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29.07.06 / Deutsche Wurzeln / Reportagen über Besuche bei den deutschen Volksgruppen im "Osten"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Juli 2006

Deutsche Wurzeln
Reportagen über Besuche bei den deutschen Volksgruppen im "Osten"

Für die ahistorische Gesellschaft der Bundesrepublik sind einst selbstverständliche und beziehungsreiche Namen wie Kolberg, Frauenburg, Liegnitz, Trakehnen und Tilsit dem öffentlichen Bewußtsein entrückt. Wer weiß etwas vom Auszug der Donauschwaben unter Maria Theresia oder von mittelhochdeutschen Sprachinseln im Bergland des Banat? Warum weckt die stolze Geschichte Siebenbürgens, wo der letzte große Exodus der "Sachsen" erst in der Ära Ceausescu und nach 1989 einsetzte, nur bei wenigen Interesse?

Ungeachtet des ideologischen Lebensalltags findet unter jüngeren Deutschen, naturgemäß unter den Nachkommen der Vertriebenen, eine historisch-kulturelle Rückbesinnung statt. Obgleich selbst ohne biographische Wurzeln im "Osten", entdeckte Martin Schmidt, der Herausgeber und Hauptautor des vorliegenden Buches schon vor dem Mauerfall die alten Geschichtslandschaften, die Gastfreundschaft und den Nationalstolz der in ihrer Heimat verbliebenen Deutschen.

In der Mehrzahl kontrastieren die Reiseskizzen mit der hoffnungsvollen Prognose, die er aus der EU-Erweiterung und den Chancen einer deutschen Kulturrenaissance in den ostmitteleuropäischen Nachbarregionen ableitet.

In Kolberg und Stargard, beide vom Krieg verwüstet, berichten Schmidt und Koautor Thorsten Hinz über mancherlei Ansätze zur Wiederherstellung des alten Stadtbildes. Ein schönes Beispiel für die Bewahrung und Erneuerung der alten Kulturdenkmäler bietet das "Tal der Schlösser" bei Hirschberg, wo Angehörige der alten schlesischen Adelsgeschlechter sich in deutsch-polnischen Gemeinschaftsprojekten engagieren. Offen muß bleiben, ob aus der unter der polnischen Bildungsschicht wachsenden Hinwendung zu den deutschen Wurzeln der Region eine neue kulturelle Brückenfunktion Schlesiens erwächst. Aufgrund der Vertreibung der alten Eliten nimmt die stabile deutsche Volksgruppe in Oberschlesien eine solche über Volkstumspflege hinausgehende Aufgabe kaum wahr.

Zwei Reportagen aus dem nördlichen Ostpreußen stimmen, ungeachtet der Ansiedlung von knapp 10000 Rußlanddeutschen, wenig hoffnungsvoll. Wie soll diese Region zur erhofften Mittlerrolle zwischen EU-Europa und Rußland gelangen, wenn westliches Mißtrauen gegen das wiedererstarkende Rußland gepaart ist mit rivalisierenden Interessen der Anrainer und mit ostentativem Desinteresse der deutschen Politik? Die Widerlegung mancher Hoffnungen liefert die Notiz über den Ausreiseantrag der Familie Wortschel. Damit endet die Odyssee von Rußlanddeutschen, die, aus Kasachstan kommend, sich in den 90er Jahren in Weinoten bei Tilsit eine neue "deutsche" Heimat schaffen wollten.

Zwei Interviews seien als eindrückliche Dokumente menschlichen Leidens hervorgehoben: das eine mit Elvira Atapina, einer "echten" Ostpreußin, die bei der letzten großen Deportation aus Königsberg 1949 den Zug verpaßte. Sie sah ihre Eltern und Geschwister erst 1971 wieder. Das andere Gespräch führten die Eheleute Schmidt mit einer 75jährigen Deutschen in Elisabethtal, einem der unter Zar Alexander I. von Pietisten aus Württemberg in Georgien, südwestlich von Tbilissi, gegründeten Dörfer. Ihr Vater wurde von den Sowjets erschossen, ihr Mann, obgleich Deutsch-Russe, in die Trud-Armee gezwungen. Sie überlebte die Deportation "im 41. Jahr", zuerst in Kasachstan, dann im Amurgebiet, zuletzt in Samarkand, ehe sie 1956 ins Dorf zurückkehrte.

"Reisen zu den Deutschen im Osten Europas - Zwischen Oder und Memel, Karpaten und Kaukasus" besteht großenteils aus Augenblicksaufnahmen. Der Leser mag sich in Ergänzung zu den eingestreuten Geschichtsdaten einen historischen Abriß wünschen. Dank zahlreicher Abbildungen und touristischer Informationen eignet sich das Buch zur Vorbereitung von Reisen in die alten deutsch geprägten Regionen im "Osten". Die Einstimmung gibt Thorsten Hinz mit Impressionen aus Leba in Hinterpommern: "An kleinen Feldern glühen Ginster, Mohn und Kornblumen. Die Alleen bilden ein geschlossenes Dach, man wähnt sich in einer grüngoldenen gleichsam mythischen Kindheitslandschaft." Herbert Ammon

Martin Schmidt (Hrsg.): "Reisen zu den Deutschen im Osten Europas - Zwischen Oder und Memel, Karpaten und Kaukasus", Ares Verlag, Graz 2006, 240 Seiten, 29,90 Euro, Best.-Nr.


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