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16.09.06 / Was vom alten Allenstein zeugt / Die Vertriebenen der Stadt werden ihre Kirchen und Schulen fast alle wohlbehalten wieder finden

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. September 2006

Was vom alten Allenstein zeugt
Die Vertriebenen der Stadt werden ihre Kirchen und Schulen fast alle wohlbehalten wieder finden
von Ernst Jahnke

Daß Allenstein von den Polen "Olsztyn" genannt wird, das wissen alle Ostpreußen und wohl auch die meisten Bundesbürger. Aber längst nicht alle wissen, wenn sie "Olsztyn" hören oder sogar selbst dorthin reisen, daß es sich hierbei um Allenstein handelt. Sie haben vielleicht ihren Prospekten entnommen, daß "Olsztyn" die Hauptstadt der Woiwodschaft Ermland / Masuren sei. Aber sie wissen nicht mehr, daß Allenstein bis 1945 die Hauptstadt des preußischen Regierungsbezirks Allenstein war. Gewiß haben die Polen im Jahre 2003 das 650jährige Bestehen dieser Stadt gefeiert, aber immer hieß es nur "650 lat Olsztyna", obwohl im Jahre 1353 die Stadt Allenstein gegründet wurde und der Name von "Stein (=Burg) an der Alle" hergeleitet wurde.

Die Burg, die man bald auch Schloß nannte, muß zu dieser Zeit schon bestanden haben. Sie war aber keine Ordensburg, wie man heute in vielen Prospekten lesen kann, sondern die befestigte Residenz des ermländischen Domkapitels. Heute beherbergt sie ein Museum mit "Baben" genannten steinernen Götterfiguren der Prußen und Aufzeichnungen von Nicolaus Copernicus, der hier von 1516 bis 1519 als Landprobst residierte. Ihn findet man heute sitzenderweise als lebensgroße Bronzefigur vor dem Schloßeingang und versöhnt die alten Allensteiner damit, daß man "ihre" Copernicusbüste von dieser Stelle an einen Platz unterhalb der Burg versetzte und statt des früheren Baldachins mit einer längeren polnischen Inschrift versehen hat.

Wenn schon von Copernicus, Deutschen und Polen die Rede ist, muß man unbedingt das "Kopernikus-Haus" erwähnen, das diesen Dreiklang besonders vereint. Früher war dieses Haus in der Bahnhofstraße das Finanzamt. Nach dem Krieg diente es der polnischen Polizei. In renovierungsbedürftigem Zustand erwarb es die Stadtgemeinschaft Allenstein im Jahre 1996 von der Woiwodschaft für die "Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit" (AGDM). Diese wurde Eigentümerin, renovierte das Haus in jahrelanger Arbeit so gründlich, daß es heute ein Schmuckstück der Stadt darstellt. Die AGDM, die in diesem Jahr ihr 15jähriges Bestehen feiern konnte, hat hier nicht nur ihren Sitz, sondern auch Unterkunfts- und Versammlungsräume. Verschiedene Ausstellungen wurden hier auch von den polnischen Stadtoberen besucht, aber größten Anklang bei den Polen, besonders bei der Jugend, haben die Deutschkurse gefunden, für die neben Unterrichtsräumen auch ein Sprachlabor zur Verfügung steht. So ist man dem hohen Ziel einer deutsch-polnischen Begegnungsstätte schon recht nahe gekommen. Doch zurück zur Burg oder zum Schloß.

Unterhalb wurde auch ein Freilufttheater errichtet, das vielen Zuschauern Platz und einen schönen Blick auf das Schloß bietet und das schon viele Musik-, Tanz- und Folklore-Veranstaltungen erlebt hat.

Von der Burg, dem ältesten Wahrzeichen der Stadt, sind es wenige Schritte zum Marktplatz, der auf drei Seiten von schönen, von den Polen gut restaurierten Laubengängen umrahmt wird. In der Mitte des Platzes steht das alte Rathaus, in dem sich nach wie vor eine Bücherei beziehungsweise jetzt "Biblioteka" befindet. Auch hier waren Restaurierungsarbeiten nötig, bei denen wieder der alte Dachturm aufgebaut und eine bislang unbekannte Backsteinfassade entdeckt und wieder sichtbar gemacht wurde.

