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17.06.06 / "Mut zu einer klaren Sprache" / Durch Verschweigen verschwindet die deutsche Vergangenheit Schlesiens nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juni 2006

"Mut zu einer klaren Sprache"
Durch Verschweigen verschwindet die deutsche Vergangenheit Schlesiens nicht

Schlesien lebt" ist eine bewundernswerte Leistung des 90jährigen Autoren, des langjährigen Vorkämpfers für Schlesien, der noch immer die Kraft aufbringt, für Schlesien mit seiner 700jährigen deutschen Geschichte und seiner 60jährigen polnischen Gegenwart als heimatvertriebener deutscher Schlesier zu streiten: "... wir sollten gemeinsam, Deutsche und Polen, Schlesien Zukunft geben ... ‚Schlesien lebt', das ist kein Wort für Pessimisten und Nörgler, es ist ein optimistisches Wort." Er möchte den Zustand überwinden, daß es für Deutsche nur ein Schlesien der Vergangenheit und für Polen nur eines der Gegenwart gibt.

In dem im Dezember 2005 geschriebenen Geleitwort zu "Schlesien lebt" von Christian Wulff, dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, kann man lesen, daß 1949 ein Viertel der Bevölkerung des Landes, 1,8 Millionen, Flüchtlinge und Vertriebene waren. Er findet anerkennende Worte für das Engagement von Dr. Hupka für Schlesien und die Schlesier und fügt hinzu: "Der Verlust der Heimat und die Vertreibung sind zu ächten. Ich schließe damit ausdrücklich alle Menschen ein, die von Vertreibungen betroffen waren und sind. Aus diesem Grunde setzt sich auch die niedersächsische Landesregierung für ein ,Zentrum gegen Vertreibungen' in Berlin ein."

In 42 leicht überschaubaren und treffend überschriebenen Abschnitten, die jedoch ein sorgfältigeres Lektorat verdient hätten, plädiert Hupka nachdrücklich für eine Beschäftigung mit dem heutigen Schlesien, denn Gegenwart und Zukunft seien gefragt. Die Kenntnis der Geschichte Schlesiens und die Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen aber gehörten unverzichtbar dazu. Überzeugend ausgewogen beschreibt er als Deutscher und als Heimatvertriebener die "Ambivalenz des 8. Mai 1945" als eines Tages des Sowohl-als-auch, des Triumphes und des Untergangs, der Befreiung und des neuen Leidens im Osten Deutschlands. "Zum nationalen Bewußtsein gehört auch das Leid, das Mitbürgern zugefügt worden ist." Und er fragt klagend: "Warum fehlt es an der Solidarität angesichts der Vertreibung der Deutschen mit den Vertriebenen?"

Das Problem des Verschweigens des Vertreibungsverbrechens durch Politiker und die Medien ist von den Vertriebenen immer wieder beklagt worden, so auch hier unter "Die Angst vor der Wahrheit". Selbstkritisch hat Otto Schily erst 1999 als Minister darüber gesprochen und festgestellt: "Inzwischen wissen wir, daß wir nur dann, wenn wir den Mut zu einer klaren Sprache aufbringen und der Wahrheit ins Gesicht sehen, die Grundlage für ein gutes friedliches Zusammenleben finden können." Dazu gehört zweifellos das langjährige verbale Beschwichtigen und Verharmlosen durch Begriffe wie "Bevölkerungsaustausch", der die Wirklichkeit doch nur unvollkommen verstecken kann, wie zum Beispiel in diesem Zitat: "Noch nie hat in der Weltgeschichte ein derartiger Bevölkerungsaustausch wie in Breslau stattgefunden, indem über 600000 Deutsche die Stadt an der Oder verlassen und an ihre Stelle über 600000 Polen ihr Zuhause gefunden haben."

Der Autor hat erfahren, daß auch Breslauer Professoren sich schwer tun, eigene Schuld zuzugeben und Vertreibung als solche anzusprechen. Im Vergleich zu den Jahrzehnten davor aber spricht man in intellektuellen Kreisen Polens relativ offen über das für die Deutschen fürchterliche Geschehen 1945 / 1946. Besonders auf deutscher Seite aber gebe es dazu immer wieder die schlichte Erklärung, daß Hitler an all dem Geschehen, also auch der Vertreibung von Millionen Deutschen aus Ostdeutschland Schuld sei. So auch bei dem Publizisten Ralph Giordano. Unwidersprochen aber gelte heute, daß kein Verbrechen durch ein vorausgegangenes gerechtfertigt werden darf!

In "Zur Geschichte Schlesiens" stellt der Autor überzeugend beispielhaft dar, wie heute in Schlesien nicht nur die Vertreibung der Deutschen, sondern auch die deutsche Vergangenheit des Landes geschickt verschwiegen wird. So soll zum Beispiel die Stadt "Luban" (statt "Lauban") erst 1871 mit der Gründung des Deutsches Reiches unter Bismarck zu Deutschland gekommen sein. Die vielen Geschichtsfälschungen müßten nach Hupka in einem fair geführten deutsch-polnischen Disput beseitigt werden! Als falsch bewertet Hupka auch die Verwendung von ",Schlesisch' als ethnische Bezeichnung und einzige Charakterisierung ... Eine schlesische Ethnik, eine nur und ausschließlich schlesische Kultur gibt es nicht." Man ist entweder Deutscher oder Pole in Schlesien! "Wasserpolnisch" ist ein oberschlesischer Dialekt, der von Polen und von Deutschen gesprochen wird.

