25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.10.06 / Die Kunst ist vogelfrei / Debatte um "Idomeneo" offenbart die Konzeptionslosigkeit in der Kulturszene

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Oktober 2006

Die Kunst ist vogelfrei
Debatte um "Idomeneo" offenbart die Konzeptionslosigkeit in der Kulturszene
von Siegfried Matthus

Die Oper "Idomeneo" ist in die Schlagzeilen und an die ersten Stellen der Medienberichte geraten. Gab es eine großartige Aufführung eines der vielen Meisterwerke der Opernliteratur? Ist ein neuer Sängerstern am Opernhimmel aufgegangen? War eine einmalige musikalische Interpretation zu erleben? Oder gar eine sensationelle Uraufführung eines neuen Musiktheaterwerkes?

Nein. Eine Inszenierung der Mozartoper "Idomeneo", die der Regisseur modernisieren zu müssen glaubte, indem er die abgeschlagenen Köpfe des Meeresgottes Poseidon und der Religionsstifter Buddha, Jesus und Mohammed auf der Bühne zeigte, wurde - vorübergehend - abgesagt. Abgesehen davon, daß diese Zutat weder vom Libretto noch von der Musik Mozarts gefordert wird, werden hier bewußt (oder unbewußt?) religiöse Gefühle verletzt. Während die Buddhisten und die Christen diese Provokation mit starken "Buh"-Rufen hinnehmen, reagieren Islamisten auf derartiges empfindlicher oder gar aggressiv - wie Vorgänge aus der jüngsten Vergangenheit zeigten.

Das Für und Wider dieser Absetzung ist in den letzten Tagen hinreichend diskutiert worden. Die Freiheit der Kunst wurde ebenso ins Feld geführt, wie die Angst und die Sorge vor einer gewalttätigen Aktion. Das zugrunde liegende Problem ist dabei nie ins Blickfeld geraten: Es liegt in der fehlenden geistigen, philosophischen und politischen Auseinandersetzung in den auf uns zustürmenden Fragen im Zusammenhang mit dem Islam. Aber werden unsere kulturellen Grundwerte überhaupt angegriffen? Nein. Nur wir begreifen nicht, daß ein Bekenntnis und die Pflege unserer christlichen mitteleuropäischen Kulturtradition vorerst die beste Verteidigung wären.

Diese einzigartige Kulturtradition ist die ideelle und letztendlich auch die materielle Basis unserer Nation. In den finstersten Zeiten des 20. Jahrhunderts haben vor allem die großen weltumspannenden geistigen und künstlerischen Leistungen der Deutschen das wiedererlangte Ansehen und die Aufnahme in die Weltgemeinschaft befördert. Das Ausland wundert sich, daß wir uns gerade in den auf uns zukommenden Auseinandersetzungen überhaupt nicht oder zu wenig darauf berufen. Die großen deutschen Musiktraditionen zum Beispiel werden inzwischen in den asiatischen Ländern besser gepflegt als in unserem Land.

Woran liegt das nun? Ich glaube, an einem falschen Verständnis von Freiheit der Kunst. Die gegenwärtige schillernde Vielfalt künstlerischer Aktionen zeugt wohl von individueller Freiheit, aber ist gemessen an den Überlieferungen der Vergangenheit ohne jegliches Konzept. Kunst ist nie frei gewesen und ist es auch heute nicht. Sie ist immer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen ihrer unmittelbaren Gegenwart verbunden. Dabei ist dieses Verhältnis sehr widersprüchlich. Die christliche Kirche hat auf allen Gebieten Kunst gefordert und gefördert, aber auch ihr nicht konforme Tendenzen verfolgt. In totalitären Staaten wurde eine ideologieverbundene und -begleitende Kunst gefordert. Es sind aber auch aus dem Widerspruch zu diesen Tendenzen großartige Kunstwerke entstanden.

Bei uns in der Bundesrepublik wird die Kunst als frei deklariert. Sie muß sich auf dem freien Markt behaupten. Niemand will den Künstler bevormunden. Jeder kann seine individualistischen Befindlichkeiten vorzeigen. Keiner hindert ihn. Je spektakulärer er sich gebärdet, um so mehr findet er Beachtung im Feuilleton und in den Medien. Die staatlichen Unterstützungen werden immer weniger. Die Kunst ist vogelfrei.

Nun möchte ich mit meinen Behauptungen nicht die vielen Zahlen und Beispiele von staatlicher und kommunaler Unterstützung als Gegenbeispiel hervorrufen. Jedoch fehlt bei allen diesen Förderungen ein Grundkonzept. Wozu brauchen wir Kunst? Nur als Mittel der Unterhaltung? Was soll sie bei den heutigen Menschen bewirken, und wie soll sie auf diese einwirken? Was sind die Kriterien dafür? Ist es richtig, daß nur die Quoten die alleinigen Richtlinien sind?

