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04.11.06 / Als die Türken noch Turban trugen / Schloß Charlottenburg geht eigene Wege, seine Schätze den Besuchern nahezubringen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. November 2006

Als die Türken noch Turban trugen
Schloß Charlottenburg geht eigene Wege, seine Schätze den Besuchern nahezubringen
von Rebecca Bellano

Keck zwirbelt er an seinem Schnurbart, wedelt mit seinem Fächer Richtung Gemälde und zeigt auf die mit orientalischem Kopfschmuck abgebildete Henriette Charlotte von Pöllnitz, das erste Kammerfräulein Sophie Charlottes. Der Kammertürke Friedrich Aly, alias Gerhard Vondruska, führt die Besucher des Schlosses Charlottenburg durch die Räume und schärft ihren Blick für die orientalische Seite des preußischen Königssitzes.

Etwas Besonderes sollte es sein, so hatte es sich die Marketingabteilung der "Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg" vor gut eineinhalb Jahren gewünscht. Man wollte sich absetzen von den typischen Schloßführungen, mal neue Wege gehen, andere Dinge zeigen. Inzwischen schlüpft der Berliner Schauspieler und Stadtführer Gerhard Vondruska regelmäßig in das Kostüm des Kammertürken Friedrich Aly, der wahrscheinlich zwischen 1683 und 1686 im Alter von Anfang 20 nach der Eroberung von Budapest anläßlich der Abwehr der Belagerung Wiens durch osmanische Truppen und dem anschließenden Großen Türkenkrieg in preußische Gefangenschaft geraten war.

Damals gelangten mehrere tausend Türken als lebende Kriegsbeute in die christliche Gesellschaft. Allein bei der Eroberung von Budapest, damals Ofens, wurden 4000 bis 5000 Gefangene unter den Offizieren, Soldaten und dem Staat aufgeteilt. Sie wurden in alle Gesellschaftsschichten integriert, machten sich als Tabakpfeifenschnitzer, Sattler oder sogar Kirchendiener und Pfarrer in der Gesellschaft nützlich. Einige eröffneten Kaffeehäuser, eine Lokalität, die es so zuvor nicht gegeben hatte.

Friedrich Aly wurde vom preußischen General Albrecht Graf von Barfuß nach Berlin gebracht, wo er die deutsche Sprache erlernte und zum christlichen Glauben bekehrt wurde. 1693 wurde der junge Osmane in der Berliner Domkirche getauft, und da Türkentaufen zur damaligen Zeit eine beim Adel beliebte Mode waren, erhielt er wie üblich eine blaublütige Patin. Kurfürstin Sophie Charlotte (1668-1705), die Frau des Großen Kurfürsten und späteren Königs in Preußen Fried-

rich I., übernahm höchstpersönlich bei dem jetzt den Vornamen Friedrich tragenden Türken die Patenschaft. Aber nicht nur die Türkentaufen waren beim Adel beliebt, auch schmückte man sich gern mit Bediensteten aus diesem fernen Land. Alles Orientalische galt damals als exotisch und geheimnisumwittert und so wurde Friedrich Aly einer von zwei Kammertürken am preußischen Hofe. 1694 heiratete er die ebenfalls getaufte Türkin Sophia Henriette, die vorher den Namen Marusch getragen hatte und mit der er zusammen sechs Kinder bekam.

