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25.11.06 / 100 Millionen ausgeschlagen / "Vollstrecker Ulbrichts": Potsdams Stadtverordnete lehnen Aufbau des Stadtschlosses überraschend ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. November 2006

100 Millionen ausgeschlagen
"Vollstrecker Ulbrichts": Potsdams Stadtverordnete lehnen Aufbau des Stadtschlosses überraschend ab
von Patrick O'Brian

Selten wurde Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs so erzürnt gesehen. Er beschimpfte die eigenen Stadtverordneten regelrecht. "Sie sind politische Verräter", donnerte er ihnen entgegen. "Das wirft uns um Jahre zurück." Was den Mann so aufgebracht hat, war die wohl schwerste Abstimmungsniederlage seiner Amtszeit.

Es geht um den Alten Markt in Potsdam, einen trostlosen Ort. Wenn im Alten Rathaus getagt wird oder in der Nikolaikirche eine Messe stattfindet, dann gibt es ein wenig Leben auf dem Platz. Ansonsten verirrt sich hierher aber niemand. Außer ein paar Jugendlichen vielleicht, die mit ihren Skateboards Kunststücke üben.

Dieser tote Fleck mitten in der brandenburgischen Hauptstadt sollte mit Leben gefüllt werden. Doch fand sich einfach kein privater Investor, um den Ort, an dem früher das Stadtschloß gestanden hatte, zu neuer Blüte zu führen. Deswegen beschloß der Landtag, an eben jener Stelle sein neues Parlamentsgebäude in der Form des alten Schlosses zu errichten und 100 Millionen Euro dafür auszugeben. Ein einmaliges Geschenk für die von den Narben der Geschichte stark versehrte Residenzstadt, jubelten die Freunde des Schlosses. Nun der Schock: Die Stadtverordneten lehnten den Bebauungsplan überraschend ab. Das Votum der Abgeordneten kommt einem kleinen politischen Erdbeben gleich und löste Fassungslosigkeit aus.

Die Ursachen für das Debakel um das Landtagsgebäude reichen zurück bis ins Jahr 1945: In einer schweren Bombennacht richteten alliierte Geschwader erheblichen Schaden in der heutigen Landeshauptstadt an. Auch das Potsdamer Stadtschloß wurde dabei so gut wie zerstört.

Die Kommunisten verfuhren so barbarisch, wie sie es häufig taten, wenn es um architektonische Überreste der Monarchie ging: Ulbricht ließ die Reste des Potsdamer Schlosses 1959/60 abräumen.

Mit der Wende 1989/90 und der Neugründung des Landes Brandenburg mußte ein Landtagsgebäude her. Provisorisch zog das Parlament in ein Gebäude am Brauhausberg, in dem zuvor ausgerechnet die SED ihre Bezirksleitung untergebracht hatte - provisorisch, wie es hieß, bis ein geeigneter Standort für einen richtigen Landtag gefunden sei. Doch das Provisorium geriet zum Dauerzustand.

Zehn Jahre nach der Vereinigung aber schien die Zeit endlich reif für einen neuen Landtag - und zwar in einem neu zu errichtenden Potsdamer Stadtschloß. Der schöne Plan gewann sofort zahlreiche Anhänger. Doch von Anfang an gab es Streit darum, wie detailgetreu das Gebäude wiederauferstehen solle. Lediglich auf dem Grundriß des alten Gebäudes solle das neue entstehen, forderten führende Landespolitiker. Dies ging manchen - wie erwartungsgemäß der PDS - bereits zu weit, anderen indes nicht weit genug, weil sie das alte Schloß 1:1 wiederhergestellt haben wollten, um die städtebauliche Wunde zu schließen.

2001 entschied sich die Stadt trotzig, das Schloß mitsamt der historischen Fassade wiederaufzubauen. Der Landtag aber beschloß den Wiederaufbau im vergangenen Jahr nur auf dem alten Grundriß, nicht aber mit der historischen Fassade. Um einen Konsens zwischen Stadt und Land herzustellen, mußten drei Verträge geschlossen werden. Aber noch immer waren längst nicht alle Fragen zur Zufriedenheit geklärt.

Der Kompromiß, der nun den Stadtverordneten vorgelegt worden war, sah so aus: Bis 2010 sollte das neue Schloß- und Landtagsgebäude errichtet werden, und zwar auf dem Grundriß des zerstörten Stadtschlosses, weitgehend auch seinem Baukörper folgend. Alles natürlich auf Kosten des Landes. Das heißt, daß sowohl der Neubau für rund 85 Millionen als auch notwendige Erneuerungen im Umfeld (eine Brücke, eine Straßenbahnlinie etc.) vom Land getragen würden.

Der Neubau sollte sich bloß teilweise an seinem historischen Vorbild orientieren: Allein den nördlichen Teil, der sich dem Alten Markt und der Nikolaikirche zuwendet, wollten die Antragsformulierer weitgehend korrekt rekonstruieren und das bereits aus Spenden originalgetreu wiedererrichtete Fortunaportal in den Neubau einbetten.

Für dieses Portal, das als einziges Bauelement bereits steht, hatte sich Günter Jauch, einer der prominentesten Potsdamer, mächtig ins Zeug gelegt und drei Millionen Euro gesammelt. Der "RTL"-Moderator reagierte nun entsprechend enttäuscht auf die Entscheidung der Stadtverordneten.

Und es war bereits der zweite Anlauf: Am 1. November scheiterte der Antrag bei Stimmengleichheit. Diesmal waren es in geheimer Wahl sogar 27 Nein- und nur 24 Ja-Stimmen. Die PDS-Fraktion hat mit ihren 19 Stimmen offenbar geschlossen dagegen gestimmt.

Die Frage, wer die anderen fünf Abweichler aus dem CDU-FDP-Grüne-SPD-Familienpartei-Bündnis sind, wird wohl ungeklärt bleiben. Tatsache ist, daß sich die Stadtverordneten übergangen fühlten und ihren Frust über die Haltung der Landespolitiker in die Waagschale warfen.

Deswegen plant Jakobs nun, sein Vorhaben trotz des Vetos der Stadtverordnetenversammlung durchzusetzen - ein heikles Unterfangen. Finanzminister Rainer Speer spricht sich nun dagegen für die Sanierung des jetzigen Landtagsgebäudes aus. Eine nachvollziehbare Reaktion, nachdem sein 100-Millionen-Euro-Geschenk von der Stadt brüsk abgelehnt worden ist.

Ministerpräsident Matthias Platzeck ließ seinem Zorn auf die Linkspartei freien Lauf. Der PDS-Fraktionschef Hans Jürgen Scharfenberg habe sich als "als später Vollstrecker der Kahlschlagpolitik Ulbrichts" erwiesen.


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