anderes kreist. Die "Fliege an der Wand" ist das populärste Beispiel einer solchen Art von Auseinandersetzung. Scheinbar wird sich um das Insekt gezankt, doch tatsächlich geht es um weit tieferliegende Dinge - nicht selten um einen handfesten Machtkampf: Man will recht bekommen, um der Überlegene zu bleiben.

1986 war die Erosion des sozialistischen Ostblocks nicht mehr zu übersehen, Marx hatte als Zukunftsvisionär ausgedient. Linke wie Habermas suchten händeringend um eine neue Klammer, welche der Linken Identität und ideologische Vorherrschaft sichern sollte. Sie fanden den "antifaschistischen Konsens".

Seit Beginn des Kalten Krieges hatte der "antitotalitäre Konsens" die Demokraten vereint: Kampf sowohl der braunen als auch der roten totalitären Bedrohung. Der "Antifaschismus" blendet die linke Bedrohung hingegen bewußt aus, versucht statt dessen, auch die demokratische Rechte mit "Faschismus"-Verdacht zu belegen und so ihrer Existenzberechtigung zu berauben und zu dämonisieren.

In dieser Strategie sah Habermas die Chance für die Linke, auch über den Bankrott des Sowjetsystems hinaus die öffentliche Debatte moralisch und ideologisch zu dominieren. Noltes Analyse jedoch, daß das Sowjetsystem den Hitleristen als historische Vorlage ihrer Vernichtungspolitik gedient habe, durchkreuzte die Pläne eines Habermas und seiner Gesinnungsgenossen in der denkbar gründlichsten Weise.

Der linke Philosoph wurde von fachkundigen Teilnehmern des "Historikerstreits" zwar widerlegt, doch das brauchte ihn wenig zu kümmern, ging es ihm doch, wie dargelegt, um etwas ganz anderes als die geschichtliche Wahrheit. Wenn heute eine Forstsetzungsformation der SED von Demokraten selbstverständlich als Regierungspartner auf Länderebene akzeptiert wird, während "rechtes Gedankengut" pauschal als verwerflich inkriminiert werden kann, so darf Habermas stolz zurückblicken auf sein Werk. In antitotalitären Demokratien sind links, rechts und Mitte die selbstverständliche "gesäßgeographische" Zuordnung der drei großen Richtungen, die gleichermaßen berechtigt das politische Leben mitbestimmen. Abgelehnt werden allein antidemokratische Auswüchse, die als "Extremisten" ausgegrenzt bleiben, wobei sich (wie in den Anfangsjahren der Bundesrepublik selbstverständlich) linke Demokraten von linken Extremisten ebenso strikt abgrenzen wie rechte Demokraten von rechten Extremisten. Damit hatten Habermas und die Seinen schlußgemacht.

In der jüngsten Zeit indes zerbröselt das von Habermas seit den 60er Jahren voran- und ab 1986 zum scheinbar endgültigen Sieg getriebene System. Die von ihm und den Seinen aufgestellten Barrieren von Denk- und Sprachverboten werden rissig. Kommunistische Verbrechen und deutsche Opfer traten in den vergangenen Jahren ins öffentliche Bewußtsein, deutsche Selbstverleugnung nehmen die Zeitgenossen nicht mehr als Ausdruck überlegener Moral hin, sondern betrachten sie als geistigen Defekt. Die moralische Vernichtung eines Wissenschaftlers wie Nolte wäre heute nicht mehr vorstellbar. Die Deutschen würden sich kaum noch von einer solchen Hetzjagd mitreißen oder einschüchtern lassen.

Dies liegt einerseits an der leider stark vorangeschrittenen "Boulevardisierung" der öffentlichen Diskussion. Der Diskurs erschöpft sich allzu häufig darin, daß griffige Schlagwörter gefunden und dann ein paar Wochen lang wiederholt werden. Kontroverse Auseinandersetzungen um komplexe Themen, die wie der "Historikerstreit" oder 15 Jahre zuvor der Kampf um die "neue Ostpolitik", die Notstandsgesetze in den 60er oder die Wiederbewaffnung in den 50er über Jahre die geistigen Köpfe der Republik und weite Teile des Volkes bewegten, sind kaum mehr denkbar wegen der Kurzatmigkeit, die heute Einzug gehalten hat.

