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17.06.06 / Erdrückend / Wie Schweigen Leben zerstört

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Juni 2006

Erdrückend
Wie Schweigen Leben zerstört

Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, manchmal so viele Gedanken und Gefühle im Kopf zu haben, daß einem die Worte fehlen?

Bei Jochen Osthaus handelt es sich dabei allerdings nicht um ein situativ bedingtes Problem, sondern um einen schon krankhaften Dauerzustand. So ist es nicht erstaunlich, daß er mit Lili schon die zweite Liebe seines Lebens an einen anderen Mann verliert, da er sich in der Regel statt über Probleme zu sprechen in Schweigen hüllt.

Und auch wenn Jochen es nicht so ganz wahr haben will, im Grunde seines Herzens weiß er, daß sein für Lili erdrückendes Schweigen dazu geführt hat, daß sie ihn und ihre zwei Kinder Anton und Sophie verlassen hat. Doch auch in diesem Moment des Begreifens fehlen im die Worte ...

"Jochen wußte, er müßte jetzt etwas sagen ... Doch er sagte nichts. Schon immer war er schweigsam gewesen, hatte bereits als Kind unsichtbare Hände gefühlt, die seinen Mund verschlossen. Dahinter sich alles zurecht gelegt, Worte auswendig gelernt, ihrem Klang in seinen Ohren gelauscht, in seiner Kehle ... er liebte die Menschen, und er liebte die Liebe, wollte seiner Einsamkeit und Verzweiflung entkommen."

Asta Scheib erzählt in "Der Austernmann oder Die Sprache des Schweigens" zunächst aus der Sicht Jochens, wechselt jedoch später zur Perspektive Lilis. Hier fällt es dem Leser quasi wie Schuppen von den Augen, daß Jochen Osthaus seine Frau und ihre Beweggründe, viele Dinge zu tun, nie wirklich verstanden hat. Was er natürlich auch nicht konnte, da er ja nie auch nur den Versuch startete, eben diese zu hinterfragen.

Gleichermaßen wird dem Leser klar, daß Jochen Osthaus, seines Zeichens ein erfolgreicher Tiermediziner, sich seines Problems, der damit verbundenen Unfähigkeit, sich Problemen und Konfrontationen zu stellen, durchaus bewußt ist. Er fühlt sich seiner eigenen äußeren für die Umwelt sichtbaren Reaktion hilflos ausgeliefert, während in seinem Inneren eine Art emotionaler Orkan tobt.

An manchen Stellen in diesem Buch fühlt man fast, wie die Stille des Schweigens einen Raum nahezu zum Bersten anfüllen kann, weil eine verzweifelt ersehnte Antwort oder Äußerung ausbleibt und vom anderen nichts kommt, was die quälende Stille unterbricht.

Sorgsam beleuchtet Asta Scheib die Familie und das Umfeld des Tiermediziners, um dem Leser bis zur letzten Seite Stück für Stück die Erklärung zu liefern, wieso Jochen Osthaus zu einer solch "schweigsamen Auster" werden konnte.

Ein sehr kluger Roman, der dem Leser zeigt, wie wichtig es im Leben für das Funktionieren sozialer Beziehungen ist, über Probleme zu sprechen, um für Konflikte eine Lösung zu finden. A. Ney

Asta Scheib: "Der Austernmann oder Die Sprache des Schweigens", dtv, München 2006, 222 Seiten, 9,50 Euro, Best.-Nr. 5581


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