Gerhard Vondruska zeigt den Schloßbesuchern nicht nur orientalisch anmutende Gemälde, Porzellane und Möbel, sondern erzählt auch über die Aufgaben eines Kammertürken, die körperlich nicht sonderlich anstrengend, aber prestigeträchtig und relativ gut bezahlt waren. So erhielt der Kammertürke, dessen Aufgabe es war, der Königin Getränke zu servieren, kleine Besorgungen zu erledigen, Briefe wegzubringen und Gäste zur Königin zu führen, 366 Taler jährlich, während beispielsweise der adlige Kammerjunker von Grothe nur 255 Taler bekam. Der barocke Geltungswille und die Vorliebe für das Fremdartige und Exotische ließ sich der preußische Hof zu Zeiten Friedrich I. auch etwas kosten. Allerdings nutze auch der König die Dienste der beiden Kammertürken, denn damals war es "en mode" in geselliger Runde die neuen Luxusgetränke Kaffee, Schokolade und Tee einzunehmen. Auch wurde Tabak - von Damen und Herren gleichermaßen - geschnupft und geraucht. Hierzu erschien es angebracht, sich alles von einem echten, mit Kaftan und Turban gekleideten Osmanen reichen zu lassen. Auch bei den beliebten Maskeraden bei Hofe waren die beiden Turbanträger gern als Bedienung gesehen, auch wenn sie sich häufig nicht von den Gästen unterschieden, die sich mit Vorliebe als Sultan und Sultanin verkleideten. Auch wirkte ein echter Osmane trefflich bei den zur Zerstreuung nachgespielten Türkenfeldzügen. Friedrich Aly und sein Kollege Hassan erhielten für ihre vorzüglichen, treuen Dienste sogar von Sophie Charlotte Grundstücke in der Berliner Schloßstraße geschenkt. Dort bauten sie sich Häuser, die sogar vom Grundzins befreit wurden.

Friedrich Aly, der als einer der ersten Bürger Charlottenburgs 1711 den Bürgereid leistete, wurde jedoch von Sophie Charlottes sparsamen Sohn Friedrich Wilhelm I. kurz nach dessen Thronbesteigung 1713 von der Gehaltsliste gestrichen. Der Soldatenkönig verachtete die luxuriöse Hofführung seiner Eltern und beschränkte sich auf das nötigste, so daß Friedrich Aly seine Anstellung verlor, in finanzielle Schwierigkeiten geriet und 1715 sein Haus verkaufen mußte. Ein Jahr später starben er und seine Frau kurz hintereinander und wurden auf dem Friedhof der Parochialkirche beigesetzt. Mit dem Tod des Kammertürken Aly endete auch eine exotisch anmutende, auf Pomp fixierte barocke Epoche am preußischen Hofe, in die Gerhard Vondruska interessierte Besucher mit zahlreichen, teils auch fiktiven Details entführt.

Wer die ungewöhnliche Schloßführung mit dem Kammertürken Aly buchen möchte, kann dies bei der "Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg", Telefon (03 31) 9 69 42 01.

 

Der Siegeszug des dunklen Bitter

Obwohl Kaffee auch in Europa schon länger ein Begriff war, hatte das bittere teure Luxusgetränk seinen "Durchbruch" doch erst nachdem der türkische Gesandte Soliman den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. von dem Schick der orientalischen Spezialität überzeugt hatte. Als das für europäische Gaumen zu ungewöhnliche Getränk mit Zukker gesüßt wurde, begann der Siegeszug von Versailles aus durch Europa. Da der Orient damals die Menschen faszinierte, gehörte es auch zum guten Ton, Kaffee, Schokolade und Tee zu trinken. Man ließ sich in orientalischer Kleidung porträtieren, kaufte Möbel und Porzellan im Orient-Stil, dekorative Lackmalereien, Gobelins und Gemälde mit orientalischen Motiven. Auch der Tabakkonsum, in der Pfeife oder als Schnupftabak, kam in Mode, und auch hier stellte man einen direkten Bezug zum Orient her. Orientalisch verzierte Schnupftabakdosen zeugen noch heute von der Entwicklung. Das gehobene Bürgertum übernahm schließlich die Passion des Adels für alles Orientalische. Die von einst kriegsgefangenen Türken errichteten Kaffeehäuser machten es reichen Kaufleuten und Gebildeten möglich, Kaffee, Schokolade und Tee in orientalischem Ambiente zu verköstigen. Später eröffneten auch mehr und mehr Nicht-Osmanen Kaffeehäuser, die aufgrund sich von den Etablissements ihrer orientalischen Gründer abhebenden Eleganz immer mehr betuchte Bürger und Adlige anlockten. Der Besuch von Kaffeehäusern wurde auch für Frauen zur gesellschaftlich anerkannten Freizeitbeschäftigung.


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