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17.06.06 / Ingenieure verzweifelt gesucht / Die Fachrichtung der Stellen und Bewerber passen nicht zusammen - Die Ausbildung erfolgt am Markt vorbei

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juni 2006

Ingenieure verzweifelt gesucht
Die Fachrichtung der Stellen und Bewerber passen nicht zusammen - Die Ausbildung erfolgt am Markt vorbei
von Bernhard Knapstein

Deutsche Unternehmen beklagen sich über nicht besetzte Stellen. Kein Scherz! Zumindest nicht, soweit es um Ingenieurpositionen geht. Der "Verein Deutscher Ingenieure" (VDI) jedenfalls geht derzeit von 18000 unbesetzten Stellen aus. Noch im November letzten Jahres waren 11500 Ingenieursstellen vakant. Im Verhältnis zum Vorjahresmonat ist gar ein Zuwachs von 30 Prozent zu konstatieren. Und bis 2010 sollen gar 25000 Positionen vakant sein. Den 18000 offenen Stellen stehen allerdings satte 47000 arbeitslose Ingenieure gegenüber.

Die Crux liegt in erster Linie in der fachlichen Ausrichtung der akademischen Techniker. "Gesucht werden hauptsächlich Ingenieure der Zukunftstechnologien" erklärt Sven Runkel vom VDI. Gemeint sind Experten in der Nanotechnologie in Teilbereichen des Maschinenbaus, der Oberflächenphysik und der Halbleitertechnologie. Arbeitslos sind vor allem Ingenieure des Hoch- und Tiefbaus, aber auch ältere Jahrgänge der tendenziell eher gesuchten Fachrichtungen. Man müsse realistisch sein, meint Gabi Rujoub vom Automobilzuliefer-Unternehmen "Brose". "Wer fünf Jahre raus ist," so Frau Rujoub, "der ist nicht mehr am Puls der Zeit". Innovation beherrscht den Markt, und wer die Innovationen in seiner schnellebigen Branche verpaßt, verliert den Anschluß. "Brose" hat letztlich fast nur ungekündigte Bewerber eingestellt. Arbeitslose fallen da in der Regel durch die engmaschigen Anforderungsprofile.

"Wir brauchen die jungen und innovationsfreudigen Mitarbeiter ebenso wie jene, die diese wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen", erklärt Rujoub. Ausgewogene Altersstruktur und 100prozentige Kompetenz sind unerläßlich.

Etwas anders sieht das bei "Airbus" aus. Noch im Februar hatte das Unternehmen 1200 freie Stelle zu besetzen. Noch heute sucht das Unternehmen 500 Ingenieure. 350 allein am Standort Hamburg. Dabei nimmt man es beim Anforderungsprofil nicht ganz so ernst. "Wir nehmen auch Ingenieure aus der Automobilindustrie", heißt es dort nur lapidar. "Die werden dann halt geschult."

Offensichtlich sind aber nicht alle Unternehmen bereit, Fachkräfte, die das gewünschte Anforderungsprofil nicht zu 100 Prozent erfüllen, selbst auf Vollkompetenz zu trimmen. "Wir würden uns schon mehr Qualifizierungsmaßnahmen der Unternehmen in diese Richtung wünschen", so Sven Renkel vom VDI. Eine Kritik, die nicht nur die Firma "Brose" nicht auf sich sitzen lassen will. Der knallharte Wettbewerb und die weitgehend vom Kunden abgepreßten Preise lassen keinen großen Spielraum zu.

Der "Verband der Automobilindustrie" (VDA) will das Problem bei der Wurzel gepackt sehen. "Schon die Wahl des Studiums und die konkreten Studienangebote sind entscheidend", so Eckehart Rotter vom VDA. Der Schwerpunkt liege noch immer auf den Geisteswissenschaften. Um dem etwas entgegenzusetzen, bemüht sich der VDA zum Beispiel im Rahmen der Automobilmesse IAA, ganze Schulklassen für das Thema Technik rund ums Automobil zu begeistern.

Die frühzeitige Hinwendung zum Ingenieursberuf führt in der Tat über das Produkt selbst. Die schulischen Angebote sind mit entscheidend für die Wahl des späteren Studiums. Eigentlich sollte man erwarten können, daß etwa am Ford-Standort Köln jedem Gymnasium für interessierte Schüler ein gesponsertes Automobil zum Zerlegen und wieder Zusammenbauen zur Verfügung gestellt wird. Außerschulische Angebote an Gymnasien wie Theater-AG, Schülerrudern und Schulchor sind reichlich vorhanden, auch wichtig und gut. Das technische Angebot in unserer hochtechnisierten Welt fehlt allerdings weitgehend. Welcher Junge hätte nicht gern einen VW-Käfer oder einen Trabbi mit wenigen Werkzeugen zerlegt und sein Innenleben studiert.

Natürlich haben heutige Kraftwagen um ein Vielfaches mehr Elektronik an Bord als die mondsüchtigen Apollo-Kapseln der Nasa. Doch ohne Mechanik funktioniert auch heute noch kein Kraftfahrzeug. Für Schüler bleiben derartige Möglichkeiten also dennoch ein Einstieg zur Freude an technischen Prozessen. Theoretische Kenntnisse aus dem Physik- und Informatikunterricht wachsen bei solchen Übungen zu einem Verständnis für die Praxisrelevanz theoretischer Kenntnisse.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat den Bundesländern immerhin empfohlen, den Stellenwert der Fachrichtungen Mathematik, Naturwissenschaften und Technik in der gymnasialen Oberstufenausbildung deutlich anzuheben. In der KMK sieht man auch viel Bewegung in diese Richtung. So habe die "Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände" (BdA) im Vorjahr die Initiative "MINT macht mehr Ausbildung" ins Leben gerufen. Die Lehrkräfte für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sollen durch die Wirtschaft weitergebildet werden. "Um in Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder der Nachrichtentechnik wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu schaffen, brauchen wir qualifizierten Nachwuchs in den MINT-Fächern", erklärt dazu Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

Dies alles sind gute Ansätze, dennoch bleibt die Frage unbeantwortet, weshalb erst jetzt auf die auch schon vor 20 Jahren sich abzeichnende Entwicklung reagiert wird. Die Schüler von heute stehen dem Markt durchschnittlich erst in sieben bis acht Jahren als voll ausgebildete Ingenieure zur Verfügung. Bei der KMK hält man sich in dieser Frage lieber bedeckt und verweist allgemein auf die Zuständigkeit der Bundesländer. In einigen Ländern würde man sich halt derzeit eher für dicke Kinder und den Sportunterricht interessieren, heißt es hinter vorgehaltener Hand.


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