Vom Marktplatz kommt man alsbald zum zweitältesten Wahrzeichen der Stadt, der Jakobikirche aus dem 14. Jahrhundert. Erneuerungen, wie die Bronzetür am Hauptportal, blieben auch hier nicht aus, Erinnerungen an den Besuch von Papst Johannes Paul II. im Juni 1991 kamen hinzu. Wohl bedeutender noch waren aber die Erhebung der ehemaligen Pfarrkirche zur Konkathedrale und 2004 zur Basilika Minor. Das bisherige Bistum Ermland wurde bereits 1992 zum Erzbistum erhoben.

Seitdem hat Allenstein auch einen Erzbischof, der sein Palais in der Wilhelmstraße in der Nähe des alten und noch in Betrieb befindlichen Postgebäudes erhalten hat.

Der polnische Papst hat auch mit dem dritten Wahrzeichen der Stadt, dem Hohen Tor, etwas zu tun. Von diesem alten Stadttor blickt jetzt in die Oberstraße ein Marienbildnis, das als Mosaik aus römischen Glasplättchen auf einer weißen Marmorplatte gefertigt wurde. Es wurde zunächst im Februar 2004 von der Stadt Allenstein dem Papst als Geschenk übergeben. Johannes Paul II. nahm es auch dankend an, schenkte es aber nach seiner Segnung zum 650. Gründungsjubiläum der Stadt zurück. Das Mosaikgemälde steht jetzt in einer Mauernische direkt über dem alten Stadttor, von dem man heute kaum noch glauben mag, daß bis zum Kriege auch Kraftfahrzeuge, Fuhrwerke und die Straßenbahnen hindurchfuhren. Heute passieren es nur noch Fußgänger und allenfalls Radfahrer, denn hier beginnt jetzt eine schmucke Fußgängerzone mit vielen Geschäften und Gaststätten. Sie führt von der Oberstraße zur Richtstraße bis zur Johannesbrücke, auf der wieder das Standbild des Brückenheiligen St. Nepomuk steht, in Gemeinschaftsarbeit von Polen und Deutschen wiederhergestellt.

Geht man in der anderen Richtung zur Zeppelinstraße durch das Hohe Tor, kommt man alsbald zum Neuen Rathaus mit seinem markanten 60 Meter hohen Turm, das als neues Wahrzeichen der Stadt in keinem Bildband oder Prospekt fehlen darf. Hier hat jetzt der Stadtpräsident (früher Oberbürgermeister) seinen Amtssitz und hier tagt auch als Bürgervertretung der "Stadtrat". Früher waren es die "Stadtverordneten". An früher werden die alten Allensteiner auch bei den Räumlichkeiten im Erdgeschoß denken, denn nur wenige wird es geben, die nicht irgendwann einmal die Rathausdrogerie von Fritz Krenz besucht haben. Heute ist hier eine Abteilung des Sozialamts und in den ehemaligen Räumen der Sparkasse das Standesamt untergebracht. Beim weiteren Gang zur Kleeberger Straße kommt man an der Ecke Kaiserstraße zum Gerichtsgebäude, das seine Funktion behalten, nach einem schmucklosen Aufstocken rein äußerlich aber an Ansehen verloren hat. Ein bauliches Prunkstück ist dagegen auf der anderen Seite der Kaiserstraße die Jugendstilvilla geblieben.

Was von früher im heutigen Allenstein geblieben ist, fragen sich naturgemäß die alten Allensteiner zuerst. Kirchen und Schulen werden sie neben dem Elternhaus am meisten interessieren und glücklicherweise fast alle wohlbehalten wiederfinden. Auf die Verlustliste müssen sie insoweit nur die Copernicus-Oberrealschule setzen. Wenn sie die Kleeberger Straße bis zur Copernicusstraße weitergehen, finden sie jetzt einen nüchternen Neubau als Amtssitz des Woiwoden. Sein Amtsbereich mit der Woiwodschaft Ermland / Masuren ist zwar etwas größer als der frühere Regierungsbezirk Allenstein. Trotzdem fragt man sich, warum er nicht das ebenfalls große, aber weitaus repräsentativer wirkende Regierungsgebäude gegenüber gewählt hat mit dem Sockel aus ostpreußischen Findlingen, dem dreigeschossigen und dreifach gegliederten Überbau mit der eichenen Eingangstür zum Neuen Rathaus hin. Aber dies eindrucksvolle Gebäude hat die PKP, die polnische Eisenbahnverwaltung in Besitz genommen. Die Regierung, wie man früher den Amtssitz des Regierungspräsidenten nannte, sieht noch wie früher aus, nur ein China-Restaurant im Erdgeschoß ist neu und überraschend.

