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19.08.06 / Wirtschafts-Piraten erobern Rußland / Kreml kann Korruption nicht stoppen - Obskure "Raider" erlangen immer mehr Einfluß

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. August 2006

Wirtschafts-Piraten erobern Rußland
Kreml kann Korruption nicht stoppen - Obskure "Raider" erlangen immer mehr Einfluß
von M. Rosenthal-Kappi

Jeden Tag gibt es in Moskau eine Firmenübernahme. An sich nichts Besonderes in einer Marktwirtschaft, wenn es sich nicht, wie meistens, um illegale, feindliche Übernahmen durch sogenannte „Raider“ (aus dem Englischen: Angriff, Raub, Firmenübernahme) handeln würde. Solche Wirtschafts-Piraten bedienen sich brutaler Mittel, bedrohen ihre Opfer, verüben Anschläge auf Geschäfte oder das Leben der Firmeninhaber, um Manager gefügig zu machen und des Unternehmens habhaft zu werden. Ein wilder, illegaler und brutaler Kapitalismus hat die Herrschaft der Oligarchen abgelöst. Diese Entwicklung der noch jungen Marktwirtschaft beunruhigt inzwischen in hohem Ausmaße die russische Regierung. Neben dem bedrohliche Maße annehmenden Bevölkerungsschwund des Landes hat Präsident Putin an zweiter Stelle die Korruption als eines der dringendsten Probleme, um die der Kreml sich kümmern muß, genannt. Die zerstörerische Wirkung der Raider auf die Volkswirtschaft bereitet dem Präsidenten Kopfzerbrechen. Sie untergraben das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem und die rechtsstaatliche Ordnung. Putin will deshalb die Antikorruptionsgesetze verschärfen, weil man, so heißt es, mit den bisher gültigen Gesetzen gegen die Kriminellen wenig ausrichten könne. In einem Referat vor Presse-Vertretern, das der Leiter des „Instituts für Probleme der Globalisierung“, Michail Deljagin, unlängst im Moskauer Presse-Zentrum hielt, erklärte er, daß von Raider- Attacken meist Firmen betroffen seien, die am effektivsten wirtschaften und dem Land stabilen Gewinn bringen. Dabei beschränken die Raider sich nicht auf private Investoren einzelner Unternehmen, sondern unterwandern die staatliche Wirtschaft als Ganzes, sie entziehen dem Land Investitionen. Dabei werden die zum Verkauf angebotenen Unternehmen auf barbarische Weise ausgebeutet. Gegen feindliche Übernahmen müsse man sich organisieren, riet Deljagin. Raider sind nicht immer leicht zu erkennen, da sie im Verborgenen arbeiten. Es sind nicht selten Juristen, Mitarbeiter verhafteter Oligarchen, die so korrupt sind, daß sie heute die Verteidigung eines Firmeninhabers übernehmen, um am nächsten Tag alle gewonnenen Information gegen ihn zu verwenden. Meist agieren sie über Mittelsmänner, bei deren Geschäften es sich lediglich um Briefkastenfirmen handelt. Am Ende treten Raider als legale Käufer auf. Raider gehen bei einer feindlichen Übernahme nach einem bestimmten Schema vor: Sie sammeln Informationen und Analysen über ein Unternehmen, die sie ganz legal über Internetforen, beim Finanzamt oder über das Gewerberegister erfragen können. Sie verschaffen sich Insider- Wissen durch Werksspionage, harmlos wirkende Mitarbeiterbefragung, durch Konkurrenten oder durch Einträge im Aktienregister. Im zweiten Schritt aktivieren sie Minoritäts-Aktionäre, die völlig legal Auskunft über Bilanzen verlangen können. Danach folgen Klagen gegen die Firmenleitung wegen Betrugsverdachts und das häufig vor entfernt gelegenen Gerichten in sibirischen Städten oder anderswo. Oft haben die