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09.09.06 / Schön war die Kruttinna / Eine Tour durch die unverwechselbare ostpreußische Natur

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. September 2006

Schön war die Kruttinna
Eine Tour durch die unverwechselbare ostpreußische Natur
von Walter Sanden-Guja

Fast lautlos gleitet mein Boot auf den schnellen und klaren Wassern der Kruttinna stromab zum Muckersee. Nur das Knirschen der Staakstange im kiesig-sandigen Untergrund ist zu hören. Masurens schönste Wälder umgeben mich mit ihren himmelhohen, glattrindigen Kiefern, Fichten und dichtem Unterholz. Fast schließen sich die Baumkronen über der hineilenden Kruttinna. Ihre grünen Dächer, dunkel im Schatten, hell durchleuchtet in der Sonne, spiegeln sich in stromstillen Stellen. Eisvögel lassen sich vom Boot einholen, eilen voraus und warten wieder auf überhängenden Ästen und Wurzeln.

Das Weibchen eines großen Gänsesägers führt die Schar ihrer Jungen und sucht unter dicht belaubten Ästen nahe dem Ufer Deckung vor den Menschen. Die Kleinen können noch nicht fliegen, und so hält der sonst so scheue alte Vogel bei ihnen aus. Wie schön ist es, daß es hier so etwas noch gibt, daß noch alte Bäume mit so geräumigen Asthöhlen in den Wäldern um die Kruttinna stehen, in denen ein solch großer Vogel brüten kann.

Vor der Mündung in den Muckersee wird es freier. Der Wald tritt zurück. Wiesen und die weite Wasserfläche liegen vor mir. Aber ein Waldland bleibt es doch! In der Runde trifft das Auge überall auf dunkle Waldränder. Wie Scheidelinien wirken sie und sind in Wirklichkeit die schönste und kostbarste Verbindung, die es zwischen Seen, Feldern und Wiesen geben kann.

Unsere starken, glatt und astrein gewachsenen Birken mit ihren im Winde wehenden Zweigen, unsere gesunden, langen Erlen in den dunklen Brüchen, oft gemischt mit älteren, wertvollen Eschen, gaben ein Nutzholz her, wie es im übrigen Deutschland kaum zu finden war. Birken und Erlen werden dort fast nur Brennholz. Die schnurgeraden, astreinen Kiefern unserer Heimat waren bekannt und gesucht wie keine anderen. An vielen Stellen standen sie in unserer Provinz, reckten ihre mächtigen, dunklen Kronen über Fichten-, Weißbuchen- und Eichen-Unterholz in den Himmel hinein. Wenn wir uns, auf den Seen fahrend, von Rudczanny im Beldahnsee Nikolaiken näherten, dann standen noch vor der Fähre Wirsba auf beiden hohen Uferseiten solche Kiefern, wiegten ihre Kronen im lauen Sommerwind, während die hellen Schönwetterwolken über die weiten Wälder und blauen Seen hinzogen. Immer war dieses Land schön, auch im Spätherbst, wenn der Sturm unter grauem Himmel über graue Seen dahinfuhr, in den Wäldern brauste und die alles überragenden Kiefern bog und schüttelte.

Die Vielseitigkeit, die unsere Heimat auf allen Gebieten besaß, die sie so reizvoll machte und uns heute so unvergeßlich ist, die war ihr auch in ihren Wäldern zu eigen. Ostpreußen besaß alle Bodenarten, den leichten, sandigen Masurens, die tiefgründigen, fruchtbaren Ackerflächen um Rastenburg bis hinauf über Königsberg zu den in fast ältester Kultur daliegenden des Samlandes, die ertragreichen Niederungen unserer Ströme, die Moore im Frisching, im Großen Moosbruch und den gelben Sand unserer Nehrungen, aus dem der Sturm die Dünen baute. Weite Strecken gab es mit schweren und schwersten Lehm um Wehlau, Insterburg und Gerdauen.

In Ostpreußen war die Enge, das Aufeinandersitzen der Menschen, aus dem die meisten Übel kommen, nicht so groß. Auch die Wälder brauchten noch nicht von allen guten Böden zurückgedrängt zu werden dorthin, wo nichts anderes mehr wachsen würde. Bei uns durften sie auch auf guter und bester Heimaterde stehen. Die Wälder haben das gedankt und uns bewiesen, daß es richtig war, ihnen auch solche Landesteile zu gönnen. Sie lieferten ein Holz von fabelhaftem Wuchs und bester innerer Beschaffenheit. Bei richtiger Behandlung in Kulturen und späteren Durchforstungen gestatteten diese Wälder einen Umsatz, das heißt Einnahmen, von denen die Menschen, die nicht echte ostpreußische Forstwirte waren, sich nichts träumen ließen.

