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24.06.06 / Die ostdeutsche Tradition weitergereicht / Vor 25 Jahren starb der Maler Karl Eulenstein, der sich erst spät dem Expressionismus zuwandte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Juni 2006

Die ostdeutsche Tradition weitergereicht
Vor 25 Jahren starb der Maler Karl Eulenstein, der sich erst spät dem Expressionismus zuwandte
von Silke Osman

Der Maler Eulenstein erfreut sich schon lange nicht nur unter den Malern aus dem östlichen Bereich eines ausgezeichneten Rufes“, schrieb einmal Paul Fechter über den Maler aus Memel. „Von seinen Bildern aus den Jahren vor dem Kriege sind viele mit Recht in Privatsammlungen und Museen gelandet; er ist ein Maler aus der Substanz, aus dem Sein, nicht nur aus dem Können; er geht dem, was er vom Heute aus wie alle lebenden Gestalter der Gegenwart als sinnvolle Aufgabe empfindet, von der Substanz, nicht von der Technik aus nach. Er hat schon früh eine Aufgabe erkannt, an der zu arbeiten heute sinnvoller und notwendiger ist denn je: die Aufgabe nämlich, die spezifisch ostdeutsche Tradition nicht zu bewahren, aber lebendig weiterzureichen ...“

„Eulenstein“, so Fechter weiter, „begann seinen Weg in den Jahren, in denen die ersten nachexpressionistischen Generationen sich daran machten, den ,Ausdruck‘ um jeden Preis, den man dann später der Literatur überließ, wieder durch Bilder zu ersetzen, das heißt durch Malerei. Der deutsche Osten hat an der Lösung dieser Aufgabe intensiv mitgearbeitet ... Man braucht vor allem nur das Werk Karl Eulensteins aus den 20er und 30er Jahren zu betrachten, um dieses Aufsteigen einer neuen – man ist versucht zu sagen: östlich bestimmten – Formenwelt sehr deutlich zu erkennen ...“

„Sie sind von sehr verschiedener Art, diese Aquarelle und Gemälde aus den letzten Jahren“, betonte Paul Fechter. „Eulenstein möchte zu der Schwere und übersonnten Melancholie des Memellandes auch gern das Strahlende, das Licht in dem Riesenraum über dem weiten Lande und seiner Einsamkeit geben ...

Der Traum vom Osten wird Farbtraum eines melancholischen Leuchtens: Zwischen fernen Dünen und schweren Segeln der Haffkähne glänzt irisierend in opalisierender Unwirklichkeit die abendliche Farbenwelt des Haffs mit all den Wundern und all dem Reichtum, wie ihn trotz des Bodensees nur das Kurische und das Frische Haff zu entfalten vermögen – in Stunden, in denen schon die Wirklichkeit selbst unwirklicher und phantastischer wird als sie es je auf den gelöstesten und am meisten entwirklichten Blättern eines mit William Turner wetteifernden östlichen Malers werden könnte ...“

Der Kunsthistoriker Günter Krüger, der als ausgewiesener Kenner der Künstlerkolonie Nidden galt und der sich im Schaffen so vieler ostpreußischer Künstler auskannte wie kein anderer, urteilte über das Werk des Memelers: „Aus Karl Eulensteins Bildern sprechen das aus der Erfahrung, dem Erscheinungsbild der Natur und ihrer Lebewesen gewonnene und auf das Wesentliche angereicherte sowie transzendente Denken. Beide Denkweisen gemeinsam ermöglichen die Allgemeingültigkeit seiner schöpferischen Aussagen ...

