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02.12.06 / Spiel mit dem Entsetzen / Wie der Jugendschutz funktioniert und wie ihn das virtuelle Ich herausfordert

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Dezember 2006

Spiel mit dem Entsetzen
Wie der Jugendschutz funktioniert und wie ihn das virtuelle Ich herausfordert
von Sverre Gutschmidt

Nach dem Amoklauf eines Jugendlichen in Emsdetten sind sich Politiker einig, daß sich am Jugendschutz etwas ändern muß. Der 18jährige Täter hatte über das Internet Waffen bestellt, gewalthaltige Computerspiele intensiv genutzt. Das Drehbuch seines Rachefeldzuges scheint einem virtuellen "Egoshooter" (Ballerspiel in Ich-Perspektive) entnommen. "Killerspiele gehören verboten", brachte Edmund Stoiber die Reaktionen auf den Punkt. Wer so etwas fordert, kritisiert zugleich bestehende Instanzen. Doch wie der deutsche Jugendschutz funktioniert, ist vielen Erziehungsberechtigten ähnlich unklar wie der Inhalt der Spiele. Neben der staatlichen Bundesprüfstelle (BPjM) existieren zwei Formen freiwilliger Selbstkontrolle - die der Filmwirtschaft (FSK) und die der elektronischen Unterhaltungsindustrie (USK). Solange die freiwillige Kontrolle arbeitet, bleiben staatliche Eingriffe die Ausnahme - so will es das Gesetz.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) in Bonn besteht seit 1954 und ist dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nachgeordnet. Sie prüft staatlicherseits, ob ein Medienerzeugnis jugendgefährdend ist. Wenn ja, wird es indiziert, das heißt, in einen Katalog eingeordnet. Dieser darf nicht zu Werbezwecken veröffentlicht werden. Danach dürfen die Produkte weder öffentlich ausgelegt, noch im- oder exportiert, geschweige denn gedruckt oder zur Aufführung gebracht werden, wenn Jugendliche Zugang dazu haben könnten. Werbung und Versand ohne Altersnachweis sind verboten. In der Regel kommt dieser Schritt dem wirtschaftlichen Aus für den Artikel gleich. Er darf 25 Jahre lang nur Volljährigen ("Eingeweihten") auf Anfrage verkauft werden.

Grundlage für Eingriffe ist das Jugendschutzgesetz. Es wurde 2003 grundlegend überarbeitet, hieß vorher "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften". Den Schutz Minderjähriger hat die BPjM gegen die im Grundgesetz garantierte freie Meinungsäußerung abzuwägen. Zensur findet nicht statt - erst nach Veröffentlichung kann die BPjM einschreiten. Dazu muß ein Antrag auf Indizierung vorliegen, der nur vom übergeordneten Ministerium, Jugendbehörden und -ämtern sowie Aufsichtsstellen der Länder gestellt werden kann. Liegt der vor, holt die BPjM eine Stellungnahme des Herstellers ein. Wenn die BPjM nach Beratung in ihren Gremien, Dreier- (vereinfachtes Verfahren) oder Zwölfergremium (letzteres aus Vertretern der Literatur, Kunst, Kirchen, Schulen, öffentlichen und freien Jugendhilfeeinrichtungen), einem Antrag stattgibt, ist das Produkt indiziert ("keine Jugendfreigabe"). Derart drastisch geht es selten zu, da freiwillige Maßnahmen der Industrie vorgeschaltet sind.

Diese sind in der Filmwirtschaft als "Freiwillige Selbstkontrolle" (FSK) institutionalisiert. Sie vergibt die Altersbeschränkungen fürs Kino. Daran wiederum orientieren sich im Idealfall die TV-Sender. Indiziertes darf nicht gesendet werden, es sei denn stark geschnitten. Programme sind frei von Eingriffen der BPjM, unterliegen freiwilliger Kontrolle der Sender.

Das Medienecho nach Emsdetten gilt dagegen der bisher eher unbekannten "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" (USK), die von Berlin aus für Jugendschutz an Computern und Videospielkonsolen tätig wird. Sie prüft Werke, ein Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden arbeitet in den Gremien der USK mit und erteilt die Altersfreigaben. Die USK bezieht ihre Mittel wie die FSK von der Industrie, testet jedoch mit Gutachtern aus der Szene, die auch bei der Produktentwicklung der Industrie Pate standen. Selbst Spiele, die von der USK ab 16 Jahren freigegeben wurden, zeigten reichlich Blut, so der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann.

Dennoch: Das Interesse der Hersteller, es möglichst nicht zum Stempel "keine Jugendfreigabe" kommen zu lassen, wird gesetzlich anerkannt. So darf die BPjM nur nach einem aufwendigen Prozeß indizieren, was Hersteller und Vertreiber vorher "selbstkontrolliert" mit einer Altersempfehlung versehen haben, in der Regel somit nicht. Denn die Hersteller-Empfehlungen sind bindend. Im Jugendschutz herrscht zudem Föderalismus: Die obersten Landesbehörden der Bundesländer besiegeln die Selbstbeschränkungen (Altersfreigaben) der Industrie, machen sie damit zum Landesakt. Ein oft fragliches Gleichgewicht zwischen Herstellern und Staat pendelt sich ein: Freiwillig beschränkt sich die Industrie nur, wenn sie aus Erfahrung ein Einschreiten der BPjM fürchten muß. Die BPjM wiederum kann sich im Zweifelsfall erst nach einem formalen Antrag einschalten oder wenn die freiwilligen Organe ihr die Entscheidung überlassen.

Der im europäischen Vergleich weitreichende deutsche Jugendschutz zeigt sich, so intensiv er klassische Medien bearbeitet, neuen gegenüber oft machtlos. Auf Gewaltfilme, die aus dem Internet geladen und über Mobiltelefone getauscht werden, oder fragliche Internetdiskussionsforen folgten bisher Appelle an die Anbieter der Internet-Anschlüsse (Provider) und notfalls politischer Druck. Nicht das Gesetz, sondern eher die Kontrollinstanzen unterliegen im technischen Wettrüsten. So sieht das noch neue Jugendgesetz beispielsweise vor, periodisch Erscheinendes (auch im Internet) für Monate zu indizieren - allein es muß gefunden und reagiert werden, bevor eine Szene entsteht. Auch gibt es zwar fünf verschiedene Alterskennzeichen, jedoch keine Hinweise auf den Inhalt, der gerade bei elektronischen Spielen älteren Laien verschlossen bleibt.


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