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16.09.06 / Unter Geiern - Natascha Kampuschs zweite Gefangenschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. September 2006

"Moment mal!"
Unter Geiern - Natascha Kampuschs zweite Gefangenschaft
von Klaus Rainer Röhl

Wie es ihr in den acht Jahren ihrer Gefangenschaft bei einem vermutlich geistig gestörten Verbrecher ergangen ist - besonders während des ersten halben Jahres, als sie ohne Hoffnung auf Befreiung in einem fensterlosen Kellerverlies dahinvegetierte -, wissen wir nicht, denn Natascha Kampusch schweigt darüber. Sie muß schweigen, darüber hat sie sogar einen Vertrag abgeschlossen. Hatte ihr der pädophile Psychopath Wolfgang Priklopil acht Jahre lang verboten, mit irgendeinem Menschen zu reden, so tut das jetzt der Wiener "News"-Verlag und die beteiligte deutsche WAZ-Gruppe. Das weltweit verkaufte Fernseh-Interview am nächsten Tag ist ebenfalls nach allen Regeln der Kunst gegen Fremdvermarktung abgesichert. Sie haben die Hand drauf, keine Frage an Natascha Kampusch ohne ihre Genehmigung. Acht Jahre lang hatte Wolfgang Priklopil die Hand darauf.

Wir wissen, daß Menschen manchmal Extremsituationen wie dieser - eingepfercht wie ein Tier und reduziert auf die bloße Existenz - ausgesetzt waren und sie überstanden haben.

Psychisch robuste Opfer überstehen Extremsituationen durch einen Abschaltmechanismus, der einer Ohnmacht ähnlich ist. Die unmittelbare Folge ist meist ein teilweises Ausblenden dieser Szenen aus der Erinnerung bis zum totalen Gedächtnisverlust. Eine gnädige Einrichtung der Natur, die man spätestens seit Freud systematisch aufzubrechen sucht, weil man meint, dem Opfer durch die Wiedererinnerung des Verdrängten zu helfen. Schon Freud wurde beschuldigt, dabei auch vorrangig seine eigene Neugier befriedigt zu haben. Nicht immer zum Glück seiner Patientinnen.

Natascha Kampusch aber hatte noch weniger Glück: Sie fiel gleich einem ganzen Dutzend Betreuer aller Art in die Hände. Einige verwandelten sich unter der Hand in "Medienbetreuer". Mit dem armseligen Seelenkrüppel Priklopil hatte sie in den vielen Jahren ihrer Gefangenschaft umzugehen gelernt. Wahrscheinlich war sie, das Opfer, am Ende tatsächlich stärker als er. Aber auf das, was nach ihrer Befreiung auf sie zukam, war sie nicht vorbereitet. Sie befand sich, unvorbereitet, unter Geiern.

Von nun an ist die 18jährige wieder eine Gefangene. Interview und Fernsehauftritt wurden tagelang vorbereitet und die einzelnen Fragen und Antworten immer wieder durchgespielt. Manchmal verplappert sich die 18jährige trotz sorgfältigem Training beim Fernseh-Interview: "Sie sind ja jetzt ziemlich von der Außenwelt abgeschirmt. Sie haben in Ihrem Brief geschrieben, daß es Ihnen hier sehr gut geht und man sie gut behandelt. Sie haben aber auch gesagt, Sie fühlten sich vielleicht ein bißchen bevormundet." Antwort: "Es ist wirklich sehr schwer. Alle Leute wollen einen irgendwie beeinflussen ..." Das war deutlich.

