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15.07.06 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. Juli 2006

Spitze des Mistbergs / Die Welt blickt in den italienischen Saustall: Man will ja nicht nachtreten, aber ... Dann noch was von Birnen und Kartoffeln
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Nachtreten gilt nicht. So ein Titelgewinn ist immer was Feines, das jeder gern hätte, weshalb hinterhergeschobene Bemerkungen über den Sieger einen Beigeschmack haben, sofern es sich nicht um Lob handelt.

Soweit die Regeln des guten Benehmens, zu denen wir später gern zurückkehren werden. Jetzt knöpfen wir uns erstmal diesen merkwürdigen Weltmeister vor. Daß sich diese Leute von einem fauligen Elfmeter über einen knappen Sieg ins Finale geschlichen haben, hat die ganze Menschheit gesehen. Die Sache mit Zidane stinkt auch - und zwar italienisch: Nach der Beleidigung sollte Materazzi froh sein, daß sich seine Nase noch nach außen wölbt.

Die Italiener hat das zunächst alles nicht interessiert, sie haben einfach nur gefeiert. Nun, da der Rausch aus Roms Straßen verschwunden ist, dürften sich einige Stiefelbewohner heimlich wünschen, daß sie den Pokal besser nicht gewonnen hätten. So, wie während der 30 tollen Tage alles auf Deutschland blickte, so richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit jetzt auf Italien, das sich dem irritierten Publikum als veritabler Saustall präsentiert. Und bislang haben wir wahrscheinlich nur die Spitze des Mistbergs gesehen!

Der italienische Spitzenfußball ist von vorn bis hinten dermaßen korrupt, daß in Deutschland häufig verschwendete Vokabeln wie "Skandal" oder "Affäre" matt und lau erscheinen: Freche Absprachen und ein Netz von Gefälligkeiten in einem Filz, der alle Vorstellungskraft sprengt, ungeheuerliche Lügen und ein Selbstmordversuch. Die Deutschen hätten bei der WM ihre alten Tugenden wie Organisationstalent und Tatkraft wiederentdeckt, heißt es. Da haben es uns die Italiener in gewisser Hinsicht gleichgetan. Auch auf dem Stiefel herrscht der traditionelle Geist, dort manifestiert er sich in "Zuständen wie im alten Rom". Und so wie die Germanen das Ereignis mit einem fröhlich-naiven Abschiedsfest, ganz nach dem Geschmack des deutschen Michel, beendeten, führen die Italiener großes Schmierentheater auf, in dem das Getöse um Schwindel und Verrat braust.

Allerdings sollten wir nicht ganz so unschuldig tun. Vielleicht haben wir es nicht bemerkt, aber auch wir haben einiges Porzellan zerschlagen. Der österreichische Impressario André Heller ist im Ausland herumgereist und hat schwer traumatisierte Menschen angetroffen. "Wir stehen unter Schock", verrät der Künstler, "weil wir die Deutschen auf einmal sympathisch finden". Das tut uns leid, geht uns aber ganz ähnlich.

Es gab Dinge in diesem Land, auf die man früher fest bauen konnte. Die Deutschen waren verläßlich und ihr Verhalten stets voraussehbar. Wenn beispielsweise irgendetwas gründlich schiefging, waren wir zutiefst davon überzeugt, daß mindestens mutwillige Schlamperei oder gar böser Wille am Werk war und reagierten entsprechend. Etwa, wenn jemand zu spät kam oder gar nicht, der Busfahrer plötzlich eine andere Route einschlug oder ein Zug ausfiel. "Ja, ja - mit uns kann man's ja machen!" Wir waren der "kleine Mann auf der Straße", den sie immerfort getreten haben, die anderen, die Mächtigen. Diese klar geordnete Weltsicht versetzte uns in eine stabile Dauerverdrießlichkeit, die jederzeit hervorsprudelte, wenn sich eine günstige Gelegenheit bot: "Hören Sie mal, ich sag' Ihnen nur eins ...!"

So war es, und sollte es eigentlich bleiben. Doch die Selbstverknirpsung hat offenbar Schaden genommen, wie der Verfasser dieser Zeilen erleben mußte. Neulich an einer kleinen Bahnstation bei Hamburg zwei Tage nach der Niederlage gegen Italien: Ohne daß eine Durchsage irgendwelche Hinweise gibt, kommt kein Zug. Das wäre auch früher (noch!) kein Grund zur Aufregung gewesen. Doch dann passiert es: Ein Bus mit der schreckenverbreitenden Aufschrift "Ersatzverkehr" biegt um die Ecke. Jeder weiß, was das bedeutet: Der gondelt jetzt Dorfbahnhof für Dorfbahnhof ab, braucht ewig, alle werden zu spät kommen. Jetzt hätte nur noch einer das Stichwort ("mit uns kann man's ja ...") geben müssen und alle hätten sich mit lüsterner Inbrunst dem Gemaule hingegeben. Statt dessen besteigen alle fröhlich tratschend den Bus und begrüßten die Fahrerin ("Moin!" "Moin!"), die mit leichter Stimme kundtut, daß sie auch keine Ahnung habe, was eigentlich los sei. Im Bus entsteht sofort eine Stimmung wie auf einem Betriebsausflug, die Fahrerin entschuldigt sich, daß sie keine Bonbons mitgebracht hat ("Obwohl ich doch so verfressen bin!").

