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25.11.06 / An Grass abarbeiten / Autobiographie des Literaturnobelpreisträgers bietet wenig Spektakuläres

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. November 2006

An Grass abarbeiten
Autobiographie des Literaturnobelpreisträgers bietet wenig Spektakuläres

Der Mann neigt zum Exhibitionismus, stellt sich frivol zur Schau, nicht im tatsächlichen Sinne, sondern literarisch, dies aber so, daß im Kopf ein Bild entsteht, welches Ekel hervorruft. Die Wollust ist bei ihm zwar nur ein Randthema, denn es geht ihm meistens um einen politisch moralischen Anspruch, aber immerhin.

Richtig, es geht um den Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass. In seinem jüngsten Buch "Beim Häuten der Zwiebel" hat er seinen Kriegsdienst bei der Waffen-SS, Division Frundsberg, bekannt - Aufruhr allerorten. Grass provoziert und vermarktet sich selbst. Das hat er schon bei der Mutter gelernt, für deren Kolonialwaren-Geschäft er die Außenstände mal mit guten, mal mit drohenden Worten eintrieb und dabei selbst gut verdiente. Seine Mutter überließ ihm einen beträchtlichen Prozentsatz des eingetriebenen Geldes. Anecken und Verkaufen, das kann Grass bis heute.

Über das Buch ist wenig geschrieben worden, der Widerspruch zwischen real-verlaufener Vergangenheit einerseits und moralischem Anspruch andererseits hatte alles andere überlagert. Widmen wir uns dem Buch. Kindheit und Jugend des Danzigers sind allemal interessant. Grass erinnert sich und das Erlebte entlockt er seinem Gedächtnis Zug um Zug, oder besser: Schale um Schale einer Zwiebel. Dies ist nicht immer glaubwürdig, zumal Günter Grass sich ohne Zweifel seiner ehemaligen Zugehörigkeit zur Waffen-SS immer bewußt war, er also die Öffentlichkeit, die er als Moralapostel von hoch oben überwachte, belogen hatte. Der Dienst in der Waffen-SS ist Grass nicht vorzuwerfen, wohl aber das Verschweigen bei zeitgleichem öffentlichen Predigen gegen frühere Kameraden.

Günter Grass ist der lebende Widerspruch. Er geißelt zum Beispiel den kritischen Umgang mit alten SED-Kadern in der Nach-Wendezeit. "So erging es vielen, denen man eine falsche Biographie nachsagte; die mit der richtigen wußten schon immer, was falsch zu sein hatte." Dabei meint er ernsthaft nicht sich selbst. Grass beschreibt sich, als normalen Danziger Jungen, der Helden mag, Streiche spielt, ein unterdurchschnittlicher Schüler ist und in der HJ mitmarschiert. Er distanziert sich aber von seiner Kindheit, indem er immer wieder von sich in dritter Person spricht, sonst aber als Ich-Erzähler im Vordergrund verweilt.

Grass ist vielseitig. Seine beruflichen, künstlerischen und literarischen Ausflüge, die er bis in die 60er Jahre hinein beschreibt, und das Gesamtbild seiner Jugendjahre offenbaren einen Günter Grass, dem man alles zutraut: vom Nobelpreis bis zur Leiche im Keller.

Das Buch dürfte nicht nur alte "Frundsberger" interessieren. Wer sich an Grass abarbeiten möchte, und da gibt es viel zu tun, der muß ihn lesen. B. Knapstein

Günter Grass: "Beim Häuten der Zwiebel", Steidl Verlag, Göttingen 2006, geb., 480 Seiten, 24 Euro, Best.-Nr. 5682


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