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28.10.06 / Politisch instabil und das auf Dauer / Ostmitteleuropa - Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn befinden sich im Umbruch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Oktober 2006

Politisch instabil und das auf Dauer
Ostmitteleuropa - Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn befinden sich im Umbruch
von Helge Meyer

Derzeit scheinen die Staaten Ostmitteleuropas, also Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn (auch "Visegrad-Gruppe" genannt), vor allem eines gemeinsam zu haben, nämlich ein gewisses Maß an politischer Instabilität. Beispiel Polen: Hier wird es allem Anschein nach zu einer Neuauflage der zerbrochenen Dreiparteienkoalition kommen. Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) konnte sich nach einer etwa einmonatigen Regierungskrise mit der Bauernpartei Samoobrona und der Liga Polnischer Familien (LPR) einigen. Der Parteivorsitzende der Bauernpartei, Andrzej Lepper, der von Kaczynski noch im September als "Unruhestifter" entlassen worden war, wird nun wieder als Vize-Ministerpräsident und Agrarminister eingesetzt. Damit ist zwar die Regierungskrise in Polen offiziell beendet; der Vertrauensverlust aber, den das Dreier-Bündnis erlitten hat, bleibt. Ein Ausdruck dieses Vertrauensverlustes sind die schlechten Umfragewerte für die Regierungsparteien. Käme es in diesen Tagen in Polen zu Neuwahlen, hätte wohl die oppositionelle Bürgerplattform (PO) die Nase vorn. Sie könnte mit etwa 38 Prozent der Stimmen rechnen, die PiS von Jaroslaw Kaczynski mit etwa 25 Prozent. Dieses Ergebnis muß für die PiS höchst alarmierend sein; noch im Frühjahr dieses Jahres lag nämlich die Partei des Ministerpräsidenten und seines Zwillingsbruders, Staatspräsident Lech Kaczynski, in den Umfragen weit vorn.

Eine Auflösung der Abgeordnetenkammer (Sejm) konnte gerade noch abgewendet werden. Das Regieren wird aber in Zukunft nicht leichter werden, da die drei Regierungsparteien keine Mehrheit mehr im Sejm haben, sondern nur noch über die Hälfte aller Mandate verfügen.

Hauptgrund der Instabilität ist der besagte Andrzej Lepper, der 1992 die Partei Samoobrona (deutsch: Selbstverteidigung) gründete und seitdem so etwas wie das "enfant terrible" der polnischen Politik ist. Er war es auch, der aufgrund maßloser Forderungen bei den letzten Budgetverhandlungen die Regierungskrise in Polen heraufbeschwor. Die Partei Samoobrona zog sich darauf ganz aus der Regierung zurück, die dadurch ihre Mehrheit im Parlament verlor.

Rückhalt hat Lepper, der mehrfach zu Geld- und Haftstrafen verurteilt wurde, vor allem bei den polnischen Bauern, die wegen der EU-Mitgliedschaft Polens um ihre Existenz fürchten. Da kaum damit gerechnet werden kann, daß Lepper in Zukunft moderater auftritt, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis in Polen die nächste Regierungskrise ansteht.

Die Regierungskrise, die derzeit auch die politische Lage in Ungarn kennzeichnet, macht sich vor allem an einer Person fest, nämlich an der von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány (Sozialistische Partei Ungarns; MSZP), der als einer der reichsten Männer Ungarns gilt. In Ungarn standen die Zeichen bis vor kurzem eher auf Stabilität, gelang doch der Regierung Gyurcsány im April 2006 ein Novum; sie wurde nämlich als erste ungarische Regierung nach der Wende im Amt bestätigt. Zusammen mit ihrem Koalitionspartner SZDSZ (Allianz der Freien Demokraten) kam sie auf einen Anteil von knapp 53 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Ferenc Gyurcsány ist, um es vorsichtig zu sagen, eine "umstrittene" Persönlichkeit. Immer wieder fiel er in der Vergangenheit durch umstrittene Äußerungen auf, für die er sich entschuldigen mußte. Auch im Hinblick auf die Herkunft seines Privatvermögens und des Vermögens seiner Unternehmen gibt es viele Fragezeichen.

Stein des Anstoßes der aktuellen Krise war aber eine mit Kraftausdrücken gespickte Rede Gyurcsánys, die auf bisher ungeklärte Art und Weise an die Öffentlichkeit gelangte. Er soll sie nach dem zweiten Durchgang der diesjährigen Parlamentswahlen auf einer internen Fraktionssitzung in BalatonÖszöd gehalten haben. Gyurcsány gab darin zu, daß die Ungarn in den vergangenen Jahren und im Wahlkampf 2006 von ihm belogen worden seien, damit er und seine Regierung bleiben konnten. Weiter räumte Gyurcsány ein, daß es Ungarn wirtschaftlich wesentlich schlechter ginge als bisher propagiert; entsprechend desolat ist die Haushaltslage.