Neu ist aber auch das Planetarium im weiteren Verlauf der Kleeberger Straße und dahinter die große Sporthalle. Im Winter gibt es hier auch eine Eislauffläche mit Beleuchtung und Musik. Wer denkt bei dieser Erwähnung nicht an den Mummelteich in Jakobsberg, wo sich auch bei Musik und abendlicher farbiger Beleuchtung jung und alt zum Eislauf traf? Neu-Jakobsberg war die beliebteste Gaststätte der Stadt, wo man inmitten prächtiger Anlagen mit Blick auf besagten Mummelteich auf den Terrassen zu Kaffee und Kuchen sitzen und abends die verschiedensten Veranstaltungen kultureller und unterhaltender Art besuchen konnte. Die heutige Verwendung als "Kulturhaus Warmia" für Schulungen und Treffen verschiedener Frauengruppen wirkt von außen jedenfalls etwas kümmerlich.

Etwas weiter mitten im Wald lag idyllisch der Sportplatz Jakobstal, der fehlenden oder zu teuren Drainagen leider gänzlich zum Opfer fiel.

Vergebens sucht man heute im Stadtwald oberhalb der Alle die gleichfalls beliebte Waldgaststätte "Waldfrieden". Heute geht oder fährt man nach Göttkendorf, insbesondere zur Taverne "Pirat", oder nach Deuthen, dem heute noch als Flugplatz bekannten Ortsteil, um Musikveranstaltungen im Freien zu erleben. Musik im Saal gibt es dagegen besonders in der neuen Philharmonie am Moltkeplatz in der Roonstraße und natürlich auch im ehemaligen Treudank-Landestheater, das als "teatr" Opern und Operetten, aber nur von Gastspieltheatern, aufführen läßt. Hier gibt es auch noch den "Gelben Saal", jetzt als Schauspielstudio genutzt, und auch den "Treudankkeller" - nicht nur für das leibliche Wohl, sondern auch für Gesangsvorträge.

Die früheren Dörfer Göttkendorf und Deuthen sind wie auch Lykusen, Abstich und Jomendorf jetzt eingemeindet. Aber diese Stadterweiterung ist nicht der Grund, daß sich die Einwohnerzahl von 50000 vor dem Kriege auf nunmehr 186000 vervielfacht hat. Entscheidende Gründe sind vielmehr die Bedeutung Allensteins als Hauptstadt der erweiterten Woiwodschaft Ermland / Masuren, die vielen Neubauten in gänzlich neuen Stadtteilen, besonders im Osten, der Standort der Reifenfabrik "Michelin" als bedeutendster Industriezweig und nicht zuletzt die in Kortau entstandene Universität mit elf Fakultäten und nicht weniger als 44000 Studenten.

Weggefallen ist dagegen die frühere Bedeutung Allensteins als Garnisonstadt mit vielen Kasernen und noch mehr Soldaten. Diese gibt es nicht mehr, lediglich ein Verwaltungsstab erinnert noch an Militärisches, über welchen Wandel aber kein Allensteiner traurig ist. Natürlich wird er bei einem heutigen Besuch seiner alten Heimatstadt alten Erinnerungen nachhängen, nach vertrauten Straßen und Plätzen suchen und an seine früheren Weggefährten denken. Aber er wird sich den neuen Einrichtungen und Funktionen nicht verschließen und auch die zwischenzeitlichen Leistungen anerkennen. Er wünscht den heutigen Bewohnern viel Glück und vor allem Frieden, damit ihnen ein gleiches Schicksal wie den früheren Bürgern und Bürgerinnen erspart bleibt.


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