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02.09.06 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. September 2006

Zwei Fliegen / Wie Hartz IV den Terror besiegt, die Haushaltslücke schließt und den Machterhalt fördert  – und warum Ohnmächtige so gefährlich sind
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Politiker aller Richtungen beschwichtigen die Öffentlichtkeit, daß sie zwar mehr Überwachungskameras in Deutschland installieren wollen, aber „nicht flächendeckend“. Daß die Politiker die Flächendeckung mit soviel Verve dementieren, bedeutet nichts anderes, als daß sie zuvor ernsthaft mit diesem Gedanken gespielt haben. Wenn sie überhaupt welche hatten, Gedanken also.

„Flächendeckende Videoüberwachung“ heißt ja im Klartext: Kameras in jeder Straße, jeder Wohnung, in Wald und Flur und Kanalisation, selbst auf den Toiletten des Kanzleramts bis ins Häuschen hinein. Bei dieser Vorstellung wird die Kanzlerin ein Machtwort gesprochen haben.

Also bleibt’s bei Plätzen und Bahnhöfen. Als „Maßnahme zur Terror-Abwehr“, wie offiziell verlautbart wird. Das können wir nachvollziehen. Wie peinlich muß es einem Selbstmordattentäter sein, wenn sein Konterfei nach der Tat in allen Zeitungen steht! Diese Aussicht wird gewiß viele zur Einkehr bewegen.

Manches spricht indes dafür, die Attentate nicht bloß energisch aufzuzeichnen, sondern möglicherweise schon im Vorwege zu verhindern. Das weiß man in Berlin natürlich auch und gute Fachleute zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, daß sie in einem Schritt gleich mehrere Probleme auf einmal aus dem Weg räumen.

Wie Verkehrsminister Tiefensee, der zwei lästige Fliegen mit einer Klappe erlegen will: Terroristen und Hartz-IV-Empfänger. Erstere sollen sowieso weg und letztere müssen hin und wieder was auf den Deckel kriegen, damit das übrige Volk versteht, aus welchem Grund man sie so schlecht behandelt. Die Regierung muß ja moralisch begründen können, warum sie einem 53jährigen arbeitslosen Facharbeiter beinahe alles wegnimmt, was er sich in jahrzehntelanger Arbeit zusammengespart hat und ihn damit gleichstellt mit dem Lebenskünstler, der sich seit der Schule bewußt von jedweder Lohnarbeit ferngehalten hat.

Laut Tiefensee sollen die Hartz-IV-Leute nun also unsere Züge nach auffälligen Personen und   Gepäckstücken absuchen. Wie sehen auffällige Personen aus? Irgendwie orientalisch, sollte man meinen, und mit Tasche für die Bombe. Aber was machen denn die Billigwächter, wenn sie einen etwas zu dunklen jungen Herren mit Gepäck in der U-Bahn aufgespürt haben? Abführen und zur Polizei bringen? Gewaltige Schwärme schwarzhaariger Männer würden täglich durch Deutschlands Bahnhofshallen wogen, wie unfreiwillige Touristengruppen mit einem einsamen Reiseleiter vorneweg, der von der Stütze lebt. Tiefensee sollte seiner wuchernden Kreativität für den Rest der Legislaturperiode Urlaub gönnen. Daß der Mann über Phantasie verfügt, braucht er nun niemandem mehr zu beweisen.

Urlaub ist eine feine Sache, machen wir alle gern. Und wem wollen wir in der „schönsten Zeit des Jahres“ auf keinen Fall begegnen? Terroristen und Hartz-IV-Empfängern selbstverständlich. CSU-Generalsekretär Söder hat unseren Widerwillen mit dem Gespür eines Polizeihundes erschnüffelt und bellt: Urlaubsverbot für Hartz-IV-Empfänger! Daß es sich beim „Urlaub“ der Menschen mit dem 345-Euro-Salär bestenfalls um den Besuch bei der Mutter oder Zelten am Baggersee handeln kann, läßt Söder aus. Er weiß: Die Millionen von deutschen Urlaubern denken, daß ihnen die Stütze-Empfänger heimlich Liegen oder Strandkörbe wegschnappen und ihnen sogar bis in die Karibik folgen, um sich köstlich über die Idioten zu amüsieren, die ihre Pauschalreise selbst bezahlen müssen. Wer ist schon gern Idiot? Sowas macht sauer und schreit nach Bestrafung der Parasiten.

