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19.08.06 / Erfrischend unbelastet / US-Historiker legt meisterhafte Studie über das Phänomen Faschismus vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. August 2006

Erfrischend unbelastet
US-Historiker legt meisterhafte Studie über das Phänomen Faschismus vor

„Anatomie des Faschismus“ lautet der Titel eines Buches, das den völlig unnötigen, als Warnung zu verstehenden Untertitel „Die politische Gefahr des Faschismus ist keineswegs überwunden. Auf einer ersten Stufe existiert er auch heute in allen größeren Demokratien“ trägt. Dieser Untertitel ist nur bei der deutschen Ausgabe hinzugefügt worden und läßt das Buch in einem falschen Licht erscheinen. Der Autor Robert O. Paxton verfängt sich keineswegs in irgendeiner bei dem Untertitel zu vermutenden Debatte über Faschismus der Gegenwart, sondern setzt den Schwerpunkt auf eine Analyse dieses Phänomens in der Vergangenheit mit nur einem kleinen, informativen und absolut sachlichen Ausblick in die Gegenwart. Der 1932 geborene US-Historiker war lange Jahre Professor an der anerkannten Columbia University. 

Sein lockerer Schreibstil läßt vermuten, daß die Studenten seine vermutlich lebendigen und gleichzeitig lehrreichen Vorlesungen geliebt haben. Paxton beschreibt, warum der Faschismus eine europaweite Bewegung des 20. Jahrhunderts war. „Er ist keine lineare Projektion irgendeines politischen Trends des 19. Jahrhunderts. Es gab weder Begriffe noch Konzepte für den Faschismus, bevor kurz nach dem Ersten Weltkrieg Mussolinis Bewegung und ähnliche andere entstanden.“ So „… wurden die ersten Faschisten unter radikalen Veteranen, Nationalsyndikalisten und Intellektuellen des Futurismus rekrutiert - junge antibürgerliche Unzufriedene, die soziale Veränderungen in Verbindung mit nationaler Größe wollten“. Der Leser erfährt, wie Mussolini und Hitler geschickt mit den Sorgen und Ängsten der Menschen spielten. So wurde auch die deutsche Wirtschaft bezüglich ihrer Angst vor den erstarkenden Sozialisten und Marxisten zum spendablen Unterstützer Hitlers. Wer allerdings behaupte, daß Hitler ein Geschöpf der deutschen Unternehmerschaft gewesen sei, der irre. Diese hätten im Kampf gegen links keineswegs nur auf ein Pferd gesetzt, sondern jegliche nichtsozialistischen Wahlgruppierungen gefördert, in der Hoffnung, so die Marxisten von der Macht fernzuhalten. Auch sei Antisemitismus durchaus kein typisches Kennzeichen für den Faschismus. Mussolini sei beispielsweise anfangs vor allem von Juden unterstützt worden. 

Und auch in Deutschland sei der Antisemitismus erst Schritt für Schritt an die Bevölkerung herangetragen worden. Denn während der Antisemitismus in den USA, Polen und Frankreich stets vorhanden war, verlor er in Deutschland „in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg als politische Kraft an Bedeutung. Nach dem Krieg wurde es für Juden in der Weimarer Republik leichter … Sogar das wilhelminische Deutschland war vielleicht offener für jüdische Karrieren als die USA unter Theodore Roosevelt, mit wichtigen Ausnahmen zum Beispiel das Offizierskorps.“ In verständlicher Sprache geht der Autor auf die sogenannte Machtergreifung in Italien und Deutschland ein. Trennt Wahrheit und Legendenbildung akribisch voneinander. Auch die Gründe, warum Konservative in Deutschland sich auf Hitler einließen, schildert er ohne in einseitige Klischees zu verfallen. Nach der außerordentlich gelungenen Analyse des Faschismus der Vergangenheit wendet sich der Historiker der Gegenwart zu und streift dabei alle Ecken der Welt. „Ob man daran glaubt oder nicht, daß der Faschismus wiederkehren kann, hängt natürlich auch von der persönlichen Definition von Faschismus ab.“ Der Autor selbst sieht jedenfalls keine Gefahr, daß sich die Geschichte wiederholt, weist aber darauf hin, daß sie auf polemische Weise mißbraucht wird. „So wird die extreme Rechte in Europa regelmäßig und laut der Wiederbelebung des Faschismus beschuldigt.“ Außerdem fehle allen Rechtsradikalen der Gegenwart etwas für den Faschismus der Vergangenheit Wesentliches: ein Fundamentalangriff auf demokratische Verfassungen und Herrschaft des Rechts. Letztendlich ist der Autor überzeugt, daß sich Geschichte zwar nicht exakt wiederholt, wir jedoch trotzdem daraus Lehren ziehen könnten. Schlüssige Anmerkungen runden die meisterhafte Studie des Amerikaners ab, der das Thema möglicherweise auch durch seine geographische Ferne von Europa erfrischend unbelastet angegangen ist. Bel

Robert O. Paxton: „Anatomie des Faschismus“, DVA, München 2006, geb., 445 Seiten, 24,90 Euro, Best.-Nr. 5674


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