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28.10.06 / Willkommen im Wirtschaftswunderland / Wenn der Politik die Konzepte ausgehen, werden aus Wohlstandsbürgern Notsparer

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Oktober 2006

Willkommen im Wirtschaftswunderland
Wenn der Politik die Konzepte ausgehen, werden aus Wohlstandsbürgern Notsparer
von Hans Heckel

Ich arbeite doch nicht für Geld, das ich sowieso kriege!" Hartz-IV-Empfänger Werner F. ist mit seinen Anfang 30 auf dem besten Wege, für immer im seit neuestem so genannten "Prekariat" zu landen, vulgo: Unterschicht. Ihm geht es wie vielen Deutschen am unteren Rand der sozialen Skala. Die staatliche Unterstützung reicht eigentlich hinten und vorne nicht. Doch die geringen Zuverdienstmöglichkeiten, die seinesgleichen im Rahmen staatlicher Wiedereingliederungsmaßnahmen winken, sind derart bescheiden, daß sie kaum finanziellen Anreiz bieten. Hat sich der Betroffene erst mit dem trostlosen Dasein im Nichtstun abgefunden, ist ein Leben als ewiger "Leistungsempfänger" vorgezeichnet.

Die Diskussion darüber, ob die staatlichen Anreize ausreichen, um Menschen wie Werner F. dazu zu bringen, die Ärmel wieder hochzukrempeln, oder ob es für Leute wie ihn überhaupt eine Zukunft am ersten Arbeitsmarkt gibt, hat eine ganz andere Problematik in den Hintergrund treten lassen: Zahlreiche Berufsgruppen verdienen nach Jahren des relativen Stillstands bei den Lohnerhöhungen gerade noch soviel, um sich allein über Wasser zu halten, haben am Ende des Monats netto kaum noch mehr in der Tasche als jemand, der Hartz IV erhält und sich in einer staatlichen Maßnahme noch etwas dazuverdient. Dabei bringt es der Hartz-IV-Empfänger mit Zuverdienst meist auf sehr viel weniger Wochenstunden als der regulär angestellte "Vollverdiener" einer unteren Einkommensschicht.

Eine Berechnung der gewerkschaftsnahen "Hans-Böckler-Stiftung" listet die Bruttogehälter zahlreicher Berufsgruppen im Westen und Osten der Bundesrepublik des Jahres 2005 auf. Grundlage ist der Vollzeitbeschäftigte mit 38 Wochenstunden und durchschnittlich zwölf Jahren Berufserfahrung in einem kleineren Betrieb, die Gehälter verstehen sich einschließlich aller Zuschläge wie etwa das Urlaubsgeld, so welches gezahlt wird.

Danach verdient eine Verkäuferin West 1416 Euro brutto im Monat, ihre Ostkollegin muß sich gar mit nur 1109 Euro zufriedengeben. Trotz geringer Steuer- und Abgabenbelastung bleibt nach Miet-, Strom, Heizungs- und Wasserrechnung kaum mehr als einem Hartz-IV-Empfänger, der sich zu seinen 345 Euro noch zwischen 160 und 190 Euro hinzuverdienen darf und dessen Miete vom Staat übernommen wird. Wohlfeile Forderungen nach einer Kürzung der Hartz-Zahlungen laufen dabei ins Leere, da sich deren Bemessung bereits am Existenzminimum orientiert. Eine Absenkung der Zuverdienstmöglichkeiten wiederum mindert die Motivation, aus dem Nichtstun auszubrechen und wenigstens als "Ein-Euro-Jobber" am Arbeitsleben teilzuhaben, noch weiter. Die Folgen wie Selbstaufgabe und schließlich Verwahrlosung der Betroffenen schlagen letztendlich auf die gesamte Nation zurück, die mit noch mehr "abgehängtem Prekariat" belastet würde.

Dabei stellt das Einkommen der Verkäuferin noch nicht einmal die unterste Stufe der Skala regulärer Vollzeitgehälter dar. Gebäudereiniger verdienen nach der Auflistung der Hans-Böckler-Stiftung mit 1295 Euro (West) und 1107 Euro (Ost) noch weniger, Köche bringen es danach auf 1319 oder 1068 Euro und Kellner müßten bei 1143 oder 1010 Euro ohne Trinkgelder wohl unter der Brücke schlafen.

Altenpflegerinnen sind mit 1530 oder 1177 Euro kaum bessergestellt als Verkäuferinnen, die Krankenschwester liegt mit 1963 Euro (West) und 1552 Euro (Ost) immerhin etwas darüber. Wer mit diesem Bruttogehalt als alleinziehende Mutter seine Kinder versorgen soll, muß gut rechnen können.

Aber auch Berufsgruppen, die von ihrem Gehalt vor Jahrzehnten noch eine kleine Familie versorgen konnten, sind von solchen Möglichkeiten heute weit entfernt. Maurer müssen sich nach der Berechnung der Böckler-Stiftung mit Basisgehältern von 2110 Euro im Westen und sogar bloß 1502 Euro in den neuen Bundesländern zufriedengeben. Ein Schlosser erhält zwischen 1808 und 1712 Euro. Selbst mit Hilfe zahlreicher Überstunden ist eine klassische Standardfamilie mit Ehepartner und zwei Kindern mit solchen Bruttogehältern bei den heutigen Mieten und Nebenkosten nicht mehr zu ernähren.

