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16.09.06 / Die Türkei bleibt draußen / EU-Beitrittsverhandlungen vor dem Aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. September 2006

Die Türkei bleibt draußen
EU-Beitrittsverhandlungen vor dem Aus
von Klaus D. Voss

Die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union rückt in die Ferne - die türkische Regierung zeigt sich unnachgiebig, Forderungen zur Anpassung an die Grundwerte der EU tatsächlich zu erfüllen. Dagegen ist das Ja der EU zum Beitritt Bulgariens und Rumäniens schon im Januar 2007 so gut wie sicher - in Brüssel geht man davon aus, daß sich die Gemeinschaft bis zum Schwarzen Meer ausdehnen wird.

Ende September wird die EU-Kommission die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens um ein Jahr vorziehen. Vier Wochen nach dieser Entscheidung fällt dann das Votum im Sachen Türkei - mit großer Sicherheit ein Nein, falls nicht noch ein politisches Wunder geschehen sollte.

Den Ton gibt Frankreich vor, seit Beginn der Gespräche auf der Seite der Skeptiker: Staatspräsident Jacques Chirac hat den türkischen Regierungschef Erdogan in scharfer Form aufgefordert, das Ankara-Abkommen endlich umzusetzen. Sonst sei die Fähigkeit, die Beitrittsverhandlungen fortzusetzen, generell in Frage gestellt. Auch Griechenland - der Nachbar profitiert am meisten von der EU-Öffnung für die Türkei - setzt sich nicht mehr für schnelle Aufnahme ein. Ministerpräsident Kostas Karamanlis ist enttäuscht von der türkischen Regierung.

Vom Europäischen Parlament bekommt die Türkei keine Rückendeckung mehr. Der Außenpolitische Ausschuß hat in seiner Stellungnahme zum EU-Beitritt dem Kandidaten "unzureichende Fortschritte und fortbestehende Mängel" vorgehalten, insbesondere bei der Meinungs- und Religionsfreiheit, bei der Achtung der Rechte von Frauen und Gewerkschaften sowie bei der wirksamen Umsetzung von Gerichtsurteilen. Das war die in letzter Minute abgemilderte Form der Ausschuß-Empfehlung, die - so der deutsche Vorsitzende Elmar Brok (CDU) - die Aufnahme der Türkei allenfalls am Ende eines "langen und offenen Prozesses" sieht. Scharfe Türkei-Kritiker wie der CSU-Sprecher im Europa-Parlament Bernd Posselt sprachen offen von einem schweren Rückschlag für die Türkei. Posselt beschwerte sich außerdem, daß "niemand in der EU den Mut aufbringt zu erklären, daß die Türkei für eine Vollmitgliedschaft nicht geeignet ist".

"Amnesty international" wirft der Türkei vor, die umstrittenen Sondergerichte nicht abgeschafft, sondern nur umbenannt zu haben. Auch die Todesstrafe sei nicht aus dem Strafrecht gestrichen, sondern nur ausgesetzt worden.

Nach dem Ankara-Abkommen muß die Türkei allen EU-Mitgliedern freien Zugang zu Flug- und Seehäfen gestatten - das ist die Nagelprobe für die türkische Regierung. Seit 2004 ist die Mittelmeerinsel Zypern Vollmitglied der Gemeinschaft - und nach wie vor hält die Türkei den Nordteil der Insel unter seiner Kontrolle und verweigert zyprischen Schiffen und Flugzeugen Landerechte.

Ein Einlenken Ankaras ist nicht in Sicht: "Wenn die Verhandlungen zum Stillstand kommen, dann kommen sie eben zum Stillstand", wetterte Erdogan vor Wirtschaftsführern in Istanbul. Er bekam kräftigen Beifall nicht nur von den Unternehmern, auch im Land hat sich die Stimmung gegen die EU gekehrt. Nach dem Eurobarometer von Juli 2006 sinkt die Zustimmung der Türken für einen EU-Betritt seit Monaten auf jetzt nur noch 45 Prozent. Die EU-Bürger sind mehrheitlich gegen die Aufnahme Ankaras, die Deutschen lehnen die Türkei als EU-Mitglied mit Zweidrittel-Mehrheit (69 Prozent) ab.

In Brüssel arbeiten hochrangige Beamte schon an einem "Plan B", mit dem das offenkundige Scheitern der Beitrittsverhandlungen umschrieben und in einen neuen Terminplan eingebunden werden soll. Außenminister Walter Steinmeier, ab Januar 2007 mit Beginn der deutschen EU-Präsidentschaft ohnehin als erster im Ring, will verhindern, daß sich die Angelegenheit zu "einer Krise auswächst". Im Schatten der drohenden Türkei-Krise kann, so wird in Brüssel kalkuliert, der Beitritt Rumäniens und Bulgariens ohne größeres Aufsehen vorgezogen werden. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn wird allerdings nur einen Beitritt zweiter Klasse vereinbaren. Die Beobachter erwarten, daß Brüssel am 26. September zwar die Erweiterung der Gemeinschaft von 25 auf 27 Mitglieder beschließt, Rumänien und vor allem Bulgarien aber mit einer Reihe von Schutzklauseln ausgrenzen wird. Besonders der Regierung in Sofia hält Brüssel vor, nichts Entschiedenes gegen Korruption und organisiertes Verbrechen unternommen zu haben. Deswegen können zum Beispiel mit Hilfe der Klauseln bulgarische Gerichtsurteile nicht anerkannt, Fördergelder sofort ausgesetzt werden, wenn sich Hinweise auf illegale Verwendung ergeben sollten. In diesen Schutzbestimmungen liegt auch der Grund für den vorgezogenen Beitrittstermin - 2008 müßten nach der EU-Beschlußlage beide Staaten ohne Wenn und Aber aufgenommen werden. Die EU-Kommission will beide Länder mit dem Hinweis zu mehr Kooperation zwingen, daß ihr Beitritt bei den EU-Bürgern "nicht sehr populär ist".

Menschenrechte nicht garantiert

Die Serie von Anschlägen auf Christen in der Türkei reißt nicht ab. Das Versprechen, Religionsfreiheit zuzulassen, bedeutet auch, den Schutz der religiösen Minderheiten im Alltag durchzusetzen. Es geht um die Region Tur Abdin im Südosten der Türkei nahe zum irakisch-syrischen Grenzgebiet. Dort leben rund 3000 assyroaramäische beziehungsweise syrisch-orthodoxe Christen. Zwar garantiert die türkische Regierung den vertriebenen Christen die Rückkehr, allerdings ist die Sicherheit in den Dörfern nicht gewährleistet. Die letzten Vorfälle: Handgranaten-Anschlag auf einen christlichen Bürgerrechtler, ein Überfall auf einen Dorfbewohner, Prügelei zwischen 20 Kurden und drei Christen. (Vs)


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