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02.12.06 / CDU versucht sich in "Politik für alle" / Alle waren sich plötzlich wunderbar einig und stimmten damit für eine heile, leere Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Dezember 2006

CDU versucht sich in "Politik für alle"
Alle waren sich plötzlich wunderbar einig und stimmten damit für eine heile, leere Welt
von Markus Schleusener

Angela Merkel hat gerade ihre Rede beendet. Da raunzt Georg Milbradt, der den CDU-Parteitag leitet, jetzt komme Jürgen Rüttgers. Dem Präsidium liege eine entsprechende Wortmeldung vor.

Rüttgers streitet es ab, so eine Wortmeldung abgegeben zu haben. Er tritt dann aber trotzdem ans Mirkofon und sagt, "wenn das Präsidium der Meinung ist, ich solle reden, werde ich das tun". Es sei ja auch komisch, wenn man die Diskussion "so behandeln würde, als wenn sie nicht da gewesen wäre".

Die Diskussion. Es geht um die Frage, ob ein älterer Arbeitnehmer ein paar Monate mehr Arbeitslosengeld beziehen soll oder nicht. In Wirklichkeit geht es ihren Stellvertretern in der Politik aber darum, sich eine herausgehobene Stellung zu erarbeiten.

Diese "Diskussion" ist es, die Angela Merkel als Parteivorsitzende in ihrer Rede nur kurz streift, die die Partei aber interessiert wie nichts anderes. Die Delegierten wollen Blut sehen, wollen eine Auseinandersetzung, irgendeine. Der Veranstaltungsort, die Dresdner Messe, ist übrigens auf dem Gelände eines ehemaligen Schlachthofes untergebracht.

Merkel läßt in ihrer Rede die letzten zwei Jahre Revue passieren, die seit ihrer Wiederwahl zur CDU-Vorsitzenden 2004 vergangen sind. Sie ist bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr angelangt: "Und dann kam der 22. Mai, unvergessen: Jürgen Rüttgers und der gesamten Union ist etwas gelungen, worauf wir fast vier Jahrzehnte warten mußten."

Der große Delegiertenblock rechts, das sind die CDU-Leute aus NRW, klatscht begeistert. Gleich danach lobt sie Günther Oettinger, der "einen großartigen Sieg eingefahren hat". Diesmal Applaus aus Baden-Württemberg, das ist der Delegiertenblock links.

Aber statt das Schaulaufen der unterschiedlichen Flügel anzuheizen, ist Merkel um Einigkeit bemüht. "Wir beraten auf diesem Parteitag zwei Anträge zum Arbeitsmarkt und zur sozialen Sicherheit." Der eine kommt aus Baden-Württemberg und fordert eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Der andere ist der Mehr-Arbeitslosengeld-Antrag aus NRW. Merkel sagt: "Für mich gehören all diese Anträge zusammen." Und nach einer Pause: "Damit stellen wir unter Beweis: Wir machen Politik für alle." Ein Zyniker könnte auch sagen: Wir versuchen es allen recht zu machen. Aber das spielt keine Rolle. Merkels Rede wird von sechs Minuten Beifall gekrönt. Sie ist die unumstrittene Führerin ihrer Partei. Und sie hat ganz nebenbei noch eine Wunderwaffe ins Gefecht eingeführt, den Investivlohn, über den jetzt ganz Deutschland spricht, also die stärkere Beteiligung von Angestellten am Unternehmensgewinn.

Und dann kommt sofort der Rüttgers-Auftritt. Der Ministerpräsident redet viel von der "Angst". Angst ist fast schon ein Schlüsselwort in seiner Rede auf diesem Parteitag. Rüttgers: "Ich habe in die Augen der Ben-Q-Mitarbeiter gesehen und habe die Angst gesehen. Davor, keine Arbeit mehr zu haben. Davor, ihre Familie nicht mehr ernähren zu können."

Danach knüppelt Günther Oettinger zurück. "Es ist ein Riesenfehler, daß alles andere in den Hintergrund tritt - vor der Frage der Verlängerung des Arbeitslosengeldes." Diesmal rührt bei den NRW-Delegierten kaum einer die Hand. Dann spricht Peter Müller aus dem Saarland. Er spricht sich gegen den EU-Beitritt der Türkei aus. Dann spricht er über den "Schutz werdenden Lebens". Zwei Lieblingsthemen des rechten Parteiflügels. Doch dann die inhaltliche Kehrtwende: Er wirbt für den Rüttgers-Antrag. Diese "Kehrtwende" ist vielleicht gar keine: Die Partei versucht wirklich, Politik für alle zu machen, so wie es die Kanzlerin vorgegeben hat.

Derweil bespricht sich Jörg Schönbohm draußen noch mit mehreren Delegierten. Vor vier Jahren hat er Merkel noch vorgeworfen, das "konservative Tafelsilber zu verschleudern". Jetzt muß er um seinen Posten im Präsidium fürchten - wegen Pflüger.

Die Delegierten geben sich beim gemeinsamen Mittagessen zufrieden. Einer aus Schleswig-Holstein schwärmt: "Der Streit der stellvertretenden Parteivorsitzenden verblaßt doch vor dem Erfolg unserer Kanzlerin."

So sieht das auch Torsten Nitzsche, der Vorsitzende der "Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung" (OMV) im Elbtal. "Angela Merkel ist gestärkt aus dem Parteitag hervorgegangen", resümiert er.

Und auch im Sinne der Vertriebenen sei der Parteitag ein Erfolg, so Nitzsche weiter. Immerhin hat die Antragskommission zwei Anträge zur Beschließung empfohlen, einer davon kam von der OMV.

Darin heißt es wörtlich, die CDU unterstütze "den Aufbau eines ,Zentrums gegen Vertreibungen' in Berlin als sichtbares Zeichen, in dem in einem Gesamtüberblick das Schicksal der mehr als 15 Millionen deutschen Vertreibungs- und Deportationsopfern aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa mit ihrer Kultur und ihrer Siedlungsgeschichte sichtbar werden soll." Denn: "Vertreibung und Genozid sind immer ein Unrecht." Die 1001 Delegierten stimmten dem Antrag mit großer Mehrheit zu - eine klare Richtungsentscheidung und ein Fingerzeig an den Koalitionspartner.

Aber dafür die anderen Abstimmungen: Die Anträge aus Baden-Württemberg und aus NRW werden beide angenommen. Und bei der Wahl der Stellvertreter erleidet Jürgen Rüttgers eine klare Schlappe. Mit 57 Prozent ist er das Schlußlicht hinter Annette Schavan (78 Prozent), Roland Koch (68 Prozent) und Christian Wulff (66 Prozent). Und Jörg Schönbohm ist Geschichte, gescheitert. Bei der Wahl zum Präsidium mußte er Pflüger und Maria Böhmer den Vortritt lassen.

Herausragend ist nur das Ergebnis der Kanzlerin: 93 Prozent. In ihrer Partei ist Angela Merkel mächtiger denn je. Die Diskussion - sie hat vor allem Merkel genützt.


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