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04.11.06 / "Dann ändern wir das Grundgesetz" / Bundespräsident Köhler verweigert Privatisierung der Flugsicherung nur aus juristischen Gründen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. November 2006

"Dann ändern wir das Grundgesetz"
Bundespräsident Köhler verweigert Privatisierung der Flugsicherung nur aus juristischen Gründen
von Sverre Gutschmidt

Wir schreiben das Jahr 2006. Der deutsche Luftraum, fast unendliche Weiten, ist unter staatlicher Kontrolle. Doch die Berliner Große Koalition strebt dessen Privatisierung an. Noch in staatlicher Hand, soll die "Deutsche Flugsicherung GmbH" (DFS) so rasch wie möglich verkauft werden. Eine Milliarde Euro erhofft sich der Bund von der Veräußerung. Ein entsprechendes Gesetz ist am Bundespräsidenten, gescheitert - vorerst.

Horst Köhler verweigerte die nötige Unterschrift. Die Begründung: Das Grundgesetz (Art. 87) sieht eine Privatisierung nicht vor, dem Gesetzgeber bleibe aber die Chance, das Grundgesetz zumindest umzuformulieren - reine Formsache also, folgerte die Regierung. Prompt kündigt sie an, diesen Ausweg zu prüfen. Eine nennenswerte parlamentarische Opposition zu diesem Vorhaben ist nicht auszumachen, eine Debatte, welche Aufgaben zurecht Staatsaufgaben sind und bleiben sollen, findet kaum statt. Doch eine solche Debatte um die wichtigsten erhaltenswerten Hoheitsaufgaben ist dringend nötig, wie das Beispiel zeigt.

Fast drei Millionen Flugbewegungen gibt es im Jahr im deutschen Luftraum. Jährlich werden es mehr. Beim Braunschweiger Luftfahrtbundesamt sind 20000 deutsche Flugzeuge registriert. Die als grenzenlos besungene Freiheit über den Wolken hat damit eher enge Grenzen. Um das enorme Luftverkehrsaufkommen zu regeln, bedarf es einer zentralen, möglichst unabhängigen Instanz - eben der staatlichen Flugsicherung. Um so mehr, da Deutschland ein Lufttransitland wie kaum ein anderes in Europa ist. "Eurocontrol" bündelt die transnationalen Verbindungen. Die 5300 Mitarbeiter der DFS weisen jedem Flugzeug seinen Platz zu, seit 1953. Privatwirtschaftlich organisiert ist das Unternehmen bereits seit 1993, der Bund 100prozentiger Eigner.

Um Wirtschaftlichkeit also kann es bei den Verkaufsplänen nicht gehen. Die DFS erzielt Überschüsse. Haupteinnahmequelle sind die Gebühren, die sie von Luftfahrzeughaltern nach den Prinzipien der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO und Eurocontrol für Flugsicherungs-Dienstleistungen erhebt. Die zweite Erlösquelle sind beratende Tätigkeiten. Die DFS ist nach ihrer Gebührenordnung verpflichtet, kostendeckend zu wirtschaften - Rücklagen sind nicht vorgesehen. Jährliche Überschüsse in zweistelliger Millionenhöhe sind jedoch die Regel. Eine schmale Rendite angesichts eines Kaufpreises von einer Milliarde, doch bei den bisherigen Statuten müßte es nicht bleiben. Radikale Einsparungen oder höhere Gebühren beflügeln das Interesse privater Anleger an der DFS, unter ihnen auch deutsche Fluggesellschaften.

Dem Bund hingegen sind die Überschüsse nicht genug. Offensichtlich spekulieren SPD wie CDU auf den milliardenschweren Verkauf zur Sanierung der Staatskasse - ein "Einmaleffekt". Ein besonders lästiger Schadensfall, der Absturz einer Passagiermaschine der "Bashkirian Airlines" 2002, für den dem Bund wegen seiner Verantwortung für die Sicherung des Luftraums nun vom Landgericht Konstanz die Verantwortung zugewiesen wurde, mag die Verkaufsentscheidung beschleunigt haben.

71 Menschen starben damals nahe Überlingen am Bodensee. Die Schweizer Firma "skyguide" - ähnlich der DFS ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen (99 Prozent gehören der Eidgenossenschaft) - war damals damit beauftragt, diesen Teil des deutschen Luftraums zu überwachen. Das Konstanzer Urteil zeigt: Die Bundesrepublik kann ihre Verantwortung nicht an Dritte abtreten, zumindest nicht, solange das Grundgesetz klar dem Bund lufthoheitliche Aufgaben zuweist. Zudem wirft der Fall die Frage auf, ob private, rein profitorientierte Unternehmen einen so sensiblen Bereich wie Luftsicherung überhaupt überwachen sollten, bisherige Privatisierungsschritte nicht schon zu weit gingen. Schon im Nachhall des Überlingen-Unglücks traten die Mängel in der privaten Schweizer Luftsicherung klar hervor.

Sie sind im Kern bis heute nicht ausgeräumt. So liegt der "Neuen Zürcher Zeitung" ein interner Bericht des Schweizer "Bundesamtes Zivilluftfahrt" (BAZL) vor. Darin, so die "Neue Zürcher" sei von eklatanten Sicherheitsmängeln zu lesen. Fluglotsen wurden nicht ausreichend in ein neues Programm zur Kontrolle des oberen Luftraums (Langstreckenflüge) eingewiesen, die neue Elektronik offenbar aus Kostengründen nicht nach anerkannten Verfahren geprüft, bevor sie eingesetzt wurde. Mitarbeiter berichten gar, die Firma habe sich in einen "Überlebenskampf" hineingesteigert, in dem Sicherheitsbedenken kaum mehr beachtet würden - Tests hätten "am Kunden" stattgefunden.

Die Schweizer Flugsicherung ist kein Sonderfall. Auch in Bereichen unter einst deutscher Staatsobhut haben Privatisierungen zumindest dem Bürger wenig Verbesserungen gebracht. Postfilialen wurden geschlossen, ganze Regionen vom Bahnnetz faktisch abgekoppelt, Zehntausende bei einstigen Staatsunternehmen wie der Telekom entlassen und sogar polizeiliche Aufgaben teilprivatisiert. Manches davon mag seine Berechtigung haben. Die oft proklamierte höhere Leistung hat sich in keinem Fall automatisch eingestellt. Der Staat hat sich vielmehr selbst um Einfluß gebracht: In der Energiewirtschaft, im Wohnungswesen und nun auch in der Überwachung des Luftraums.


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