Gerade darin liegt das Eigene in Eulensteins Kunst, die stärkere, allein aus der Wirkung der heimatlichen Umwelt auf den feinfühligen Menschen erklärbare Nähe zu Corinth, der in seinem Buch vom Erlernen der Malerei den Satz geprägt hatte: ,Das Schwerste ist: Unwirklichkeit üben!‘ Wie Corinth suchte Eulenstein die Lösung vom Gegenstand, von der Natur, durch die Farbe ...“

„Das Geheimnis der Unterscheidung des ostpreußischen Expressionismus, wie ihn Eulenstein in vollendeter Weise vertritt“, so Krüger, „liegt letzten Endes allein in der Natur, in der er lebte, in dem Erleben des Elementaren, aus dem er herauswuchs und das sein Wesen so stark prägte, daß er selbst fern der Heimat nur noch deren Bild in seinem Herzen trug und auf die Leinwand oder Pappe bannte ...

Aus dieser Verdichtung des Bildes der Heimat und ihrer Menschen entstand ein Altersexpressionismus, der in seiner Eigenständigkeit, von der östlichen Landschaft und ihren Gegebenheiten geprägt, dem der ersten Expressionistengeneration nicht nachsteht.

Vielmehr stellt er eine Umsetzung dar von der schon immer als dekorativ empfundenen Gegenüberstellung hart umreißender Form und reiner Farbfläche zu dem letztmöglichen Ausdrucksgehalt des Malerischen. Dies ist ein echter, bisher zu wenig erkannter und bekannt gewordener Beitrag Ostpreußens im Werden der deutschen Kunst.“

Wer war dieser Mann, der auf so unverkennbare Weise die Landschaft des Nordostens mit dem Pinsel festhielt? Karl Eulenstein, der als sechstes von sieben Kindern eines Kapitäns am

25. August 1892 in Memel geboren wurde, studierte von 1919 bis 1923 bei Richard Pfeiffer an der Königsberger Kunstakademie, wo er als Vorsitzender des Studierendenausschusses in der Nachfolge von Ernst Mollenhauer an den Reformbewegungen beteiligt war. 1926 ließ er sich als freischaffender Maler in Berlin nieder. Flucht und Vertreibung aus der Heimat blieben ihm so erspart, doch ging der Zweite Weltkrieg auch an ihm nicht spurlos vorüber. Noch in den letzten Tagen des Krieges wurde sein Berliner Atelier ein Opfer der Bomben – die meisten seiner Arbeiten verbrannten, nur weniges konnte gerettet werden.

„Das ist keine Landschaft der Erinnerung, sondern der Beteiligung, als sei der Maler selbst von den Elementen eines“, las man 1939 über eine Eulenstein-Ausstellung. Und ein Jahr später: „Immer fühlt man vor diesen Gemälden die Verbundenheit des Künstlers mit dem Elementarischen, der über ihr Abbild hinaus das Sinnbildhafte der Wirklichkeit in malerisch reicher Verdichtung meistert ... Ihm offenbart sich, wie der Erde, dem Wasser, der Luft, dem Licht ,zumute ist‘ ...“ Eulenstein selbst hat einmal die Begegnung des Künstlers mit der heimatlichen Landschaft und seine Stimmung geschildert. Er schrieb 1932 in den „Ostdeutschen Monatsheften“: „Nach Jahren wieder in der heimatlichen Landschaft – ein wunderliches Gefühl. Die Bilder, die man tief im Innern mit sich geführt hat, die ab und zu visionär emportauchten, sie stimmten nicht. Alles ist viel nüchterner. Man sucht eine Häusergruppe auf, eine Straße, ein Ufer, Eindrücke, die einen jahrelang verfolgt haben – und man ist enttäuscht. Platt, nichtssagend steht alles da. Man versteht sich selbst nicht.“ – Worte, die auch ein Mensch nachempfinden kann, der nicht künstlerisch fühlt oder gar arbeitet.