Seit Bekanntwerden dieser Rede befindet sich Ungarn in einer Art Ausnahmezustand, der sich durch die Ankündigung eines radikalen Sparpakets noch weiter verschärft hat. Alles dies bietet der ungarischen Oppositionspartei "FIDESz" von Ex-Ministerpräsident Viktor Orban genügend Stoff; bei den immer wieder stattfindenden Demonstrationen, die sich auch gegen Gyurcsánys strikte Sparpläne richten, ist sie durch mindestens einen Redner präsent. Es geht wohl nicht zu weit, wenn man feststellt, daß ähnlich wie in Polen auch in Ungarn die amtierende Regierung ihre Zukunft bereits hinter sich haben dürfte.

Was in Ungarn und Polen noch bevorsteht, ist in Tschechien bereits Realität. Hier ist die Regierung des konservativen tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek (Demokratische Bürgerpartei; ODS) vor einigen Tagen zurückgetreten, weil sein Kabinett bei der Vertrauensabstimmung gescheitert ist. Die Minderheitsregierung Topolaneks war nur 38 Tage im Amt, was ein Novum in der Geschichte Tschechiens / der Tschechoslowakei darstellt. Topolaneks ODS ist als siegreiche Partei der Juni-Parlamentswahl weiter am Auftrag zur Regierungsbildung interessiert; ähnliches gilt aber auch für die zweitstärkste Partei, nämlich die Sozialdemokraten (CSSD) von Ex-Premier Jiri Paroubek. Gleichzeitig kursieren Gerüchte, nach denen Staatspräsident Václav Klaus einer "neutralen" Person den Auftrag erteilen könnte. Diese soll angeblich eine Expertenregierung bilden und das Land zu vorgezogenen Wahlen im Frühjahr 2007 führen.

Sollte auch der zweite Versuch einer Regierungsbildung in Tschechien an der Vertrauensabstimmung scheitern, darf laut Verfassung noch ein dritter und letzter Versuch folgen. Diese mühsame Regierungsbildung ist auf ein Patt nach der Parlamentswahl im Juni dieses Jahres zurückzuführen. Zwei gleich starke Blöcke mit je 100 Stimmen - hier ODS, KDU-CSL (Christliche und Demokratische Union-Tschechoslowakische Volkspartei) und Grüne (Mitte-Rechts), da CSSD (Sozialdemokraten) und KSCM (Kommunisten) - stehen sich im Unterhaus gegenüber.

Bleibt schließlich noch die Slowakei, in der sich gerade eine neue Links-Rechts-Regierung formiert hat, die aber bei vielen EU-Mitgliedern auf Vorbehalt stößt. Hier hat sich der sozialdemokratische SMER-Führer (Smer = Richtung) Robert Fico mit Hilfe der Nationaldemokraten der HZDS (Bewegung für eine Demokratische Slowakei) und der nationalkonservativen SNS (Slowakische Nationalpartei) die Mehrheit gesichert. Seit dem 4. Juli 2006 ist Fico der fünfte Ministerpräsident der Slowakei.

Wegen der Beteiligung der SNS versuchen die großen Fraktionen im EU-Parlament, ein "Monitoring" über die Slowakei zu verhängen. Robert Ficos Koalitionsregierung soll, um es anders auszudrücken, "überwacht" werden. Offizieller Grund hierfür ist SNS-Parteichef Jan Slota, der immer wieder mit Angriffen auf die ungarische Minderheit auffällt. Er hat maßgeblich zur Verschlechterung des Klimas zwischen Bratislava und Budapest beigetragen. Es ist wohl in erster Linie der Druck des Auslands, der verhindert hat, daß er Mitglied der Regierung wurde.

Reizpunkt der politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre waren die als "angelsächsisch" gebrandmarkten Wirtschafts- und Sozialreformen und die sozialen Verwerfungen im Land. Die neue Dreiparteienkoalition unter Fico steht für einen "antireformerischen Kurs". Ob die Regierung Fico mit ihrem Linksruck die Slowakei in eine bessere Zukunft führen kann, muß freilich abgewartet werden.

Insgesamt kann mit Blick auf die Staaten Ostmitteleuropas konstatiert werden, daß der Preis für die Reformen und die damit verbundenen Veränderungsprozesse, die nach dem Ende des Kalten Krieges in den Staaten der Visegrad-Gruppe zu beobachten sind, offensichtlich ein gewisses Maß an politischer und gesellschaftlicher Instabilität ist. Es wird in dem einen oder anderen Fall wohl auch des Engagements der etablierten EU-Mitglieder bedürfen, sollen Rückschritte vermieden werden.


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