Gerichtsverfahren Seriencharakter, Klagen werden an verschiedenen Orten der Föderation eingereicht, die alle das Ziel haben, das Unternehmen in den Bankrott zu führen. Gleichzeitig werden Desinformationskampagnen in Zeitungen und im Fernsehen gestartet, die das Ansehen der Firma beschädigen sollen. Ist ein Unternehmen durch diese Verwicklungen erst einmal angeschlagen, ist es für Raider ein leichtes, durch Aufkauf von Aktienpaketen die Übernahme der unterbewerteten Unternehmen mit Riesengewinnen zu erreichen. Mit gefälschten Gerichtsbeschlüssen verjagen sie schließlich den rechtmäßigen Eigentümer von seinem Besitz. Das Problem wäre mit geltendem Recht in den Griff zu bekommen, so Deljagin, man müsse nur die korrupten Beamten entlassen, denn ohne Kampf gegen die Korruption im Lande seien Raider nicht auszurotten. Im Fall Jukos hat der Staat sich selbst der Raider-Methode bedient. Staatsanwälte und Gerichtsvollzieher suchten den Konzern und dessen Mitarbeiter heim, Gerichte entschieden gegen das Unternehmen, Verteidiger waren bei Gericht nicht zugelassen, gewaltige Steuernachforderungen wurden nicht gestundet und der Konzerneigner Chodorkowskij verschwand hinter Gittern. Erst kürzlich wurde das Unternehmen für bankrott erklärt, die Übernahme durch den Staatskonzern „Rosneft“ steht bevor. Selbst Chodorkowskijs Privateigentum hat der Staat konfisziert. Noch lohnt sich das Geschäft für die Wirtschafts-Piraten. Es lachen Gewinne in Höhe von durchschnittlich 500 Prozent. Bislang ist die Gefahr, verurteilt zu werden, gering. Es gab bisher zwar 346 offiziell untersuchte Fälle feindlicher Übernahmen, aber nur 51 Gerichtsverfahren mit elf Urteilen, in denen geringe Haftstrafen verhängt wurden. In einem einzigen Fall ermittelt das Oberste Gericht gegen einen Richter eines Schiedsgerichts. Wirtschaftsminister German Gref beklagt, daß der Staat nicht in der Lage sei, Eigentümer vor solchen Kriminellen zu schützen. Er ist um Rußlands Ruf besorgt. Indessen macht sich Widerstand gegen Raider breit. In London trafen sich englische und russische Wirtschaftsexperten, Politologen und Finanzexperten am Runden Tisch. Mit von der Partie waren Vertreter des „Instituts für Probleme der Globalisierung“ und der „Konter-Oligarchen-Front Rußlands“ (KOFR). Das Phänomen der Raider ist auch im Westen bekannt. Russische Oligarchen haben längst erheblichen Einfluß auf die britische BP genommen sowie auf norwegische, türkische und russische Telekommunikationsunternehmen. Als Pionier der international agierenden Raider wurde die 1990 gegründete Alfa- Gruppe bezeichnet, deren Kampftrupps längst die EU erreicht hätten. Prof. David Lane von der Cambridge University bezeichnete die Geschäftsgebaren der Alfa- Gruppe als „ungebildet, kulturlos und aggressiv“ und schloß, daß Rußland wohl noch lange vor den Türen der zivilisierten Welt ausharren müsse. Daß man Rußland nicht in die WTO lasse, verwundere nicht. Das russische Kabinett hat als Reaktion eine umfassende Änderung der Unternehmensgesetzgebung beschlossen, nach der Aktionäre und Eigentumsrechte besser geschützt werden sollen. Künftig werden Klagen nur noch beim Gericht des Firmensitzes entgegengenommen und nicht mehr wie bisher überall im großen weiten Rußland. Wirtschafts-Piraten soll der Angriff auf ein Unternehmen schwerer gemacht werden. Doch wie man künftig die Korruption bekämpfen will, bleibt weiter offen.


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