Eulenstein aber erkennt: „Und doch ist alles richtig. Man hat nur übersehen, daß alles einmalig ist, auch Eindrücke einer Landschaft ... Die Natur besteht für sich. Sie ist für den Betrachter immer das, was er aus ihr macht. Auch für die Künstler. Sein Werk aber besteht ebenfalls für sich. Die Grenzen sind gesetzt: hier Natur – hier Kunst.“

Und Karl Eulenstein hat immer wieder die Begegnung mit der Natur gesucht, hat sich dem Erleben gestellt. Auch als er bereits in Berlin lebte und arbeitete, ist er immer wieder in seine Heimat Ostpreußen gereist, hat die Kurische Nehrung, hat Nidden besucht und Eindrücke gesammelt, die ihn bis zu seinem Tod am 23. Juni 1981, vor nunmehr 25 Jahren, nicht mehr losließen.

Und dennoch: „Meine Versuche, vor der Natur zu malen, sind mir immer mißlungen“, bekannte er. „Ich wurde erbarmungslos erdrückt, besonders von der Nehrung. Erst in stillen Stunden, wenn die Überfülle der Natur die beschränkten malerischen Ausdrucksmittel nicht mehr zu unfruchtbaren Experimenten verführen konnten, entstand etwas anderes, Selbständiges, nach seiner eigenen Gesetzlichkeit. Und seine Form stand nur in sehr losem Zusammenhang mit der Natur. Ja, ich glaube, die Natur gibt nur das Stichwort, den durch eine lange Geschlechterreihe angehäuften Formungsdrang in seinem letzten Glied, im Künstler, zur Entladung zu bringen.“

Eulenstein hat in Öl, Tempera und Aquarell gemalt. Seine Themen fand er vor allem in der Landschaft seiner Heimat, ihren Menschen, den Bauern und Fischern. Als der Mitarbeiter des Ostpreußenblatts Martin Pfeideler Karl Eulenstein 1958 in seinem Berliner Heim besuchte und ihn fragte: „Weshalb, Herr Eulenstein, haben Sie sich nie an einem anderen Gegenstand versucht? Sie leben seit 1926 in Berlin, weshalb gibt es kein Bild vom Grunewald, keine märkische Landschaft von Ihnen?“, da antwortete der Maler: „Weil man hier nie so allein ist, um die Landschaft wirklich tief erleben zu können ...“ – „Aber“, so Martin Pfeideler, „Sie waren ja auch bei den Fischern ...“ Darauf Eulenstein: „Das waren aber auch Ostpreußen! Und keine Berliner ...“

Jörn Barfod, der 1991 über Eulenstein eine Monographie im Husum Verlag herausgegeben hat, schrieb über das Werk des Spätexpressionisten: „In der technischen Wirkung und den Farben findet man sich plötzlich in der Gestaltung von Himmel und Wasser an einen der Großen des deutschen Expressionismus erinnert, an Emil Nolde. Denn in den Werken ab etwa 1950 kommt Eulenstein aus den ... Tendenzen der späten 1930er und frühen 1940er Jahre sowie in Motivabstrahierungen aus Erinnerung und Vorlagen zur expressionistischen Stilhaltung. Daß er Nolde schätzte, ist überliefert. Auch die anderen namhaften Expressionisten waren ihm sicher aus den Besuchen in den Berliner Museen bekannt, teils auch persönlich ... Ab etwa 1950 jedenfalls kann man Karl Eulenstein als ostpreußischen Spätexpressionisten bezeichnen; spät in der allgemeinen Kunstentwicklung wie auch in seinem eigenen Werk: der Expressionismus ist der Stil des Spätwerks Eulensteins ...“

In allen Bildern Eulensteins, in den frühen Werken, die uns meist nur durch schwarzweiße Fotografien überliefert sind, ebenso wie in dem Spätwerk wird deutlich, was Karl Eulenstein einmal in einem Interview bekannt haben soll: „Ich kann nicht sagen, was mir die ostpreußische Heimat gab, aber ich kann es malen!“

Es entstand eine künstlerische Nähe zu Corinth

Warum Eulenstein nie im Grunewald malte

Karl Eulenstein: In der Memelniederung (Tempera, 1954) Foto: Archiv


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