Ein eigener Abschnitt befaßt sich mit "Breslau, die Hauptstadt Schlesiens", die man gut neben Wien und Prag stellen könne, denn Breslau kann "sich mit diesen Hauptstädten dank seiner Vergangenheit, seiner Bauten, seiner geistigen Potenz in der Vergangenheit messen und vergleichen." Es folgen Abschnitte über "Görlitz, die Hauptstadt im schlesischen Zipfel", den Oberschlesier Joseph von Eichendorff und den Schlesier Gerhart Hauptmann. Sehr lesenswert ist der Abschnitt "Kultur der Erinnerung, ein Erbe, das verpflichtet" mit besonderem Bezug auf jüdisch-deutsche Schlesier. Ich würde noch auf den in Breslau geborenen Historiker Fritz Stern verweisen, auf den letzten Chefarzt des Jüdischen Krankenhauses dem Breslauer Arzt Dr. med. Siegmund Hadda (2001) und das lesenswerte Buch der leider verstorbenen Barbara Genzow.

Immer zu beklagen ist das Verhalten der deutschen Medien und Regierungen und wohl auch das Verhalten selbstbezogener Landsmannschaften: "Die Ostpreußen erfahren nichts von Schlesien und die Schlesier nichts von Ostpreußen. Darüber hinaus ist es so, ... daß die allgemeine Öffentlichkeit ohnehin kaum etwas von Schlesien oder von Ostpreußen erfährt. Man ist in unseren Medien weder bereit, über die Vergangenheit zu unterrichten noch die Gegenwart darzustellen."

In "Sich Schlesiens zu vergewissern" stellt Hupka zunächst realistisch fest: "Die so genannte Erlebnisgeneration wird immer geringer, der Tod spricht sein Wort." Dann aber plädiert er erneut nachdrücklich für die Beschäftigung mit Schlesiern und Schlesien und entsprechend natürlich mit Ostpreußen usw. "'Schlesien lebt', dies ist selbstverständlich auch und gerade geistig und kulturell gemeint. Zuerst ist es aber die Geschichte, denn ohne Schlesien gibt es keine vollständige deutsche Geschichte. Man kann Schlesien oder Ostpreußen weder ausgrenzen noch als Niemandsland vergessen machen. Und dann das geistige Kapital ... Literatur, Philosophie, Baukunst und Malerei ..." Schlesien wach zu halten sollte eine Aufgabe für jedermann in unserem Volk sein! "Weder der Stamm der Schlesier noch Schlesien dürfen aussterben und untergehen." Daher folgt Hupka dem Bundespräsidenten Köhler, der 2005 gefordert hat, daß es keinen Schlußstrich geben darf, weder für die Deutschen als Täter noch für die Deutschen als Opfer! Um diese Problematik gehe es auch bei dem "Gezerre" um das Projekt eines "Zentrums gegen Vertreibungen", das man den Deutschen nicht in Eigenverantwortung überlassen will.

Erstaunlich und bewundernswert, mit welcher Zuversicht und welchem Optimismus Hupka "Schlesien Zukunft geben" will! Und um diese Zukunft müssten sich die aus der Heimat vertriebenen Deutschen und die in Schlesien lebenden Deutschen und Polen gemeinsam bemühen! Doch es bleibt zu fragen: Ist Herbert Hupkas Idealismus, ist seine Zukunftsvision realistisch? Das ist nachdrücklich zum Wohle beider Seiten zu wünschen und zu unterstützen. Die mentale nationalistische Realität auf polnischer Seite wird diesen Elan wohl heftig bremsen. Und auf deutscher Seite herrscht eher Schweigen oder Nachgeben. Aber auch das kann sich ändern, nicht zuletzt durch das Engagement Herbert Hupkas. Helmut Sauer

Hupka, Herbert: "Schlesien lebt. Offene Fragen - kritische Antworten", München: Langen Müller 2006, geb., 236 Seiten, 19,90 Euro

 

Dr. Herbert Hupka (* 15. August 1915 in Diyatalawa, Sri Lanka) deutscher Journalist und Politiker. Er war zunächst Mitglied der SPD, schloß sich aber später der CDU an. Herbert Hupka ist in Diyatalawa in einem englischen Internierungslager auf Ceylon (heute Sri Lanka) als Sohn einer jüdischen Mutter und eines deutschen Professors geboren. Er wuchs in oberschlesischen Ratibor auf, wo er allein von der Mutter aufgezogen wurde, da sein Vater bei der Rückkehr von Ceylon verstarb. Nach dem Abitur studierte er in Halle und Leipzig Germanistik, Geschichte und Geographie. Während des Krieges wurde er zunächst eingezogen, dann wurde seine Mutter in das KZ nach Theresienstadt deportiert, und er selbst nach einem Kriegsgerichtsurteil und einer Haftstrafe 1944 von der Armee entlassen, und kehrte nach Ratibor zurück. Dr. Herbert Hupka war von 1969 bis 1987 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Schwerpunkt seines politischen Wirkens war die Vertriebenenpolitik. Von 1968 bis 2000 war er Präsident der Landsmannschaft Schlesien. Auch war er Vorsitzender des Ostdeutschen Kulturrates und Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen.


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