Die riesige Johannisburger Heide, die ihrer starken Hirsche wegen so oft ihren Herrn gewechselt hat, blieb doch immer einer unserer schönsten Heimatwälder. Dann die Marschallheide - zwischen Guja und Drengfurt, dieser 4000 Morgen große Privatwald, der vielen Besitzern gehörte und doch so tadellos gepflegt war, daß er zum Beispiel werden konnte. Ich denke an die weiten Wälder nördlich der Memel, mit ihren langen Bodenwellen unter den Kronen alter Eichen, Kiefern und Birken. Für immer hat es sich mir ins Herz geprägt, wenn ich im Herbst nach der Fähre bei Ragnit über den Memelstrom auf die jenseitigen fruchtbaren Wiesen kam, über deren ebene Fläche man hinsah bis zum Jura und immer weiter nach Osten. Gegen Norden waren sie umrandet von Wäldern, die zur Brunft der Hirsche ihren schönsten Schmuck angelegt hatten.

Wie still und warm konnten dort sonnig-klare Herbsttage sein, an denen die weißen Altweibersommerfäden über die noch grünen Wiesen schwebten, einzelne große Segel fast bewegungslos auf der Memel standen, und die warmen Sonnenstrahlen wie verklärt durch das goldene Laub der Wälder schienen! Und im Gegensatz dazu das Kommen der Nacht, das Werden des Tages!

Nebel über den Wiesenweiten und Nebel über den Moosbeerenbrüchen und freien Frostlöchern des Waldes, melodische Rufe eines Kranichheeres, das unter fernen Sternen südwestwärts zog. Und vor uns auf der Lichtung und der anschließenden Roggensaat das Schreien und Stampfen der Hirsche, nur noch Schatten im fahlen Büchsenlicht. Endlos schienen diese Wälder sich zu dehnen. Sie wurden zu einem weiten Kronenmeer, wenn der Weg auf den Rombinus, einen anderen freien Hügel oder ein hohes Ufer des alten Memel-Urstromtales führte. Dann gab es keine Grenzen für das Auge.

Wohl sind alle Wälder Deutschlands schön und ein Ruhm ihres Schöpfers, aber ihre Vielseitigkeit reicht nicht heran an jene Wälder Ostpreußens. Es ist nicht möglich, alles zu erwähnen in einem begrenzten Rahmen, von der Elchniederung mit ihren Brüchen und Wasserstraßen, mit der sie umgebenden einzigartigen Welt des Kurenhaffes, den Nehrungswäldern und dem merkwürdigen Kupstengelände bis zu den großen Forstrevieren von Finckenstein, Schönberg, von Kranichburg, Astrawischken und Steinort und allen denen, die noch dazwischen liegen.

Voller Leben waren unsere Wälder. Wir lagen in einem Kreuzpunkt der Wetter- und Luftströmungen, aber ebenso auch in einem der Vogelzugstraßen. Es gab nicht nur die eine über die Nehrung, auf der sich der Zug besonders zusammendrängte und am meisten in die Augen fiel. Über die ganze Breite der Provinz zogen die Vögel im Herbst und im Frühjahr, und sehr viele blieben bei uns, durchjubelten unsere Wälder im Frühjahr und zeigten ihre Flugbilder im Herbst.

Es war nicht unser Verdienst, daß der Elch bei uns gedieh, die starken Rothirsche in Rominten und in vielen anderen Revieren, das Reh mit solchen Gehörnen und so schwerem Wildbret, das edle Raubzeug, Kranich, Schwarzstorch und die vielen Höckerschwäne. Wenn wir aber jetzt an unsere Heimat denken, in der der Tod geerntet hat wie selten sonst unter uns Menschen und unseren freien Tieren, dann können wir ruhig auf unsere jetzt so oft zur Tatenlosigkeit verurteilten Hände herabsehen; gegen das lebendige Leben unserer Wälder und Reviere haben sie sich nicht versündigt.


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