26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
21.10.06 / Die Berliner wollten die "Russenpartei" nicht / Vor 60 Jahren erste freie Wahlen nach dem Krieg an der Spree: ein Fiasko für die SED - Ergebnisse ähnelten erstaunlich denen von 2006

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. Oktober 2006

Die Berliner wollten die "Russenpartei" nicht
Vor 60 Jahren erste freie Wahlen nach dem Krieg an der Spree: ein Fiasko für die SED - Ergebnisse ähnelten erstaunlich denen von 2006
von Patrick O'Brian

Das Ziel war hochgesteckt: Die SED wollte auf legale Weise an die Macht kommen. Daran haben die KPD-Führer seit dem 8. Mai 1945 zielstrebig gearbeitet. "Alles muß demokratisch aussehen", lautete die Parole, die Walter Ulbricht an seine Leute ausgab - Betonung auf "ausehen". Er fügte nämlich hinzu, daß die KPD überall die Fäden in der Hand haben müsse.

Der Urnengang am 20. Oktober 1946 sollte das Fanal werden. Die zwangsvereinigte SED (aus KPD und SPD) setzte nach einigen durchwachsenen Landtagswahlen in den mitteldeutschen Ländern zum Sprung an, um in Berlin die Regierungsmacht zu erreichen.

Wilhelm Pieck gab vor der Abgeordnetenhauswahl die Parole aus, wonach "durchaus für die SED die Möglichkeit besteht, die absolute Mehrheit zu erreichen".

Damals mit von der Partie war Wolfgang Leonhard, der als Nachwuchs-Apparatschik zusammen mit Ulbricht aus dem Moskauer Exil nach Deutschland zurückgekehrt war. Leonhards Buch "Die Revolution entläßt ihre Kinder" ist das Standardwerk über die Zeit nach dem Zusammenbruch in Mitteldeutschland - aus der Perspektive der kommunistischen Exilanten.

Leonhard selbst war von seiner kommunistischen Mutter nach Hitlers Machtergreifung gen Schweden verschickt worden. 1935 emigrierten beide nach Rußland. Doch die Mutter fiel bei Stalin in Ungnade und kam zwölf Jahre in den Gulag.

Das hinderte den Sohn nicht, ein überzeugter Marxist zu werden, der zunächst eine lupenreine Parteikarriere durchlief. Erst 1949 sah er ein, was der Stalinismus anrichtete und floh über den Umweg Jugoslawien in den Westen. Dort wurde er zu einem der bedeutendsten Antikommunisten und zum gefragten Analytiker der Entwicklung im Ostblock.

1946 arbeitete er noch an der Verwirklichung eines SED-Wahlsiegs. Er erinnert sich: "In der Berliner SED-Führung war man längst nicht so optimistisch." Den Wahlabend verbrachte er in der Redaktion des "Neuen Deutschland". Dort waren schon die großen Lautsprecher angebracht, um den Sieg "hinauszuposaunen".

"Der Durchschnitt lag bei den von mir vorausgesagten 30 Prozent für die SED. Dann kam eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Unsere Gesichter wurden immer länger. Der Ansager, der die Wahlergebnisse den draußen wartenden Menschen bekanntgeben sollte, raufte sich die Haare."

Schon damals rettete sich der Profi-Agitator damit, daß er nur die für sie akzeptablen Ergebnisse vortrug - und die schlechten unter den Tisch kehrte: "Verzweifelt suchte er aus den einlaufenden Meldungen die für die SED günstigsten heraus."

Am Ende stand eine Niederlage der Einheitssozialisten: "Die ersten zusammenfassenden Meldungen zeigten eine katastrophale Niederlage der SED und einen riesigen Wahlerfolg der Partei, die wir noch vor sechs Monaten als ‚Zehlendorfer Krankenhausclub' und in den letzten Wochen als ‚Rest-SPD' bezeichnet hatten."

Und so sah das Wahlergebnis genau aus: SPD 48,7 Prozent, CDU 22,2, LDP (Liberaldemokraten) 9,3 und SED 19,8 Prozent. An diesen Machtverhältnissen hat sich bis heute nicht viel geändert, wenn man die jüngsten Berliner Landtagswahlen betrachtet. Nur, daß die Grünen als Abspaltung von der SPD neu hinzugekommen sind. Gemeinsam sind Rot und Grün heute ungefähr so stark wie die SPD 1946 allein.

Schon nach der Volkskammerwahl von 1990 stellten Wahlforscher überrascht fest: Das Berliner Wahlverhalten hatte sich seit den bis dahin letzten freien Wahlen nur geringfügig geändert. Selbst 40 Jahre realexistierender Sozialismus haben die politischen Vorlieben nur geringfügig geändert.

Auch jetzt bei der Septemberwahl 2006 gab es noch Einzelergebnisse, die fast auf den Prozent-Punkt genau so ausfielen wie 60 Jahre zuvor. Beispiele: 1946 lag die SPD in Treptow bei 40,8 Prozent und in Köpenick bei 38. Im nunmehr vereinigten Bezirk Treptow-Köpenick kamen die Genossen 2006 auf 38,6 Prozent. So ähnlich verhielt es sich in Treptow-Köpenick auch beim Koalitionspartner Linkspartei, die 2006 so ähnlich abschnitt wie die SED 1946.

Oder die CDU: 1946 erhielt sie in Tempelhof 26,9 Prozent und in Schöneberg 28,2. 2006 erreichte sie im heute vereinigten Tempelhof-Schöneberg 27 Prozent. Die Liberalen erlangten 1946 in Reinickendorf auf neun Prozent. in diesem Jahr waren es 9,6.

Leonhard berichtet von 1946: "Die Ursache der Niederlage war mir wie vielen anderen Funktionären völlig klar. Im Volksmund hießen wir die ‚Russenpartei'. In der Praxis hatten wir alle Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsbehörden unterstützt und verteidigt. Wir bekamen von ihnen Papier, Wagen, Häuser und besondere Lebensmittelzuteilungen. Unsere Spitzenfunktionäre wohnten in großen Villen, hermetisch von der übrigen Bevölkerung abgeschlossen."

Die Kommunisten waren mit dem Versuch, die Macht auf legale Weise an sich zu reißen, kläglich gescheitert. Von nun an bis zur Revolution 1989/90 fanden im Ostteil Berlins keine freien Wahlen mehr statt. Leonhard, der diesen Weg nicht mitzumachen bereit war, drehte dem Regime deswegen drei Jahre später den Rücken zu.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren