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28.10.06 / Von Proleten, Proletariern und anderen Mißverständnissen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Oktober 2006

"Moment mal!"
Von Proleten, Proletariern und anderen Mißverständnissen
von Klaus Rainer Röhl

Sie Prolet!" Das war schon zu Bismarcks Zeit ein Schimpfwort bei Kleinbürgern, wenn sie sich wegen eines Lochs im Gartenzaun oder des nächtlichen Hundegebells mit ihrem Nachbarn in die Haare kriegten. Das Wort hat eine lange Geschichte. proletarii bezeichnete im späten Rom die unterste Klasse der völlig Besitzlosen, die dem Staat nur noch nützlich sein konnten durch ihre Kinder, die proles, die der Staat für seine vielen Kriege brauchte, die zum Aufstieg Roms zur imperialen Weltmacht geführt hatten, bis das ganze Imperium schließlich zerbrach. Als Folge der Völkerwanderung, aber durchaus auch aus innerer Schwäche, über deren Ursachen schon viel Kluges und Differenziertes geschrieben worden ist. Kurz gesagt aber deshalb, weil die Proletarier, trotz immer perfekterer militärtechnischer Ausrüstung, keine Lust mehr hatten, für Rom im Kampf gegen germanische Kurzschwerter und syrische Krummsäbel zu verbluten, vor allen Dingen deshalb, weil sie sich unter dem Reich kaum noch etwas vorstellen konnten. Am Ende gar nichts.

Sie kannten ihren Staat als Lieferanten der kostenlosen Zuteilungen von Getreide und Öl, aber nicht mehr als ihre eigene Sache. Da nützte den römischen Feldherren, auch sie bereits in vielfältiger Weise desorientiert, auch der Einsatz fremder Söldner nichts mehr, selbst wenn sie von germanischer oder syrischer Herkunft waren, denn die hatten, wie man heute sagen würde, noch weniger Grund, für das Römische Imperium zu kämpfen.

Rom hatte schon mal freundlichere Zeiten gesehen, aber schon in seiner guten alten Zeit, als es nur eine Stadt war, gab es Krach zwischen den Besitzern des umliegenden Landes und den einfachen Leuten, die die Arbeit machten, den Plebejern. Aber damals, zur Zeit der Republik (von res publica = gemeinsame Sache) im 5. Jahrhundert v. Christus, gab es offenbar noch eine halbwegs ausgeglichene, für beide Seiten nützliche Arbeitsteilung zwischen den Gruppen der Bevölkerung. Die Plebejer arbeiteten, die Aristokraten regierten und verwalteten die Stadt - und führten die Kriege und Verhandlungen, die Rom zu einem Weltreich machten. Jedenfalls berichtet Livius in einer noch eher sagenhaften Überlieferung, daß die Besitzlosen eines Tages (um 494 v. Chr.) keine Freude mehr an dieser Machtverteilung hatten und in eine Art totalen Streik traten: Sie verließen ihre Wohnsitze in der Stadt und versammelten sich auf einem anderen Hügel, damals weit weg vom Kapitol, heute mit dem Bus in fünf Minuten zu erreichen. Schwierige Lage für die herrschenden Familien. Sie wären unfähig gewesen, sich auch nur ein paar Wochen am Leben zu erhalten. Guter Rat war jedenfalls teuer, fand sich aber schließlich doch.

Der ebenfalls aus einfachen Verhältnissen stammende spätere Konsul Menenius Agrippa machte sich auf zu den Verweigerern und überredete sie, als sozusagen erster Sozialdemokrat der Weltgeschichte, zu einer sozialverträglichen Lösung des Konflikts. lndem er ihnen weismachte, daß sie, die Plebejer, der Magen, die übrigen Bürger aber das Haupt und die Glieder eines einzigen Körpers seien, die einander zum Leben brauchten: Der Magen könne ohne die Glieder keine Nahrung mehr erhalten, aber die Glieder würden auch nur durch den Magen versorgt. Dummer Vergleich, fand ich schon auf der Schule, als ich diese erste Begründung für Ungleichbehandlung von Menschen nacherzählen mußte, aber die Plebejer ließen sich umstimmen. Die Klassen differenzierten sich, es gab bald viele Arten von Steuern und Rechten, und nur die Proletarier fielen durch den Rost, sie hatten, im Zeitalter zunehmender Rationalisierung der Wirtschaft auf dem Land und in der Stadt - durch Sklaven - bald überhaupt keine Arbeit mehr, zahlten auch keine Steuern. Der Bedarf an Nahrungsmitteln, Baumaterialien, Konsumgütern und Luxusartikeln wurde fast ausschließlich durch Einfuhren gedeckt, die Proletarier hatten nur noch die Funktion, dem Staat Kinder für die Armee zu liefern, immerhin waren sie ja römische Bürger. proles = Kinder, davon leitete man die Bezeichnung für die Arbeitslosen her. Wehe, wenn die Verteilungen von Getreide und Öl einmal ausblieben, dann machten sie Rabatz. Sonst nicht.

Opa Marx wollte im 19. Jahrhundert, in den Anfangsjahren der Industrialisierung, die historischen Fakten flott ignorierend, daß die ungelernten Lohnarbeiter sich stolz Proletarier nennen sollten. Weil sie, ebenso wie die ..Proles" in Rom, Besitzlose seien. Der Vergleich mit den "Proletariern" hinkte von vorn bis hinten, denn die konnten und wollten (!) gar keine Arbeit annehmen, sie wurden ausschließlich vom Staat ernährt, waren geborene Stützeempfänger. Die klassenbewußten Proletarier im 19. Jahrhundert besaßen nichts als ihre Arbeitskraft, aber die wurde beim Aufbau der Industrie gebraucht, und sie hatten - wie ihnen Opa Marx einredete - nichts zu verlieren als ihre "Ketten". Deshalb sollten sie sich in allen Ländern vereinigen und durch keinen Menenius Agrippa zum Rückzug bewegen lassen.

