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14.10.06 / Barfuß oder Lackschuh? / Kommende Woche entscheidet Karlsruhe über Berlins Haushaltsklage: Es geht ums Ganze

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Oktober 2006

Barfuß oder Lackschuh?
Kommende Woche entscheidet Karlsruhe über Berlins Haushaltsklage: Es geht ums Ganze
von Markus Schleusener

Bei der Senatspressestelle herrscht seit letzter Woche eisiges Schweigen. Wowereits PR-Agenten verkünden nur noch Nicht-Nachrichten wie: Der Regierende begrüßt die Kunstausstellung der namibischen Künstlerin Imke Rust. Oder: Der Regierende trifft den Regierungschef von Mallorca. Die wichtigen Gespräche laufen zur Zeit hinter fest verschlossenen Türen, in den Koalitionsgesprächen mit der Linken/PDS. Davon erfährt die Öffentlichkeit nur wenig.

Angeblich gibt sich Klaus Wowereit knallhart. Zusätzliches Geld, das durch unerwartet höhere Steuereinnahmen derzeit in die Staatskasse fließt, solle nur zur Schuldenreduzierung verwendet werden, sonst nichts. Keine Prestigeprojekte, keine Geschenke an die Wählerklientel. "Das habe ich heute deutlich gemacht", sagte Wowereit nach der ersten Sitzung der alten und möglicherweise neuen Koalitionspartner von SPD und PDS im Roten Rathaus. Pro Jahr zahlt Berlin laut Wowereit 2,4 Milliarden Euro Zinsen. Auf 60 Milliarden beläuft sich die Gesamtverschuldung der Stadt. Da ist kein Spielraum für Extras.

Ebenfalls hinter verschlossenen Türen tagt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Die Beratungen der obersten deutschen Instanz über die "extreme Haushaltsnotlage Berlins" schweben wie ein Damoklesschwert über den Gesprächen der Koalitionspartner. Denn vom Richterspruch, der am 19. Oktober verkündet werden soll, hängt alles andere ab. Das BVerfG hat gleich nach der Wahl den Termin für die Urteilsverkündung bekanntgegeben. Während des laufenden Wahlkampfes wollten die Richter nicht mit ihrer Entscheidung ins Geschehen platzen.

Die Opposition hat daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß das Urteil gegen Berlin ausfallen werde. Handfeste Beweise dafür existieren bislang nicht. Es gibt überhaupt keinerlei Hinweise darauf, wie das Urteil lauten wird. Trotzdem wird danach in Berlin alles anders sein. Darum geht es:

Nach seinem Amtsantritt hat Klaus Wowereit in seiner Regierungserklärung gesagt: "Wer die Neuverschuldung nicht in den Griff bekommt, vergreift sich an den Zukunftschancen unserer Kinder und damit an der Zukunft Berlins." Das Ziel des Senats war damit vorgegeben: die Neuverschuldung in den Griff bekommen.

Wohlgemerkt: die Neu-Verschuldung. Die Altschulden der Stadt will und kann das Land nicht mehr begleichen. Die 60 Milliarden Euro müßten beim Bund erbettelt werden, lautet die Position des Senats. "Berlin steckt in einer finanziellen Notlage", sagte Wowereit 2002 und lieferte damit die Begründung für die Klage gegen den Bund, der Sanierungshilfen ablehnt.

Woher kommen die Schulden? Westberlin wurde jahrelang vom Bund hochsubventioniert. Die Berlin-Zulage sicherte einen veralteten Industriestandort, der 1990 sofort zusammenbrach, als die Förderung wegfiel. Mit Schering verlor gerade der letzte in Berlin beheimatete Dax-Konzern seine Unabhängigkeit. Dazu belasten die Folgen des sogenannten Bankenskandals die Berliner Kassen mit Milliardenbeträgen.

Trotzdem soll Berlin zwei Aufgaben gleichzeitig meistern: Hauptstadt des ganzen Deutschlands sein und gleichzeitig die innere Einheit herstellen. Dabei bilden eigene Steuern schon jetzt nur noch die Hälfte aller Einnahmen. Der Rest kommt aus dem Länderfinanzausgleich und direkten Bundesbeihilfen. Karlsruhe kann grundsätzlich zwei Entscheidungen treffen:

1. Der Bund übernimmt Berlins Altschulden und die Hauptstadt erhielte damit eine Chance zum Neuanfang. Daß das Urteil so ausfällt, gilt indes als unwahrscheinlich. Präzedenzfälle dieser Art gibt es nicht.

2. Berlin bleibt auf seinen Schulden sitzen. Der Senat hätte kaum eine andere Chance, als mit Aufsässigkeit und Ungehorsam zu reagieren. Theoretisch kann Berlin Lehrer und Polizisten entlassen, nachts das Licht an den Laternen abschalten (zum Beispiel im Regierungsviertel), Gehweg- und Straßenschäden einfach gar nicht mehr beheben. Als Aushängeschild des "Exportweltmeisters Deutschland" würde Berlin bald ausfallen. Sollten die Juristen so entscheiden, so wäre der Ball wieder im Feld der Politiker des Bundes und der anderen Länder. Nachdem Berlins Hauptstadtfunktion im Grundgesetz verankert ist, müßten der Bund und die Länder darüber nachdenken, was ihnen die Hauptstadt wert ist. Eine neue Hauptstadtdebatte wie 1991 wäre die Folge.

Verheerend wäre ein fauler Kompromiß zwischen beiden Positionen. In Bremen und im Saarland hat der Bund ein bißchen geholfen, aber auch nicht hundertprozentig. Damit würde Berlins Problem nur aufgeschoben, wie die Entwicklung in den beiden anderen Pleiteländern zeigt.

Wowereit soll sich auch deshalb für die Zusammenarbeit mit der PDS entschieden haben, weil er Stabilität will. Am 23. Oktober - vier Tage nach dem einschneidenden Urteil - tritt die große Verhandlungskoalition von PDS und SPD wieder zusammen. Dann wird die Senatspressestelle wieder reichlich zu tun haben.


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