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17.06.06 / Kunst aus Küche und Keller / Sammlung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juni 2006

Kunst aus Küche und Keller
Sammlung von Speise- und Menükarten aus aller Welt - Zwölf Gänge für Seereisende
von Angelika Fischer

Laut Brockhaus ist eine Speisekarte "das Verzeichnis der Gerichte, die in einer Gaststätte angeboten werden". In dieser nüchternen Definition liegt indessen nur die halbe Wahrheit: Vergleicht man Speisekarten aus unterschiedlichen Epochen und Jahrhunderten, wird schnell deutlich, daß sie gleichzeitig Dokument und Spiegelbild ihrer Zeit sind. Unterschiedliche Moden, Eßgewohnheiten und Geschmacksrichtungen lassen sich ebenso daraus ablesen wie das handwerkliche und technische Niveau einer Küche. "Wenn ich das eine oder andere kostbare alte Stück mit den damals gereichten Köstlichkeiten studiere, bedauere ich, damals nicht selbst mit dabei gewesen zu sein", schmunzelt Sammler Wolfgang Gross. Im Laufe von gut vier Jahrzehnten hat der mittlerweile im Ruhestand lebende Gastronomiefachmann über 35000 Speise- und Menükarten aus rund 200 Jahren zusammen getragen und besitzt damit die vermutlich umfangreichste Sammlung der Welt.

Sein ältestes Stück ist eher unscheinbar: ein vergilbter, mit Federkiel und Tinte in Sütterlin beschrifteter "Speisezettel" aus dem Prager Hotel "Blauer Stern" aus dem Jahre 1781. Diese und andere seltene Kostbarkeiten bilden den Grundstock der Sammlung, die Gross 1968 von seinem Schwiegervater erhielt. Dieser war seinerzeit ein bekannter Koch in Karlsbad und hatte Karten vorwiegend von Gesellschaften und Festessen gesammelt, die deutsche Adlige während ihrer Kuraufenthalte gaben.

Das Geschenk an den Schwiegersohn umfaßte damals rund 400 Exponate. Es kam gut an. Als gelernter Kellner und Absolvent der Hotelfachschule Montana in Luzern war Gross zehn Jahre lang als Steward bei der Hamburg Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft zwischen Hamburg und Brasilien zur See gefahren und hatte selbst die eine oder andere besondere Menükarte aufbewahrt. Seitdem hat er die Sammlung ständig erweitert und während seiner letzten beruflichen Station als Wirtschaftsdirektor im "Plaza Hotel" (heute "Radisson SAS") 1989 dort eine Ausstellung organisiert anläßlich des 800. Hamburger Hafengeburtstages zum Thema "Menükarten internationaler Schiffahrtslinien von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart".

Aus Gross' Zeit bei der christlichen Seefahrt stammt nicht nur seine maritime Leidenschaft, sondern auch sein besonderes Faible für Menükarten historischer Luxusliner. "Diese Karten können Geschichten erzählen, sie leben", sagt Gross. In der Tat werden Glanz und Gloria des deutschen Kaiserreiches auf den um 1900 entstandenen Schiffsspeisekarten besonders deutlich. Mit geprägten Wappen, Flaggen und maritimen oder auch exotischen Motiven aus deutschen Kolonien spiegeln sie den wilhelminischen Zeitgeist wider. "Die Menüs an Bord waren üppig und umfaßten bis zu zwölf Gänge", dokumentiert Gross anhand zahlreicher Karten, "wer sich eine Überfahrt Erster Klasse nach Afrika oder Amerika leisten konnte, wollte kulinarisch opulent verwöhnt werden."

Während zu Kaisers Zeiten die Speisekarten an Bord überwiegend zweisprachig in deutsch und englisch geschrieben waren, setzte sich in den Spitzenrestaurants an Land die französische Sprache durch. Der berühmte französische Koch Auguste Escoffier prägte maßgeblich die Kochkunst des beginnenden 20. Jahrhunderts und gilt bis heute als "Vater" der klassischen internationalen Hotelküche. Das Fehlen moderner Kühltechnologie glichen die Küchenchefs durch Verwendung regionaler und saisonaler Produkte aus. So war beispielsweise auf den Karten der Hamburger Traditionsrestaurants Elbzander ebenso zu finden wie Helgoländer Hummer. "Andere Delikatessen wie gefüllter Kalbskopf, Bärenschinken oder Schildkrötensuppe sind dagegen längst wieder von den Karten verschwunden", so Gross, "die letzte Schildkrötensuppe, die in meiner Sammlung dokumentiert ist, wurde in den 30er Jahren im Louis C. Jacob an der Elbchaussee serviert".

Eine spezielle "Trophäensammlung" hat Gross zusammengetragen mit den Karten von Staatsbanketten aller deutschen Bundespräsidenten und Bundeskanzler. "Bis auf Ludwig Erhard bin ich komplett, der war zu kurz im Amt", bedauert Gross. Wer zum Beispiel wissen möchte, was sich Helmut Kohl und sein Freund Michail Gorbatschow am 10. November 1990 im "Deidesheimer Hof" von Maître Manfred Schwarz vorsetzen ließen, bekommt von Wolfgang Gross die Antwort "à la Carte" serviert: gebackene Griebenwurst, Grünkernsuppe mit Markklößchen und Saumagen, Leberknödel, Bratwurst, Sauerkraut und Sahnepüree.

Eine weitere Abteilung seiner Sammlung hat Gross den Hochzeiten prominenter Zeitgenossen wie beispielsweise Michael Schumacher gewidmet. Um die Menükarte der Hochzeitsfeier von Pop-Ikone Madonna hat er sich bislang allerdings vergeblich bemüht ... Wie Gross betont, interessiere ihn bei derartigen Karten lediglich der Anlaß: "Von der Gestaltung her sind sie zumeist schlicht, ohne den künstlerischen Aufwand früherer Zeiten." Überhaupt seien aus Sammlersicht die heutigen Speise- und Menükarten in der Regel uninteressant: "Außen abwaschbares Plastik mit Metallecken, innen ein Passepartout zum Auswechseln des Computerausdrucks - das macht einfach keinen Spaß!"

Übrigens: Wer bei sich zu Hause in irgend einer Schublade die eine oder andere vergessene alte Speise- oder Menükarte findet - bitte nicht wegwerfen! Wolfgang Gross freut sich über jeden Neuzugang in seiner Sammlung. Adresse: Wolfgang Gross, Quadenweg 26e, 22453 Hamburg, Fon & Fax (0 40) 551 58 54.

Gross mit Menü-Teller vom Bocuse d'Or: Die Kaffeeflecken auf der Speisekarte (l.) stammen vom Kaiser Wilhelm II. Fotos (2): Fischer, privat


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