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16.09.06 / Auch Goethe verweilte hier / Das Touristik-Museum im Berner Oberland ist einen Besuch wert

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. September 2006

Auch Goethe verweilte hier
Das Touristik-Museum im Berner Oberland ist einen Besuch wert
von Esther Knorr-Anders

In Unterseen, im Berner Oberland, wurde 1980 ein ebenso sehenswertes wie wichtiges Museum ins Leben gerufen. Bewußt als regionale Institution gestaltet, führt es die touristische Entwicklung in einem historisch gewachsenen Fremdenverkehrsgebiet vor Augen. Das Berner Oberland wurde Reiseziel unzähliger Besucher aus dem In- und Ausland, welche die Jungfrau-Region mit ihren Gletschern und Wasserfällen, den Thuner- und den Brienzersee sowie den gepriesenen Kurort Interlaken kennenlernen wollten.

Das Museum befindet sich in einem Gebäude von anno 1686. Über drei Stockwerke erstreckt sich die ständige Sammlung. Wechselausstellungen finden im Dachgeschoß statt. Was erwartet den Gast? - Alles, was das Herz eines Bergsteigers, Wanderers, Skifahrers oder Rodlers höher schlagen läßt. Und das Herz schlägt um so freudiger bei dem Gedanken, daß man sich dieser alten Bergloks, Postkutschen, Gemmiwägeli (zur Überquerung des Gemmipasses), der hochrädrigen Velos und halsbrecherischen Bobs nicht mehr bedienen muß. Aber anschauen und im Geist die Fahrten mit den historischen Verkehrsmitteln mitmachen, das ist ein Heidenspaß ...

Die 1822 geschaffenen Zeichnungen von Louis Villeneuve geben Szenen einer Oberlandreise wieder. Oft führte der Weg von Thun per Schiff nach Interlaken. Mutige Wanderer überquerten die "Kleine und Große Scheidegg" zu Fuß, auf dem Maultier oder in der Sänfte. Jean Jacques Rousseau und Goethe gehörten zu den berühmtesten Besuchern des Oberlandes. Goethes Originalhandschrift des Gedichts "Gesang der Geister über den Wassern" hütet das Museum als Kostbarkeit.

Im 18. Jahrhundert existierten nur wenige Hotels in der Region. Übernachten war möglich in Unterseen und Interlaken. In den Dörfern war man auf die Gastfreundschaft der Einheimischen angewiesen. Durch den Ansturm der Gäste änderte sich das bald. Hotels und Pensionen, das "Chalet Jungfrau" an der Höhematte entstanden, Berggasthöfe wurden errichtet und Bergbahnen gebaut, die weit in die Täler und auf die Gipfel führten. Es waren Zahnrad- und Standseilbahnen.

Die Krönung war die Jungfraubahn. Im Dezember 1844 erhielt der Zürcher Industrielle Guyer-Zeller (siehe auch nebenstehenden Beitrag) die Erlaubnis zum Bau dieses alpinen Wunderwerks. Ganz ohne Zwischenfälle verlief es nicht. Guyer-Zeller verstarb, infolgedessen wurden die Arbeiten geraume Zeit unterbrochen. 1908 explodierten 150 Kisten Dynamit im Tunnel; in Grindelwald barsten die Fensterscheiben. Dennoch: die 9,3 Kilometer lange Bahn, eine 1-Meter-spurige elektrische Zahnradbahn mit 25 Prozent größter Steigung, führt von der "Kleinen Scheidegg" (2064 m) an der Wengernalpbahn zum Eigergletscher und durch einen 7,1 Kilometer langen Tunnel zum 3457 Meter hohen Jungfraujoch. Diese letzte, höchste Bahnstation Europas, wurde am 1. August 1912 eröffnet. Der Wirklichkeit gewordene Plan kostete 14,9 Millionen Franken. Er machte sich bezahlt. Der Traum, die Bahn bis zum Jungfraugipfel zu führen, ließ sich allerdings nicht verwirklichen. Den erfüllten sich die Bergsteiger. Erstbesteiger des Jungfraugipfels waren 1811 die Brüder Johann und Hieronymus Meyer; 1854 wurde das Wetterhorn bestiegen und der letzte Brocken im Reigen der eroberten Berggipfel war 1878 das Mittagshorn. Doch nicht nur durch waghalsigen Bergbahnbau, sondern auch mit Schiffen und Wanderwegs-Markierungen machte die Region von sich reden. Passagierschiffe wurden auf dem Thuner- und Brienzersee eingesetzt. Niemand wird sich dem Zauber einer solchen Schiffsreise verschließen können. Die Häupter nebelverhangener Felskolosse ragen geisterhaft aus weißen Wolkenschwaden; tiefe Stille beim Passieren der Beatenbucht.

Wandermarkierungen gab es schon im 17. Jahrhundert. Originellerweise wurden sie "Stundensteine" genannt, denn sie gaben die Strecke in Marschstunden an. Über die Kopie eines solchen Steines verfügt das Museum. "Elf Stunden nach Bern", verkündet die Gravur.

Ein Volksbrauch muß erwähnt sein: der "Kiltgang", etwa dem "Fensterln" in Bayern vergleichbar. Bezaubernde Bildwerke geben die Besuche der Burschen bei ihren Mädchen wieder. Man ging einzeln oder zu mehreren und ließ zunächst unter dem Fenster der Angebeteten Zärtlichkeitsbekenntnisse in die Nacht tönen. Öffnete sich das Fenster auf dem Gade (Dachstube), durfte man einsteigen und wurde mit Kirschwasser beköstigt. Dabei soll es geblieben sein. Und da gegenteilige Zeugnisse im Touristik-Museum nicht vorhanden sind, wollen wir den Älplern glauben.

Das Touristik-Museum der Jungfrau-Region, Obere Gasse, CH-3800 Unterseen, ist vom 1. Mai bis Mitte Oktober dienstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet.


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