Mit Hartz IV hat sich die deutsche Politik wirklich ein außergewöhnliches Geschenk gemacht: Nicht nur, daß sich die Zahl der Leute, die man publikumswirksam als Schmarotzer verurteilen  darf, sprunghaft erhöht hat. Man verfügt nun über ein Riesenheer von Leuten, die ständig behaupten, daß sie ja gern arbeiten würden, wenn man sie denn ließe. An diesem Schlafittchen kann man sie jederzeit packen und für eine x-beliebige Aufgabe abstellen. Spargelstechen, Kranke pflegen, den Terrorismus bekämpfen … was kommt als nächstes? Den Libanon befrieden? Als Demokratie-Erklärer nach Afghanistan? Wir müssen ja bedenken, daß die Einsätze in diesen Ländern immer teurer werden. Nächstes Jahr, wenn Steuer- und Beitragserhöhungen mit dem Problem „Konjunktur“ schlußgemacht haben, könnte Berlin an allen Ecken und Enden auf Finanzierungsprobleme stoßen. Also brauchen wir viel mehr billiges Personal: Hartz-IV-Leute eben.

Darauf sollte man vorbereitet sein. Tiefensee hat sich mit seiner Zugwächter-Klamotte ja nur deshalb so viel Ärger eingehandelt, weil alle an der mangelnden Fachkompetenz der ins Auge gefaßten Kandidaten herummäkelten. Ein arbeitsloser Dachdecker sei nicht die Idealbesetzung für einen Posten, der für einen professionellen Wachmann vorgesehen sei, schlug es dem Minister entgegen.

Da gilt es anzusetzen. Es muß rechtzeitig dafür gesorgt werden, daß immer genug fachgerecht ausgebildete Hartz-IV-Empfänger  zur Verfügung stehen.

Aber wie soll man das arrangieren? Da muß man „antizyklisch“ vorgehen: Statt benötigte Kräfte einzustellen müßte die Öffentliche Hand jetzt erstmal gerade die rauswerfen, die besonders dringend gebraucht werden. Die Lücke füllen wir vorübergehend mit Tiefensees Ersatztruppe. Zudem sollte sie in den gefragten Bereichen massiv über Bedarf ausbilden.

Dann müssen die Rausgeworfenen oder gar nicht erst Übernommenen nur ein Jahr „reifen“, bis sie in den Hartz-Topf fallen und abgefischt werden können („Wir geben den sozial Benachteiligten  eine neue Perspektive!“). Die wären dann fachlich genauso gut wie Normalbeschäftigte, jedoch viel, viel billiger!

Wenn Ulla Schmidt mit ihren Plänen zur Einheits-Krankenkasse durch ist, müssen wir uns auch keine Sorgen mehr machen, daß unser Gesundheitssystem zusammenbricht, weil wegen der Hartz-IV-Schwemme zu wenig Menschen Beiträge zahlen. Das mit den Beiträgen besorgen dann nämlich „die mit den breiten Schultern“, neben Hartz-IV-Leuten, Terroristen und Neonazis die vierte Igittigitt-Gruppe unserer Gesellschaft.

Zwar zahlen die Breitschultrigen schon heute einen weit überproportionalen Anteil an den Einkommensteuern. Das macht aber nichts. Die haben schließlich trotzdem noch mehr als wir, weshalb wir jederzeit freudig einstimmen, wenn ein Politiker mal wieder fordert, daß die Starken „auch“ einen Beitrag zum sozialen Ausgleich leisten müßten.

Wenn dann auch nur einer von denen mault, packen wir ihn bei den Ellbogen, den spitzen, und halten ihm seinen neoliberal ergaunerten Wohlstand vor. Für Hartz-IV-Empfänger, Neonazis und Terroristen sind das die seltenen Glücksmomente, in denen sogar sie zur Mehrheitsgesellschaft gehören und mitschimpfen dürfen.

Einige Experten meinen ja überhaupt, daß der Terror vom Wohlstandsgefälle komme, Armut erzeuge Ohnmacht und die manchmal eine Neigung zum Terror. Wie gefährlich Ohnmacht ist, hat der Präsident der Islamischen Gesellschaft in Deutschland, Ibrahim El-Zayat, letzte Woche im „Stern“ erklärt: Seit dem 11. September 2001 habe sich die Atmosphäre für Muslime in Deutschland „ganz erheblich geändert“. Das erzeuge bei  Muslimen eine „große Unzufriedenheit“, die „bei vielen zu einem Gefühl der Ohnmacht wird“. Und, so El-Zayat schließlich: „Vielleicht ist es diese Ohnmacht, die bei dem einen oder anderen dazu führt, Dinge zu tun, die er nicht tun sollte.“

Also: Der 11. September hat eine Atmosphäre erzeugt, die in eine Ohnmacht mündete, welche Terroristen geboren hat, die den 11. September begangen haben. Es ist wahr: Wir müssen noch viel über fremde Kulturen lernen. Selbst ihre Logik ist viel unkonventioneller als die unsere.


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