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18.11.06 / Österreichs letzter Kaiser tritt an / Vor 90 Jahren übernahm Karl I. nach dem Tod Franz Josephs I. die Herrschaft im Habsburger Vielvölkerstaat

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. November 2006

Österreichs letzter Kaiser tritt an
Vor 90 Jahren übernahm Karl I. nach dem Tod Franz Josephs I. die Herrschaft im Habsburger Vielvölkerstaat
von Manuel Ruoff

Die beiden letzten Kaiser der Großmächte Deutsches Reich und Österreich weisen eine interessante Parallele auf. Beide kamen in sehr jungen Jahren auf den Thron, weil die Generation vor ihnen mehr oder weniger ausfiel. Ebenso wie Wilhelm II. stand Karl I. erst im 30. Lebensjahr, als er die Krone übernahm. Bei Karl war das am 21. November 1916, dem Todestag seines Vorgängers und Großonkels Kaiser Franz Joseph I. Im Gegensatz zu Wilhelm gehört Karl jedoch zu den ausgesprochen wenigen Herrschern der Neuzeit, die selig gesprochen worden sind. Seine Seligsprechung erfolgte am 3. Oktober 2004; sein Gedenktag ist der 21. Oktober, der Tag seiner Hochzeit mit der italienischen Prinzessin Zita von Bourbon-Parma.

Karl war in gewisser Hinsicht ein Produkt seines Großonkels, des Kaisers. Sein Vater war ein Luftikus, zwar vielseitig begabt, charmant und eine blendende Erscheinung, aber so leichtfertig wie leichtlebig und hinter den Frauen her. Franz Joseph versuchte seinen Neffen dadurch zu bändigen, daß er ihm eine sittenstrenge, hausbackene Ehefrau organisierte. Die Wahl fiel auf die sächsische Prinzessin Maria Josefa. Die beiden heirateten, und 1887 kam mit Karl ihr erster Sohn zur Welt. Der Junge wurde kaum von seinem Vater geprägt, der bereits 1906 mit gerade einmal 41 Lebensjahren entsprechend seinem Lebenswandel an einer Geschlechtskrankheit verschied. Um so prägender war die Mutter, und insofern kann es nicht verwundern, daß Karl als sehr religiös, sanftmütig, gutgläubig und dem Ideal der christlichen Nächstenliebe verbunden beschrieben wird.

Dieses spiegelt sich auch in seiner Regentschaft wider, auf die er nur unzureichend vorbereitet wurde. Er verzichtete auf den autoritären Führungsstil seines Vorgängers und lockerte beziehungsweise mißachtete das für seine Strenge und die Betonung von Statusunterschieden bekannte spanische Hofzeremoniell. Auch sozialpolitisch war der junge Herrscher aktiv. In seinem zweiten Regierungsjahr, 1917, führte er den Mieterschutz ein und schuf das weltweit erste Ministerium für soziale Fürsorge, dem zwei Monate später eines für Volksgesundheit folgte.

Anders als die anderen Kriegsherren nahm er durch häufige Frontbesuche größten Anteil an der Kriegsführung. Die Härten des Krieges waren ihm ein Greuel. So verbot er den Einsatz von Giftgas und die Bombardierung ziviler Ziele. Auch dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg stand er kritisch gegenüber - und das nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus politischen. Er fürchtete den Kriegseintritt der USA, welcher in seinen Augen die Kriegsniederlage zur Folge haben würde. All das brachte Karl in Konflikt mit der Führung des Deutschen Reiches, die auf verbissene Härte und Durchhalten setzte.

Obwohl das Deutsche Reich sich seinem österreichischen Verbündeten zuliebe in dessen - um es mit modernen Worten zu sagen - Kampf gegen den Terror hatte involvieren lassen, war Karl nicht bereit, mit dem Bündnispartner den Weg bis zum bitteren Ende zu gehen. Wenn das Reich seine Friedensbemühungen nicht mittrug, dann unternahm er eben separate Verhandlungen. Dabei mußte er allerdings vorsichtig vorgehen, denn wirtschaftlich, finanziell und militärisch war Österreich des Reiches Juniorpartner. Unterstützt wurde Karl dabei von seiner energischeren Ehefrau, wobei umstritten ist, ob deren Motive nun eher in christlicher Friedensliebe oder in ihrer italienisch-französischen Herkunft zu suchen sind.

Jedenfalls bediente sich Karl ihrer frankreichfreundlichen Verwandtschaft. Am 24. März 1917 übergab der Kaiser einem Bruder seiner Frau, dem belgischen Offizier Prinz Sixtus von Bourbon-Parma, einen Brief, in dem er ihn bittet, "dem Präsidenten der französischen Republik ... geheime und inoffizielle Mitteilung zu machen, daß" er "mit allen Mitteln und mit" seinem "ganzen persönlichen Einfluß bei" seinen "Verbündeten die gerechte französische Zurückforderung Elsaß-Lothringens unterstützen werde". Sixtus kam seiner Mittlerrolle nach und informierte in der gewünschten Weise die Spitze der Entente. Frankreichs und Großbritanniens Staatsspitzen reagierten grundsätzlich positiv. Als ein Problem erwies sich jedoch deren italienischer Verbündeter. Italien hatte nämlich auch Annexionsziele und die bezogen sich auf österreichisches Gebiet. Karl war jedoch bei eigenem Territorium weniger großzügig als bei dem von Verbündeten, und auch aus diesem Grund blieb Karls Friedensinitiative erfolglos - aber sie blieb nicht folgenlos, denn sie hatte ein Nachspiel.

Am 2. April 1918 hielt Österreichs Außenminister eine in der Presse veröffentlichte Rede, in der er Frankreichs Premier Georges Clemenceau vorwarf, mit der Forderung nach Elsaß-Lothringen einen Frieden mit Österreich unmöglich zu machen. Der derart Angegriffene reagierte mit dem Vorwurf der Lüge und veröffentlichte den Inhalt von Karls Brief an Sixtus, der in der Tat das Gegenteil bewies. Auf seines Außenministers Druck hin beteuerte Karl zwar nun schriftlich, kein derartiges Zugeständnis in der Elsaß-Lothringen-Frage gemacht zu haben, doch keiner glaubte ihm. Diese sogenannte Sixtus-Affäre beendete Karls Handlungsfreiheit. Den Entente-Mächten war der Kaiser kein glaubwürdiger Verhandlungspartner mehr, und das Deutsche Reich wußte jetzt, was es an seinem österreichischen Verbündeten hatte, und nahm seinen Juniorpartner entsprechend an die Kandare. An der Seite des deutschen ging das österreichische Kaiserreich wenige Monate später im Strudel des Weltkrieges unter. Im Gegensatz zu Wilhelm hielt sich Karl zwar ein Hintertürchen offen, in dem er am 11. November 1918 nur "auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften" verzichtete, doch änderte dieses faktisch nichts an seinem Sturz. Am 1. April 1922 starb Österreichs letzter Kaiser im portugiesischen Exil an einer Lungenentzündung.


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