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15.07.06 / Es gibt eine Kontinuität beim Reisestreß / Ein Blick in historische Quellen aus der Postkutschenzeit offenbart erschreckende Parallelen zur Gegenwart

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. Juli 2006

Es gibt eine Kontinuität beim Reisestreß
Ein Blick in historische Quellen aus der Postkutschenzeit offenbart erschreckende Parallelen zur Gegenwart
von Klaus J. Groth

Morgen ist gut reisen, übermorgen besser, am besten bleibet, ich bleibe auch." Der Wirt einer Herberge bei Hamburg animierte vor 130 Jahren mit diesem Spruch seine Gäste, auf die strapaziöse Fortsetzung ihrer Reise zu verzichten. Sein Erfolg muß bezweifelt werden. Allen bekannten Strapazen zum Trotz: Den Ruf als Reiseweltmeister lassen sich die Deutschen so schnell nicht nehmen. Auch wenn über die Hälfte der Heimkehrer froh ist, wenn die eigenen vier Wände nach überstandenem Urlaubsstreß endlich wieder erreicht sind. Allen frustrierten Rückkehrern zum Trost: Die Quellen des Unmuts sind zur Zeit des Massentourismus die gleichen wie zur Zeit der Postkutsche. Ein Blick in alte Reiseschilderungen zeigt es.

Ganz vorne an stehen bei den Urlaubsärgernissen heute Straßenverkehr und Staus. 28 Prozent der Urlauber klagen darüber. In der Zeit, als die Reise mit Pferd und Wagen gemacht wurde kein Thema? Im Gegenteil. Das alltägliche Chaos auf den Straßen hatte allerdings andere Ursachen. Über eine Fahrt von Schwäbisch-Gmünd nach Ellwangen wurde 1721 so berichtet:

Ein Mann nebst Frau, Magd und Knecht benutzten ein zweispänniges Planwägelchen, das aber die 40 Kilometer zwischen beiden Orten nicht durchhielt. Schon in der ersten Stunde nach dem Start blieb der Wagen im Mist stecken.

"Bis über die Knie im Dreck patschend" mußten die Reisenden das Gefährt wieder flott machen. Im Dorf Böbingen lenkte der Knecht den Wagen "mit dem linken Vorderrad unversehendlich in ein Mistloch, daß das Wägelchen überkippte und die Frau Eheliebste sich Nase und Backen an den Planreifen jämmerlich zerschund".

Zwischen Möggingen und Aalen war der Weg dann so morastig, daß drei zusätzliche Pferde gemietet werden mußten, um das Gefährt voran zu bringen. Dennoch erreichte man erst nach sechs Stunden mitten in der Nacht die Stadt. Kurz vor dem Dorf Hofen zerbrach der Wagen am nächsten Tag mitten in einer großen Pfütze, wobei "alle garstig beschmutzet wurden", der Magd "die rechte Achsel auseinander gebrochen", dem Knecht "die Hand zerstauchet", ein Pferd "am linken Vorderlauf vollständig gelähmet worden". Nach drei Tagen erreichte die Gesellschaft mit einem gemieteten Leiterwagen "ganz erbärmlich zusammengeschüttelt" ihr Ziel.

Wer sich heute über das Urlaubswetter beklagt - und darüber ärgern sich 25 Prozent - mag sich trösten lassen durch dieses Zitat aus der 1790 erschienenen "Geographisch- und statistischen Beschreibung des Herzogthums Holstein": "Das Postwesen hat nichts Vorzügliches: vors erste hat man offene Postwagen, wo man Regen, Schnee und Wind bey Tag und Nacht ausgesetzt ist, oft verstatten die Wege kein geschwindes Fortkommen, oft aber auch der Eigensinn der Postillione, die grob sind und langsam fahren, wenn sie unterwegs nicht mit Branntwein, Toback, Bier etc. freygehalten sind."

Die Gauner reisen immer mit. Oder sie sind schon am Urlaubsziel. 17 Prozent der Reisenden haben heute Angst vor Kriminalität in den Ferien. Wer glaubt, das zumindest sei früher anders gewesen, lese in Reisehandbüchern des 18. Jahrhunderts: "Wenn der Reisende aber in einem Wirtshaus zu übernachten gezwungen ist, besonders wenn es einzeln und allein liegt, und daher ein wenig verdächtig ist, so lasse er sein Licht die ganze Nacht durch brennen. Ehe er zu Bette geht, durchsuche er das ganze Zimmer, wo sich etwa jemand verbergen könne, schließe sodann das Zimmer von innen zu, und lege inwendig ein Vorlegeschloß an. Hat er Gewehr bei sich, so zeige er es dem Wirthe, ohne ihm selbst Verdacht merken zu lassen ... Glaube er ja nicht, daß schon alles wohl verwahrt sei, wenn er das Zimmer sorgfältig zuschließt, denn der Aufwärter oder der Wirt haben ihren besonderen Schlüssel. Er hüte sich, sein Zimmer, noch viel weniger seinen Koffer offen stehen zu lassen, wäre es auch nur, daß er sich nur einige Minuten von demselben entfernte, denn wie leicht kann nicht da etwas gestohlen werden. Ehe er sich abends zu Bett legt, verriegele oder verschließe er das Zimmer von innen. Er kann sich hierzu eines mitgeführten Riegelschlosses, das mit Bequemlichkeit an jede Thür angeschraubt werden kann, bedienen ..."