Letztlich bleibt den genannten Berufsgruppen nur, sich zu ihrer Haupttätigkeit noch eine Nebentätigkeit zu suchen, wenn neben einem Minimum an Lebensstandard auch noch einmal ein günstiger Urlaub oder andere bescheidene "Sonderwünsche" erfüllt werden sollen.

Die gesetzlichen Renten, die auf Bezieher von Bruttogehältern zwischen 1100 und 1800 Euro später warten, liegen im Bereich der Sozialhilfe, selbst wenn Arbeitslosigkeit so gut wie ganz vermieden wird. Empfehlungen von Experten, dringend privat vorzusorgen, um Altersarmut zu vermeiden, prallen mangels frei verfügbarem Einkommen an den unteren Einkommensschichten sowieso ab. Auch vergleichsweise höhere Einkommensgruppen können an die Kaufkraft vergangener Zeiten kaum noch anknüpfen.

Ein hochqualifizierter Elektro-Ingenieur (West) hat laut der Studie ein Bruttogehalt von 3633 Euro (West) und 2715 Euro (Ost) zu erwarten, ein Informatiker zwischen 3598 und 2700 Euro. In ähnlichen Dimensionen bewegen sich Ärzte, Physiker, Steuerberater, Wirtschafts-Ingenieure oder Mathematiker. Berufsstände also, die zu den typischen Häuslebauern gehören. Ohne Doppel- oder Zuverdienst oder aber Erbschaften ist das Haus im Grünen aber auch für sie nur noch unter erheblichem Verzicht zu stemmen - wenn eine solche Investition fürs Leben angesichts der unsicheren Lage am Arbeitsmarkt nicht ohnehin zum unkalkulierbaren Risiko geworden ist.

Die stagnierenden Reallöhne in Deutschland sollen dazu beitragen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder zu verbessern, heißt es. Ganz sicher ist die Bundesrepublik nach der Öffnung Osteuropas und durch Billigproduktion in Asien unter erheblichen Lohndruck geraten. Übersehen werden darf aber nicht, daß die Lohnkosten etwa in der Autoindustrie nur noch etwa 17 bis 25 Prozent der Gesamtproduktionskosten ausmachen. Die Konkurrenzfähigkeit solcher Unternehmen hängt also weit weniger vom Lohnniveau ab, als es in der Diskussion gelegentlich den Anschein hat.

Was vielmehr fehlt in Deutschland, ist ein geschlossenes wirtschaftspolitisches Konzept der Regierung. Sich in der Tendenz widersprechende Maßnahmen und Zielvorgaben verunsichern Wirtschaft wie Verbraucher und Arbeitnehmer gleichermaßen. Stagnation ist die Folge.

Im Vergleich zu anderen Ländern sticht das Mißverhältnis ins Auge. Beispiel Spanien: Das einst arme Land verfolgt seit rund 30 Jahren eine Politik, welche private wie öffentliche Investitionen entschlossen und schnell vorantreibt. Dennoch sind die öffentlichen Haushalte mittlerweile ausgeglichen, was nur zum geringeren Teil auf die stets hervorgehobenen EU-Beihilfen zurückzuführen ist. Trotz immer noch hoher Arbeitslosenzahlen stimuliert diese Politik Wirtschaft wie Konsumenten, die Gehälter steigen, was ebenso wie die stabile Zuversicht der Verbraucher die Wirtschaft am Brummen hält.

Das spanische Durchschnittsgehalt erreichte 2005 nach den Erhebungen der EU schon 97 Prozent des deutschen und wird voraussichtlich 2008 das bundesdeutsche Niveau sogar überholen. Das obwohl das spanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf 2005 mit rund 27000 US-Dollar noch deutlich hinter dem Deutschlands mit 35000 rangierte. Lag also das Lohnniveau in Deutschland nur um drei Prozent über dem spanischen, so überstieg die deutsche Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung 2005 die der Spanier um glatte 30 Prozent - das Zehnfache.

Die spanische Wirtschaft verdankt ihre Zuwachsraten dem fröhlichen Konsumverhalten der Verbraucher, während die deutsche unter nachhaltigem Konsumverzicht leidet, was auf die heimischen Löhne drückt. Angesichts steigender Steuern und Abgaben im kommenden Jahr könnte sich, so befürchten Experten allenthalben, die Abwärtsspirale von Konsumverzicht, Lohnstagnation und Arbeitsplatzabbau 2007 verstärkt fortsetzen.

Solange die deutsche Politik diesem Niedergang mit einem planlosen Zickzack-Kurs zu begegnen versucht, wird sich die Entwicklung nicht umkehren lassen, weshalb Unternehmen sich weiterhin darauf konzentrieren werden, um jeden Preis (Lohn-) Kosten zu senken, während die Arbeitnehmer in Zukunftsangst verharren - wobei denen, die trotz Vollzeitstelle netto schon jetzt kaum mehr in die Hand bekommen als ein Hartz-IV-Empfänger, ohnehin nichts bleibt außer dauerndem Notsparen.


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