Andererseits sind die Deutschen robuster, selbstbewußter geworden und lassen sich von Ideologen wie Habermas nicht mehr in der vor 20 Jahren erlebten Weise am Nasenring führen, was die Möglichkeit, Andersdenkende öffentlich zu zertreten, beträchtlich einschränkt.

"Nationalstolz" galt als verpestete Vokabel

Die geschichtliche Wahrheit war nicht von Interesse

Hitler und Stalin als Schlangen, die ihre Beute verschlingen: Schon 1939 entdeckte man in London Gemeinsamkeiten bei Faschisten und Stalinisten. Foto: Ullstein

 

Zeitzeugen

Martin Walser kritisierte anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche die "Instrumentalisierung des Holocaust" in einer Deutlichkeit wie kaum ein anderer: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung." Walser wurde daraufhin vorgeworfeb, er ebne den Weg für eine Bagatellisierung oder gar Leugnung der NS-Verbrechen und rechte Revisionisten, die dieses Thema würden abblocken wollen, würden sich auf ihn berufen.

Alfred Dregger erklärte am 10. September 1986 im Deutschern Bundestag: "Besorgt machen uns Geschichtslosigkeit und Rücksichtslosigkeit der eigenen Nation gegenüber: Ohne einen elementaren Patriotismus, der anderen Völkern selbstverständlich ist, wird unser Volk nicht überleben können. Wer die sogenannte ‚Vergangenheitsbewältigung', die gewiß notwendig war, mißbraucht, um unser Volk zukunftsunfähig zu machen, muß auf unseren Widerspruch stoßen."

Philipp Jenninger kostete eine als politisch inkorrekt behandelte Rede das zweithöchste Amt der Bundesrepublik Deutschland. Aus Anlaß des 50. Jahrestages der Reichskristallnacht veranstaltete am 10. November 1988 der Deutsche Bundestag unter ihm als Präsidenten eine Gedenkstunde. Einen Tag später mußte Jenninger seinen Rücktritt einreichen, da er in seiner Ansprache Hitler ein "Faszinosum" genannt hatte. Linke Parlamentarier hatten den Plenarsaal verlassen und die Zeitgeistpresse stürzte sich auf Jenninger. Exakt ein Jahr später hielt der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, die Rede Jenningers mit minimalen Änderungen noch einmal. Bubis erhielt im Gegensatz zu Jenninger die wohlwollende Zustimmung seines Auditoriums.

Martin Hohmann kostete eine als politisch inkorrekt klassifizierte Rede sein CDU-Bundestagsmandat. Man könnte "mit einer gewissen Berechtigung" nach der "Täterschaft der Juden" fragen und sie "mit einiger Berechtigung als Tätervolk" bezeichnen. Diese von Martin Hohmann aufgestellte - und von ihm wenige Sätze später selbst widerlegte These war sein politischer Genickbruch. Den Satz "Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk" hat keinen mehr interessiert. Auch sein christliches Fazit, "die Gottlosen ... waren das Tätervolk" mochte niemand mehr wahrnehmen.

 

Der Angegriffene

Ernst Nolte, Jahrgang 1923, lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 Neuere Geschichte. Bei den Linken machte er sich vor allem dadurch Feinde, daß er Nationalsozialismus und Bolschewismus miteinander verglich und dabei Gemeinsamkeiten wie Zusammenhänge aufzeigte. Von links bekämpft wurde auch seine These des "Europäischen Bürgerkriegs" (1917-1945), welche die Katastrophe statt in Deutschland in Rußland beginnen läßt. Nolte ließ sich durch den Historikerstreit nicht vom Thema Totalitarismus abbringen. 1998 erschien sein Briefwechsel mit Francois Furet unter dem vielsagenden Titel "Feindliche Nähe. Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert".

Der Angreifer

Jürgen Habermas, Jahrgang 1929, lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1994 Philosophie und Soziologie. Der sogenannte Staatsphilosoph der Bundesrepublik ist der wohl bekannteste Vertreter des Verfassungspatriotismus, als "einzigem Patriotismus, der uns dem Westen nicht entfremdet". Wie weiland Erich Honecker von den DDR-Bürgern wünscht Habermas von den Bundesbürgern, daß sie nicht ihr Land und ihr Volk lieben, sondern den Staat, in dem sie leben, und dessen politisches System.

Ernst Nolte Foto: Archiv

Jürgen Habermas Foto: Archiv


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