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11.11.06 / Generationen / Der Großvater und der kluge Enkel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. November 2006

Generationen
Der Großvater und der kluge Enkel
von Günter Schiwy

Vor vielen Jahren lebte in Kreuzofen der reiche Bauer Borutta, dem die Frau gestorben war. Da sie beide in ihrem Leben hart gearbeitet, bescheiden gelebt und gespart hatten, setzte sich Borutta mit 80 Jahren auf sein Altenteil zur Ruhe. Den gut geführten Hof übergab er seinem ältestem Sohn, der eine recht geizige Frau aus dem Nachbardorf Nieden geheiratet hatte.

Nachdem der alte Bauer seinem ältesten Sohn den Hof überschrieben hatte, behandelten Sohn und Schwiegertochter ihn sehr schlecht. Der Altenteiler durfte nicht am gemeinsamen Eichentisch essen, sondern die Schwiegertochter servierte ihm seine Mahlzeiten in der anderen Hälfte des Hauses, wo er zwei Zimmer und eine Küche bewohnte, eben auf seinem Altenteil. Er durfte nicht mit essen, weil er einen Schlaganfall erlitten hatte und ihm das Essen teilweise aus den Mundwinkeln lief. Sie ekelten sich vor dem alten Mann und überließen ihn sich selbst in seiner Wohnung. Da seine Hände zitterten, ließ er dann und wann das irdene Geschirr auf die Holzdielen fallen. Das ärgerte die Schwiegertochter ungemein. Deshalb ließ sie beim Böttcher Blöß für den alten Herrn einen hölzernen Löffel, einen hölzernen Teller und zwei hölzerne Schüsseln anfertigen.

Das Ehepaar Borutta hatte einen zehnjährigen Sohn Johann. Enkel und Großvater verstanden sich ausgezeichnet! Johann war oft beim Großvater in seiner Wohnung. Im Winter saßen sie auf der Ofenbank am warmen Kachelofen, während draußen der kalte Wind um das Haus pfiff.

Der alte Borutta liebte seinen Enkel abgöttisch. Beide waren ein Herz und eine Seele. Oft erzählte Opa dem Enkel Johann an kalten Winterabenden von früher, trug ihm Märchen sowie Geschichten von Alt-Kreuzofen vor, las aus der Hausbibel oder beide sangen gemeinsam Volks- und Wanderlieder. So vertrieb der Enkel Johann seinem Großvater die Langeweile oder umgekehrt.

Der kleine Johann wurde dank der lehrreichen und intensiven Beschäftigung mit seinem Opa ein schlauer und aufgeweckter Junge. Großvater Borutta war stolz auf ihn!

Eines Tages schnitzte sich der kleine Johann im Holzschauer einen kleinen Holztrog, mit dem er in der Stube spielte. Aus so einem Holztrog fressen in der Regel Schweine! Das sah der Vater und fragte seinen Sohn: "Johann, warum hast du dir so einen kleinen Holztrog gemacht?" Die prompte Antwort von Johannes war: "Wenn mein Vater und meine Mutter so alt sind, wie heute mein Großvater ist, dann lasse ich sie aus so einem Holztrog essen und setze sie in die Altenteilwohnung, wo heute unser Großvater leben muß."

Der Vater erschrak über diese makabre Antwort seines Sohnes. Er begriff den Sinn und Zweck der kindlichen Andeutung. Der Sohn hatte ihm eine Lektion erteilt! Von diesem Zeitpunkt an war er geheilt. Und von nun an durfte der alte Großvater Borutta mit ihnen allen die Mahlzeiten gemeinsam am Tisch einnehmen und mit ihnen gemeinsam die Abende verbringen.


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