Der Urlaub als Dauerstreß - weil das Programm zu dicht ist, weil man sich zuviel auferlegte - das hat für 14 Prozent der Urlauber heute die letzten Ferien beeinträchtigt. Sie hätten gewarnt sein können, seit 200 Jahren bereits. Da empfahlen "Reiseklugheiten" schon: "Ein jeder Reisender sollte, ehe er die Reise antritt, den Zweck derselben wohl überlegen und festsetzen, denn wer alles sehen und tun will, sieht und tut nichts. Wenn derjenige, welcher reisen will, um Ackerbau und Manufakturen kennen zu lernen, Gemäldesammlungen sieht, wovon er vorher keine Kenntnis hatte; wenn der Maler oder Kunstliebhaber Naturalienkabinette besucht, ohne die Naturhistorie zu verstehen; wenn der Kenner der Naturhistorie zu Soldatenmanövern reitet, ohne zu wissen, was Taktik ist; so können alle diese Reisende wohl mit Dingen solcher Art ihre Zeit ganz angenehm hinbringen, werden aber keinen Nutzen von ihrem Angaffen haben, und vielmehr dadurch abgehalten werden, Dinge zu betrachten, die ihnen wirklich nützlich gewesen sein würden."

Zu den großen Ärgernissen während des Urlaubs gehören heute Streß mit Partnern, Kindern und Mitreisenden. Diese Klagen liegen fast gleichauf mit denen über mangelnde Hygiene und Sauberkeit. Und sind nicht immer voneinander zu trennen. Auch diese Beschwerden sind so alt wie das Reisen selbst. Reisende des 18. Jahrhunderts beklagen sich über die "dummen, abgeschmackten, oft zotenhaften und schmutzigen Reden und Gespräche der ehrsamen bunten Reisekompagnie", über den "oft pestilenzialischen Gestank unsauberer Reisegesellschaften". Solchermaßen an Körper und Geist gequält, wird, "wer acht Tage so gefahren ist, ein ganz anderer Mensch geworden sein; wunderlich, träge, gelähmt am ganzen Körper; wachend wird er schlafen, die Augen eingefallen das Gesicht aufgedunsen, die Füße geschwollen, der Geist abwesend und zerstreut". Was hier beschrieben wird, ist nicht der Zustand nach dem Ende einer vierzehntägigen Busreise durch die Dornensteppe Namibias, sondern der Stoßseufzer eines Reisenden im Jahre 1793.

Und dann ist da noch die Unterkunft, die nicht den Angaben des Reisebüros oder des Katalogs entsprach. Elf Prozent der heutigen Reisenden sind mit der an Ort und Stelle vorgefundenen Qualität unzufrieden. Als der Engländer Thomas Nugent 1766 eine Studienfahrt durch Mecklenburg machte, beschrieb er sein Quartier in Dassow so: "Das Wirtshaus machte zwar von außen eine ziemlich triste Figur, allein wir wurden doch sehr gut bewirthet. Übrigens waren im ganzen Hause nur zwei höchst mittelmäßige Betten ..., die übrige Gesellschaft, worunter auch einige Herren zu Pferde waren, lagen alle auf Streu. Ein solches Strohlager ist gar so schlecht eben nicht, als man denken sollte; ich hatte es schon verschiedene Male ohne sonderliche Unbequemlichkeit darauf versucht ... Das Stroh wird auf die Erde hingestreut und zum Haupte etwas erhöht, alsdann wird ein Bettuch darüber gedeckt, für jeden ein Kissen hingelegt, und dann legen sich alle in einer Reihe hin. Etwas undelikat ists freilich, daß auch Weiber in eben dem Zimmer schlafen, indessen sie kleiden sich nie ganz aus, sondern ziehen in einem anderen Zimmer bloß ihre obersten Röcke ab. Das Zimmer ist gewöhnlich so heiß als der Ofen selbst."

Im Urlaub und nach dem Urlaub hagelt es Beschwerden. Eine halbe Million Reklamationen gehen bei den Reiseveranstaltern jährlich ein. Für manchen mag eine solche Beschwerde eine Verlängerung des Urlaubsvergnügens sein. Wer aber schon während der Ferien die Reise genießen möchte, dem empfahl vor 200 Jahren der "Versuch über die Kunst zu reisen" von Ernst Ludwig Posselt: "... sich beständig aufgeräumt und bey guter Laune zu erhalten." Nur so seien all die Unbequemlichkeiten, die widrigen Zufälle, das böse Wetter, die schlechte Kost, das üble Nachtlager, die Habsucht von Postmeistern und Wirten, die Korruption von Zollbeamten und Visitatoren zu ertragen. Wenn auch im Laufe der Zeit die Wegelagerer in andere Rollen schlüpften, die Anlässe zur Klage sind die gleichen geblieben. Die Gegenmittel sind es auch. Gegen den Urlaubsstreß, den Posselt noch schlicht als Ungemach bezeichnete, "ist keine andere Hülfe, als Gelassenheit und die Aufopferung von einigem Gelde".

Ob zur Zeit des Massentourismus oder der Postkutsche: Die Quellen des Unmuts sind die gleichen. Fotos (2): WDR, Murgtal


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