Am nächsten Bahnhof hält der Bus, Palaver an der Tür: Einige wollen "gehört" haben, daß hier doch noch irgendwann ein Zug kommt. Allgemeines Rätseln in heiterer Geselligkeit. Und so geht die Reise weiter. Die Leute scheinen das Chaos als angenehme Abwechslung zu genießen, statt eine Gemeinheit zu wittern. Ist der "kleine Mann" zum Erwachsenen gereift, der in souveräner Gelassenheit das Beste macht aus Sachen, die er sowieso nicht ändern kann? Hätte André Heller in dem Bus gesessen - der Arme wäre gleich weitergefahren in die Psychatrische Abteilung des Hamburger Universitätskrankenhauses.

Ob das anhält? Kann man schwer sagen. Wer gewachsen ist, kann ja wieder schrumpfen. Was haben Sie denn empfunden, als Angela Merkel mit ihrer Entourage in Dortmund den Rasen betrat, um Klinsmann zu danken? Genau, ich auch: "Oh verdammt, die hatten wir ja völlig vergessen! Da ist sie wieder ..." Wäre es nicht herrlich gewesen, wir hätten den Weltmeistern statt der öden Kopie des Weltpokals das Original einer richtigen Großen Koalition mitgeben können? Als angemessene Rache für die 119. Minute?

Die hätten die nicht genommen, zu langweilig: Ihr fehlt der leichensüße Duft eines richtigen Skandals, ohne den man in Italien gar nichts werden kann. Aber wohin bloß mit Schwarz-Rot. Daß wir die loswerden müssen, bestreitet niemand. Früher konnte man Regierungen in die Opposition abschieben. Die gibt es in Deutschland aber nicht mehr, ist vergangenen Herbst in der Konsenssoße ersoffen.

Und nun? Aber natürlich! Warum sind wir darauf nicht gleich gekommen! Liebe Polen, wir haben da ein wirklich attraktives Angebot für euch: Bundesregierung spottbillig abzugeben, runtergesetzt (letzteres ist wichtig, damit der Umtausch ausgeschlossen bleibt).

Es wird lange dauern, bis die merken, was wir ihnen da untergejubelt haben. Außerdem ist gar nicht gesagt, ob die Polen das Schnäpchen nicht sogar ein wenig liebgewinnen, mit der Zeit. Denen ist alles recht - ein Volk, das laut Pressebericht eine Kartoffel zum Präsidenten gewählt hat, muß ja ziemlich verzweifelt sein.

Und das ist nicht übertrieben: Der polnische Botschafter in Berlin benimmt sich wie ein afrikanischer Diplomat, der nach einem Putsch zu Hause plötzlich allein im Regen steht, und wettert gegen die eigene Regierung. Das anschwellende Gekicher in allen Teilen der Welt über Lech "die Kartoffel" Kaczynski geht vielen Polen zunehmend auf die Nerven.

Die ballaststoffreiche Knolle liegt den Nachbarn schwer im Magen, der noch immer ein bißchen nervös ist. Das liegt an der Geschichte, deretwegen die Polen ein schwieriges Verhältnis zu Deutschland hätten, heißt es. Und zu Rußland. Und zu Litauen. Und zur Ukraine. Und zu Tschechien. Und zu ...

Jedenfalls nicht zu Angela Merkel, zumindest ist da noch nichts Wesentliches bekannt geworden. Also sollen sie die doch nehmen. Mit Regierungen, die außer Unordnung und Verwirrung nichts produzieren, haben die Polen Routine und können sehr gut ohne Führung leben. Wir schaffen das nur, wenn Weltmeisterschaft ist. Und deutsche Regierungschefs rasten auch nicht gleich aus, wenn sie mit Obst oder Gemüse verglichen werden, seitdem hier einer 16 Jahre lang Kanzler bleiben konnte, den sie zu Anfang "Birne" nannten.

 

"Sieht er nicht gesund aus, unser kleiner Liebling?" Zeichnung: Götz Wiedenroth


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