Bei uns im Westen änderte das Wort seine Bedeutung schnell wieder und wurde zum Schimpfwort. "Du Prolet!"

Inzwischen ist das Wort mit seiner abschätzigen Bedeutung aus der Mietskaserne und Kleingärtnerzeit in der Sprache der Jugendszene wieder in Gebrauch gekommen: Zuerst, Ende der 80er Jahre als ,,Prolo"( = blöder Typ. "Jeder Prolo fährt Polo!") und hat sich heute weiterentwickelt zum "Proll", das ist einer, der primitiv ist, zurückgeblieben, die Dinge nicht kennt, die "angesagt" sind, Laptops, Turnschuhe, Modeklamotten.

Was lehrt uns das? Der Vorsitzende der SPD hat mit dem Wort "Unterschicht", aus dem Zusammenhang einer langen und gut formulierten Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung gerissen, Staub aufgewirbelt, Schlagzeilen gemacht und nach anfänglichem Mißverständnis bei seinen Parteilinken diesen und auch den Genossen von der Linkspartei das Stichwort für eine neue Kampa-gne geliefert, gegen die CDU/CSU und für eine Wiederauflage der Ladenhüter des ollen Marx und seines Traums von der Verteilergesellschaft. Eine neue laute Mißmutsmelodie ist angestimmt, von einem SPD-Vorsitzenden, der mit einem Bein noch in der Großen Koalition steht, mit dem anderen Bein schon gern einmal ein Tänzchen mit Lafontaine wagen möchte.

Was lehrt uns das? Zunächst mal zur "Unterschicht". Ist wirklich ein neuer Menschentypus in Deutschland und auch in Westeuropa am Entstehen, der ähnlich wie die Proletarier der römischen Spätzeit nicht nur keine Arbeit mehr kennt, sondern auch keine mehr will, nur noch Stütze bezieht und daher natürlich auch keinen Gemeinschaftsgeist aufbringen und keinen Widerstand mehr leisten kann gegen totalitäre Ideologien und keinerlei Zerfall aufhalten wird. Tatsächlich gibt es Unterschichten. Aber das sind Randerscheinungen, die es in Großstädten und Ballungsgebieten immer gab und die Karl Marx verächtlich "Lumpenproletariat" nannte. Später hießen sie Penner, Gammler, Asoziale, Obdachlose, Drogenfreaks oder Punks - immer am Rande der Gesellschaft - und von ihr - lebend. Seit 1968 wurden diese Gruppen thematisiert und gehätschelt, aber die Wohlstandsgesellschaft konnte sie wegen ihrer geringen Zahl ignorieren. Auch heute noch beträgt ihr Anteil, zu dem auch eine gewisse Anzahl im Land lebender Ausländer gehört, in den alten Bundesländern nur vier Prozent.

Auf dem Gebiet der alten DDR aber, in dem Karl Marx' Träume und Pläne über 40 Jahre die Gesellschaft bestimmen sollten, ist im Zuge der stürmischen weltweiten Wirtschaftsentwicklung (Raubkatzenstaaten) ein Tal der Hoffnungslosen und Resignierten entstanden, das 20 Prozent der dort lebenden Deutschen erfaßt. Die halbwegs ehrgeizigen, und flexiblen jungen Männer und Frauen sind ohnehin in die alte Bundesrepublik ausgewandert. Dort drüben lebt die sich nutzlos und hoffnungslos fühlende "Unterschicht". Zusammen mit den völlig anders strukturierten Randgruppen im Westen kommen wir also in Deutschland auf den schlimmen Prozentsatz von acht Prozent. Das sind genau acht Prozent zuviel. Durch acht Jahre rot-grüne Regierung unter Schröder wurde die mittelständische Industrie in Deutschland unverantwortlich geschwächt, während die großen Konzerne sich ungehindert in Richtung Heuschreckenplage entwickeln durften. Eine unternehmerische Verantwortung deutscher Konzernchefs speziell für Deutschland gibt es längst nicht mehr. Man handelt global, aber man fühlt auch global. Bei Jahresgehältern für Manager, die im letzten Jahr noch einmal um elf Prozent erhöht wurden und heute, nach einer Untersuchung der "FAZ" bei 3,8 Millionen beginnen, wird alles andere belanglos.

Aber die Hartz-IV-Empfänger haben, wirkliche Proles, nur noch ihre Wählerstimmen zu vergeben. Seltsamerweise wird, auch im Ausland, jetzt immer so getan, als wenn hier eine Gefahr von rechts sich aufbaute, als würden die lächerlichen knapp über fünf Prozent Stimmen für die NPD und das größere Potential der Nichtwähler schon den Untergang des Abendlandes bedeuten. Die Gefahr liegt da, wo sie seit 1945 immer gelegen hat, links. Wo die dreimal umbenannte SED in einigen Ländern bereits regierungsfähig und gerade die zweitstärkste Partei geworden ist. Die "Unterschicht" wählt links und wird weiter nach links treiben.

So helft ihnen doch. Und tut das in Bälde. Sonst passiert euch etwas, was Ihr jetzt noch nicht für möglich haltet.

Foto: Zustände wie im alten Rom? Glänzend dargestellt von Peter Ustinov als Nero. (Ullstein)


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