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14.10.06 / Explosives aus der Küche / Blaubeeren und ihre treibende Kraft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Oktober 2006

Explosives aus der Küche
Blaubeeren und ihre treibende Kraft
von Christel Bethke

Nein, es waren nicht die Russen, die sich ankündigten, wenn bei Oma Priedigkeit etwas dumpf detonierte, und auch kein Todesfall stand ins Haus. Kein Verblichener machte sich auf diese Weise bemerkbar, weil er im Jenseits keine Ruhe fand. Nein, diese Explosionen hatten einen ganz anderen Grund und nichts mit abergläubischen Prophezeiungen zu tun. Es waren schlicht und einfach die Blaubeerflaschen im Keller, die, in Gärung geraten, die Korken aus ihren Hälsen trieben und mit Knall an die Decke expedierten, die schon wie der gestirnte Himmel aussah. Wie das? Jaaa, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, wie äußerste Reinlichkeit, viel heißes Wasser und frisch gewaschene trockene Leintücher zum Abtrocknen und Abdecken, kam es immer wieder vor, daß die Korken knallten.

"Mutter, du hast den Sekt wieder zu warm gestellt", neckte der Sohn, der zu Besuch aus dem Reich gekommen war und dort anscheinend auf diesem Gebiet dazu gelernt hatte. Er ahnte, was Sache war. Mutter hatte wieder mit Farin gespart. Denn da tat sie sich schwer. In schweren Zeiten mit Zucker aasen! Doch es mag auch andere Gründe gegeben haben. Vielleicht war der Holzlöffel nicht genug gescheuert worden, mit dem die Beeren, ohne Wasserzusatz, aufgekocht und umgerührt wurden. Und Zucker natürlich. Eben. Dieses köstliche Blaubeerenkonzentrat, durch einen Trichter in die blitzsauberen trockenen Flaschen gefüllt, waren einfach göttlich. Paßten vorzüglich zu Grießpudding, Mehlflinsen, auch Kartoffelflinsen oder aber mit Schmand angedickt als Tortenbelag. Wer das nicht gekostet hat, dem fehlt ein Stück Ostpreußen.

Blaubeeren, mit und ohne Schein, im Beerenwald gesammelt, in dem die Lichtreflexe Elfen tanzen lassen und im Dickicht irgendwo Pan seinen Mittagsschlaf hält. Aber kommen wir zurück aus dem verzauberten Wald, zurück in Omas Küche und sehen nach den gefüllten Flaschen, die nun mit sorgfältig ausgekochten Naturkorken verschlossen und versiegelt wurden. Noch fühle ich das Stück Siegellack in seinem bestimmten Rot in meiner Hand. Wenn doch eine nicht schließen würde!

Beschriften durften die Kinder. Kleine längliche Schilderchen mit Kinderschrift versehen "Blaubeeren". Darunter Jahreszahl und Monat, in dem die Aktion stattgefunden hatte.

Natürlich wurden auch Himbeeren gesammelt. Ohne Zucker aufgekocht, in ein Tuch gegossen, das zwischen den Beinen eines umgekehrten Stuhles gespannt war und in ein darunter gestelltes Gefäß ablaufen konnte. Der über Nacht aufgefangene Saft wurde zum Teil zu Gelee verarbeitet, der Rest ebenfalls auf Flaschen gezogen und zugekorkt.

Ein Restrisiko blieb immer. Auch bei den Marmeladen und Gelees konnte es vorkommen, daß sich, trotz durch Alkohol gezogen passend geschnitten Cellophanblättchen und Bestreuung mit Salizyl, eine weiße Schicht bildete. Schimmel. Heute weiß jedes Kind, giftig und gefährlich. Das muß anscheinend nicht bis zu Oma Priedigkeit gedrungen sein, denn die tat das Papierchen einfach weg und fertig. Nichts hätte uns daran gehindert, Flaschen und Gläser zu leeren. Vielleicht aber hat uns gerade das so widerstandsfähig gegen die modernen Umweltgifte aller Art gemacht. Wer weiß.

Da war die Sache mit dem Trocknen der Früchte schon risikoärmer. Ganze Girlanden hingen am Giebel ihres Hauses mit Birnen und Apfelschnitzen. Auch das Einmachen mit Essig in Steintöpfen war beliebt. Da konnte auch, bis auf kleinere Schimmelkulturen, ebenfalls abgehoben und weggetan, nicht viel passieren. Oder gaben diese Prozesse erst dem Einmachgut den unvergleichlichen Geschmack? Kürbis, Gurken und diese Essigpflaumen erst, die man zu Bratkartoffeln mit Speck genoß! Zum Zunge runter- schlucken! Bedauerlich, wenn da Saft auf dem Teller blieb, vermischt mit dem Geschmack des Specks. Der Teller mußte blank werden!

Übrigens befanden wir uns in bester Gesellschaft: Schon Goethe führte, als er einmal Schiller zu Gast hatte und dessen bedauernden Blick auf der Melange von Braten- und Gurkensaft sah, ermunternd seinen Teller zum Munde. Das Tüpfelchen auf dem i.

Wieso komme ich überhaupt auf diese Geschichte? Weil ich den Fortschritt der Twist-Off Deckel auf diesem Gebiet sofort erkannte und mit Bedauern die Unmengen an schönen Gläsern und Gläserchen in die Glascontainer wandern sehe. Schade, daß Oma sie nicht schon zur Verfügung standen. Oder ob sie dennoch bei der alten Methode geblieben wäre? Möglich ist alles. Und uns hätte vielleicht das Knallen der Korken und der gestirnte Himmel gefehlt.


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