Im öffentlichen Bewußtsein gibt es kaum Diskussionen darüber, und im ganzen heutigen Parteienspektrum findet man keine Antworten darauf. Die Politik will den Künstlern nicht reinreden, und die Kulturpolitik beschränkt sich darauf, Kunst zu fördern. Welche? Und nach welchen Kriterien? In diesen Fragen träumt die Politik vor sich hin, will keine Fehler der unmittelbaren Vergangenheit wiederholen und überläßt alle konzeptionellen Fragen den Gesetzen des freien Marktes. Wann hören wir in einer politischen Grundsatzrede einmal etwas über die Notwendigkeit von Kultur? Warum ist sie ein unverzichtbarer Teil der Existenz unseres Lebens?

Die Situation der drei Opernhäuser in Berlin ist ein Spiegelbild der oben geschilderten Verhältnisse. Es wird nur noch über Geld gesprochen. Auch die Aktivitäten der verantwortlichen Politiker drehen sich nur darum, wie viele Millionen eingespart werden müssen. Keine Forderung nach einem untereinander abgestimmten künstlerischen Konzept. Keine Idee über die Tradition und die notwendige Weiterentwicklung der Opernkultur. Nur: Noch weniger Geld kosten und immer mehr Touristen bringen. Die verantwortliche Berliner Kulturpolitik muß für die drei Häuser ein inhaltliches Konzept entwickeln oder sich Konzepte erarbeiten lassen. Die Besetzung aller drei Intendantenstellen mit Regisseuren war ein großer Fehler der Kultursenatoren. Sie ging von der falschen Voraussetzung aus, daß die Weiterentwicklung und die Zukunft der Oper durch neue Regiesichten auf die überlieferten Werke zu leisten ist.

Diese Ansicht hat zu einer weitgehenden Zerstörung der in Mitteleuropa auf so großer Höhe entwickelten Opernform geführt. In der Hauptstadt überbieten sich auf diesem falschen Weg die drei Regisseur-Intendanten, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erringen. Müßten nicht visionäre Ideen von der Zukunft der Operngattung von ihnen entwickelt oder Konzepte für eine, das Profil des eigenen Hauses bestimmende, Opernästhetik vorgelegt werden? Alles erschöpft sich in der Sucht nach möglichst sensationellen Aspekten einer Regiesicht auf eine Oper. Ich kann verstehen, daß ein Regisseur in heutigen Situation mit den Libretti einiger beliebter Opern nichts anfangen kann. Dann soll er das Werk nicht spielen. Jedoch die Popularität der Komposition als Begleitmusik zu einer aktuellen Problematik zu benutzen ist unehrlich. Hier wird ein aus seiner Zeit heraus entstandener und auch nur in seiner Zeit in allen Aspekten zu verstehender künstlerischer Organismus zerstört.

Ich wundere mich auch darüber, daß ein Publikum, das am Abend vorher in einer Gemäldegalerie eine Rembrandt-Ausstellung gesehen hat - die Gemälde sind immer noch im Original zu sehen und nicht von eifrigen Erneuerern übertüncht und dadurch modernisiert worden -, sich am nächsten Abend eine Mozartoper anhört, die nur noch eine falsche Begleitmusik zu einem aus nackter Realität bestehenden neuen Stück ist.

Die hohe mitteleuropäische Opernkultur ist von Librettisten und Komponisten geschaffen worden, die nach Gestaltungsmöglichkeiten menschlicher Befindlichkeiten im Drama, der Musik und dem Theater suchten. Die Werke dieser Autoren haben den Bau der heutigen großen Opernhäuser, die Gründung der Orchester und die an diesen Instituten beteiligten Künstler und Mitarbeiter inspiriert und nach sich gezogen.

Den kulturellen und geistigen Verfall dieser Opernkultur werden deshalb auch nur Librettisten und Komponisten neuer repertoiresichernder Musiktheaterwerke aufhalten und retten. Die vielen begabten jungen Autoren müssen durch die Opernpraxis und das Erlernen handwerklichen Rüstzeugs dazu befähigt und nicht mit ergebnislosem Exprimentieren auf den freien Markt geworfen werden.

In der Zukunft steht uns ein weltweiter Kulturkampf bevor. Der darf nicht mit Feuer und Schwert, sondern muß mit geistigen Argumenten geführt werden. Auch die Oper kann mit ihren Mitteln und Möglichkeiten einen gewichtigen Beitrag dabei leisten. Aber sicher nicht mit einem abgeschlagenen Haupt des Propheten Mohammed.

Der 1934 im ostpreußischen Mallenuppen, Kreis Darkehmen, geborene Siegfried Matthus ist bereits mehrfach für seine Leistungen als Komponist ausgezeichnet worden. Als Leiter der Kammeroper Schloß Rheinsberg fördert er vor allem dem musikalischen Nachwuchs.

Foto: Hauptsache provozieren: Abgeschlagener Prophetenkopf (pa)


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren