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07.10.06 / Wohnen in einem Denkmal / Eine Ausstellung zeigt, wie alte Industriebauten sinnvoll neu genutzt werden können

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Oktober 2006

Wohnen in einem Denkmal
Eine Ausstellung zeigt, wie alte Industriebauten sinnvoll neu genutzt werden können
von Silke Osman

Eine Stahlspindeltreppe führt ziemlich steil nach oben. Bis zum siebten Stockwerk reicht sie, dort wo die Aussicht am schönsten ist, wo man eine Rundumsicht aus etwa 40 Metern Höhe auf das weite Land hat, allerdings nur durch relativ kleine Fenster und Belichtungsschlitze. Ein schmaler Fahrstuhl fährt nur bis zum fünften Stock-werk, so hat man Platz gewonnen. Die Wände sind gewölbt, auch in der Küche, wo die Möbel dieser Rundung angepaßt wurden. Moderne Technik erleichtert das Leben, ein zentrale Staubsaugeranlage wurde ebenso eingebaut wie eine Fußbodenheizung.

Man will es kaum glauben, daß vor gut 30 Jahren dieser Turm noch als Wasserturm genutzt wurde. Der 1910 erbaute und mit einer traditionellen Backsteinhaut versehene Wasserturm von Bad Segeberg erinnert mit seinem kegelförmigen Dach eher an einen Wehrturm einer längst untergegangenen Burg. Die Umnutzung des Wasserturms zu Wohnzwekken hat ein städtebauliches Wahrzeichen erhalten.

Ein anderer Turm im Norden Deutschlands ist ebenfalls einer neuen Bestimmung zugeführt worden: der Leuchtturm "Roter Sand" in der Wesermündung. 1885 erbaut und damals noch durch einen Petroleumbrenner gespeist, wurde er 1964 durch den Bau des neuen Leuchtturms "Alte Weser" nahezu überflüssig und wird von den Seeleuten heute nur noch als Tagessichtmarke benutzt.

Gerade Leuchttürme wie "Roter Sand" sind zu einem Sinnbild vergangener Seefahrerromantik geworden und zumindest in Norddeutschland im öffentlichen Leben allgegenwärtig. In Werbespots und auf Ansichtskarten sieht man sie, ganze Kalender sind ihnen gewidmet, selbst in der Kunst haben sie Eingang gefunden. Kein Wunder, daß man sich Gedanken machen mußte, als es um die Zukunft des Leuchtturms "Roter Sand" ging. Ganz Findige wollten ihn sogar auf Land verlegen. Doch ein Förderverein und die "Deutsche Stiftung Denkmalschutz" (DSD) machten es möglich, daß der Turm nach den notwendigen Sanierungsmaßnahmen an seinem angestammten Ort bleiben konnte. Seit 1999 kann man sogar auf dem Turm übernachten, sofern dies die Witterungsverhältnisse zulassen. Selbst eine kleine Küche gibt es in dem 30 Meter hohen Turm.

"Besucher und Gäste müssen sich allerdings auf das maritime Umfeld einstellen und den außergewöhnlichen Standort in der freien See mit seinen Unwägbarkeiten erkennen", warnen die Veranstalter. "Sie werden durch sachkundige Betreuer mit dem Kulturdenkmal ,Roter Sand' vertraut gemacht und in die vorhandenen Rettungsmittel und die mit der "Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger" (DGzRS) abgestimmten Verfahren eingewiesen. Der Aufenthalt auf dem Turm erfordert eine gute Konstitution und eine Anpassung an das einfache Leben der Leuchtturmwärter in einer herausfordernden maritimen Umwelt unter Verzicht auf einigen gewohnten Komfort." Die wenigen Besuchstage (nur in den Sommermonaten und am Wochenende) verhindern eine Übernutzung und eine mögliche Schädigung des denkmalgeschützten Objektes.

"Roter Sand" und der Wasserturm von Bad Segeberg sind nur zwei geschützte Bauten, die in einer Ausstellung der Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt werden. Unter dem Titel "Neuer Nutzen in alten Industriebauten" werden Objekte gezeigt, die ihre ursprüngliche Aufgabe verloren haben, inzwischen aber mit gutem Erfolg für neue Zwecke genutzt werden. Zu sehen sind die Beispiele aus allen Bundesländern im stillgelegten AEG-Kabelwerk Oberspree in Berlin-Oberschöneweide, heute Teil des FHTW-Campus.

Die Ausstellung zeigt die Bandbreite der Möglichkeiten und regt zu kreativen Lösungen an. Wer hätte schließlich gedacht, daß man aus einem Elektrizitätswerk den neuen Standort einer Volkshochschule machen kann, wie in Bamberg geschehen? Oder daß man in einer alten Waffen- und Munitionsfabrik ein Zentrum für Kunst und Medientechnologie ansiedeln kann wie in Karlsruhe? Dort wo man in Coburg bis in die 1930er Jahre hinein Porzellanteile für Puppen produzierte, läßt es sich heute gut wohnen, und aus dem Abspannwerk Leibnizstraße in Berlin ist ein modernes Bürohaus geworden.

Die Elstermühle Plessa in Brandenburg ist eine Mühle geblieben, allerdings vornehmlich als Touristenattraktion, während die Öl- und Getreidemühle Kleinhettstett in Thüringen zu einer Senfmühle (mit Ferienwohnungen für Touristen) umfunktioniert wurde. In Hamburg kann man in einer ehemaligen Schokoladenfabrik wohnen und arbeiten oder in einen ehemaligen Gaswerk schwimmen gehen. Die älteste noch erhaltene Werkhalle in Eisen, erbaut 1828 bis 1830 in Sayn / Rheinland-Pfalz, wird heute durch einen industriellen Großbetrieb zur Fertigung von Apparaten genutzt. Die Sayner Hütte, die durch ihren feingliedrigen Kunstguß berühmt war, war neben den Eisenhütten von Berlin und Gleiwitz in Schlesien die drittgrößte in Preußen. Mit ihren Produkten trug sie wesentlich zum Ausbau der preußischen Festungen in Koblenz und Ehrenbreitstein bei. Beispiele für den filigranen Kunstguß sind heute in deutschen Museen und selbst in einer amerikanischen Sammlung zu sehen.

Seit mehr als drei Jahrzehnten sind in Deutschland Industriedenkmale gleichgestellt mit Kunstdenkmalen wie Schlössern oder Kirchen, zeigen sie doch den Weg Deutschlands zur Industrienation. Fachleute sehen sogar eine Pionierrolle Deutschlands bei der Entwicklung zeitgemäßer Industriebauformen. Brücken, Bahnhöfe, Fabriken, Speicher, Zechen, Türme oder Talsperren - sie alle zeugen vom Wohlstand des Landes. Und so warten noch viele wertvolle Zeugnisse der Industriegeschichte auf neue Nutzer. Schließlich ist es oft kostengünstiger, einem alten Industriebau neues Leben einzuhauchen als einen Neubau zu errichten. Die Berliner Ausstellung gibt reizvolle Anregungen.

Die Ausstellung "Neuer Nutzen in alten Industriebauten" ist in der Wilhelminenhofstraße 76-77 in Berlin-Oberschöneweide, Vestibül des Gebäudes A 2, montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr, sonnabends von 8 bis 16 Uhr zu sehen, Eintritt frei, bis 31. Oktober.


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