Wie es ihr in den acht Jahren ihrer Entführung ergangen ist, wissen wir nicht. Wie es ihr in den Wochen nach ihrer Befreiung ergangen ist, sehen wir - schlecht. Sehr schlecht. Die österreichische Polizei, bei der sie zuerst Schutz suchte, ließ sie gar nicht gleich zu ihrer Mutter, die sie in die Arme genommen hätte, wie alle Mütter ihre verlorenen Kinder dieser Welt. Und die ein Recht dazu gehabt hätte nach einem Gesetz, das besteht, solange es Familie und Gesellschaft gibt. Statt dessen schaltete die Polizei sofort einen und sehr bald sogar mehrere sogenannte Experten für mißbrauchte Mädchen ein, die sogleich begannen, den Fall im Sinne ihrer erlernten Ideologie auszuschlachten, nämlich der auch in Österreich längst vorherrschenden feministischen Sicht des Mißbrauchs. Schlimmer. Statt das Kind, das mit Stimme und Wortwahl einer altklugen Schülerin Volljährigkeit vortäuscht, abzuschirmen und ihm die erforderlichen Jahre Zeit zu geben, die traumatischen Erlebnisse zu vergessen - oder behutsam aufzuarbeiten, lieferten sie Natascha Kampusch den Geiern der Medien aus, die einen Jahrhundert-Coup wittern und zwar einen, der weit über einen Entführungs- und Mißbrauchsfall hinaus Millionen abwerfen würde, eine endlose Fortsetzungsgeschichte einschließlich der Verfilmung durch Hollywood. Die Vorgänge in den Chefetagen der großen deutschen, österreichischen und schweizerischen Pressekonzerne lassen sich leicht rekonstruieren: Ein verzweifelter Kampf, dessen Ausgang den Kopf des für die Niederlage verantwortlichen Mitbieters kosten konnte und der von Anfang an mit höchstem Einsatz geführt wurde. Am Ende erhielt statt der "Bild"-Zeitung und ihrer österreichischen Konkurrenz "Kronenzeitung" überraschenderweise das Wiener Magazin "News" und die deutsche Verlagsgruppe "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ) den Zuschlag. Die Konkurrenz mußte sich maulend mit dem Nachdruck des Interviews und der Fotos aus der Internet-Ausgabe des Vorabends begnügen, von den Lesern kaum wahrnehmbar, ein schwacher Trost für die grollenden Chefredakteure. Aber alle brachten dann erbarmungslos die Legende von der bewundernswert "starken Frau", die die Sache mit dem paranoiden Mann bald völlig im Griff gehabt habe. Die starke Frau, eine Lesart, die die Betreuergruppe sogleich in Umlauf gesetzt hatte, um die Auslieferung des ihr anvertrauten 18jährigen Verbrecheropfers, mental eher eine Minderjährige, an die Geier der Massenmedien zu rechtfertigen: Seht her, diese seit ihrem zehnten Lebensjahr völlig isoliert aufgewachsene junge Frau ist so gebildet wie belesen und reif. Sie spricht druckreif, im schicken lila Knitterlook und lila Kopftuch, sicher wie eine Sprecherin, die vom Teleprompter liest vom "paranoiden Typ", von einer möglichen "Klaustrophobie", von "panikartigen Zuständen" und dem schlechten Gewissen, das ihr Peiniger versuchte, "massivst zu verdrängen" und davon, daß sie bei Begegnung mit Menschen "Herzklopfen und Kreislaufprobleme" hatte. Dazu hat sie Kenntnis der Probleme der "gefolterten, mißbrauchten und ermordeten jungen Frauen in Mexiko", denen und deren Angehörigen sie helfen möchte mit dem vielen Geld, das sie nun durch ihre Verträge mit den Medien verdienen wird. Das kann man nicht alles auswendig lernen und auch nicht vom Teleprompter ablesen. Natascha Kampusch war für ihre Rolle schon gut vorbereitet. Als Dauerhörerin des österreichischen Kultursenders "Ö 1". Als aufmerksame Bücher- und Zeitungsleserin. Sicher nicht von Zeitungen à la "Bild"- und "Kronenzeitung". Sie und ihre Betreuer haben sich gesucht und gefunden. Ein Hoch auf den Sender. Ein Hoch auf die Schülerin. Zweiter Bildungsweg über "Ö 1", ohne Ablenkung, ohne Pubertätsprobleme, erste Liebe, Discos, Haschisch, schlechte Freunde, schlechte Filme und schlechte Zeitungen. So eine 18jährige, signalisieren ihre "Betreuer", hat natürlich auch über ihre zukünftigen Exklusiv-Verträge den vollen Durchblick und kann alle Verträge abschließen, allerdings gestützt auf ihren "Medienberater". Dreimal darf man raten, wann dieser Sieger der ersten Runde einem noch ausgefuchsteren Profi weichen wird. Es geht schließlich um viele Millionen. Wenn der Film kommt, um sehr viele Millionen.

"Frau Kampusch braucht nach den letzten Tagen Ruhe und Schutz", sagte der Sprecher des multidisziplinären Teams aus zehn Fachrichtungen, das die 18jährige betreut. Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben.

Foto: Im Fokus des öffentlichen Interesses und der allgemeinen Neugier: Das Fernseh-Interview mit Natascha Kampusch sahen Millionen Fernsehzuschauer weltweit. Um die Exklusivrechte ihrer Entführungsgeschichte stritten zahlreiche Medien.


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