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02.12.06 / Wer ist der nächste? - Minister stirbt im Kugelhagel / Gemayel-Mord könnte im Libanon einen neuen Bürgerkrieg heraufbeschwören

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Dezember 2006

Wer ist der nächste? - Minister stirbt im Kugelhagel
Gemayel-Mord könnte im Libanon einen neuen Bürgerkrieg heraufbeschwören
von Dietrich Zeitel

Es lief ab wie in einem x-beliebigen Actionfilm: Am Dienstag letzter Woche stoppten Attentäter am hellichten Tag den Dienstwagen des 34jährigen libanesischen Industrieministers Pierre Gemayel auf einer belebten Straße in einem vorwiegend von Christen bewohnten Vorort Beiruts und ermordeten ihn und einen seiner Leibwächter. Der Ermordete gehörte der christlichen, antisyrischen Kata'ib-Partei (auch "Phalange" genannt) an und war der Sohn des früheren libanesischen Präsidenten Amine Gemayel sowie Neffe des 1982 bei einem Attentat umgekommenen früheren Präsidenten Bachir Gemayel.

Was die Täter mit diesem Mord auch immer erreichen wollten: Fest steht, daß dieser Mord die ohnehin schon sehr angespannte Lage im Zedernstaat mit unabsehbaren Konsequenzen weiter zugespitzt hat. Selbst ein neuerlicher Bürgerkrieg erscheint derzeit nicht mehr ausgeschlossen. Gewisse Parallelen zu der Lage im April 1975, als der Bürgerkrieg offen ausbrach, sind unübersehbar. Damals entzündeten sich die Auseinandersetzungen zunächst an den aus Jordanien vertriebenen Kräften der PLO, die mit Duldung muslimischer libanesischer Gruppen mehr und mehr zu einem Machtfaktor im Lande heranwuchs. Das fein austarierte Verhältnis zwischen Christen und Muslimen im Libanon drohte aufgrund der ethnischen Verschiebungen zu kippen. Gab es zunächst nur Gefechte zwischen der christlich-maronitischen Phalange-Miliz und der PLO, eskalierte der Konflikt später zum bewaffneten Kampf der Nationalen Bewegung, bestehend aus muslimischen, palästinensischen und linken Kräften auf der einen Seite, und christlichen (in der Regel maronitischen) Gruppen auf der anderen Seite, die als "Libanesische Front" (LF) bezeichnet wurden. In der Folge brachen dann auch noch Kämpfe zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen sowie zwischen libanesischen und palästinensischen sowie prosyrischen und proiranischen Gruppen aus.

Heute verlaufen die Konfliktlinien zwischen der antisyrischen Regierungsmehrheit des Premierministers Fuad Siniora und der prosyrischen Opposition unter der Führung der Hisbollah. Deren Antagonismus dürfte sich nach dem Gemayel-Attentat weiter zuspitzen, da aus Sicht vieler Libanesen und Beobachter der Lage im Libanon die Drahtzieher des Attentats an Gemayel in Syrien sitzen sollen. So machte zum Beispiel Saad Hariri, der Sohn des im Februar des Jahres ermordeten Ex-Premiers, Damaskus direkt für den Mord an Gemayel verantwortlich. US-Präsident Bush hielt sich zwar bei den Spekulationen über die Drahtzieher des Attentats zurück, warf aber Teheran und Damaskus vor, den Libanon destabilisieren zu wollen.

Nicht überraschend geriet denn auch die Trauerfeier für Pierre Gemayel, zu der sich Hunderttausende von Libanesen einfanden, zu einer eindrucksvollen Kundgebung der antisyrischen Kräfte im Libanon. Dieses zur Demonstration geratene Begräbnis machte der Hisbollah einen Strich durch die Rechnung, die eigentlich eine machtvolle Demonstration zum gleichen Zeitpunkt geplant hatte, mit der die Regierung Siniora bewegt werden sollte, das Kabinett umzubilden. Die Hisbollah hat sich bisher weder mit ihrer Forderung nach Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit" (die Verhandlungen darüber wurden durch den israelischen Angriff auf den Libanon im Sommer des Jahres unterbrochen) noch mit ihrer Forderung nach Neuwahlen durchsetzen können, was dazu führte, daß zwei Minister der Hisbollah, drei der schiitischen Amal und ein Vertrauter des Präsidenten Emile Lahoud Anfang November ihre Ämter niederlegten. Die angekündigte Demonstrationswelle der Hisbollah ist derzeit zwar verschoben, sie wird nach Verstreichen der Staatstrauer für Gemayel aber kommen und wird die Lage mit Sicherheit weiter anheizen.

Die Hisbollah wirft der Regierung Siniora vor allem vor, in erster Linie die Interessen der USA zu vertreten. Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah, der selbst im Geruch steht, von Syrien und dem Iran gelenkt zu werden, bezeichnete das Kabinett Siniora als "Feltman-Regierung"; gemeint ist hiermit Jeffrey Feltman, der US-Botschafter im Libanon. Kern von Nasrallahs Kritik sind die Umstände, die die prowestliche Regierung Siniora an die Macht brachte; sie verdankt ihre Machtübernahme aus seiner Sicht vor allem der sogenannten Zedern-Revolution, die zur Folge hatte, daß die Besatzungsmacht in Gestalt syrischer Truppen den Libanon verlassen mußte.

Eine merkwürdige Rolle im Zusammenhang mit dem Gemayel-Attentat spielt Samir Geagea, ehemals Vorsitzender der oben angesprochenen LF. Medienberichten zufolge hat Geagea im libanesischen Fernsehen einige Tage vor dem Attentat angekündigt, daß in Kürze drei Minister ermordet werden würden. Geagea, dem Geheimdienstkontakte nachgesagt werden, war zu einer mehrfach lebenslänglichen Freiheitsstrafe für Verbrechen während des Libanonkrieges verurteilt worden und kam erst durch ein (neuerliches) Amnestiegesetz, das am 18. Juli 2005 verabschiedet wurde, frei. Der ehemalige LF-Führer wird für die Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Raschid Karami mitverantwortlich gemacht. Ihm wird überdies eine Verwicklung in die Verbrechen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im September 1982 vorgeworfen, als die israelische Armee der FL das Eindringen in diese Lager erlaubte. Geagea war zu diesem Zeitpunkt neben Elie Hobeika, der Anfang 2002 "unter ungeklärten Umständen" ums Leben kam, direkt verantwortlich für die Mordaktionen unter den Palästinensern.

Seltsam ist weiter, daß ausgerechnet an dem Tag, an dem Pierre Gemayel ermordet wurde, der Irak und Syrien die Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen ankündigten. Vier Tage vorher hatte die US-Regierung Syrien angeboten, eine "positive Rolle" bei der Suche nach einem Ausweg aus der chaotischen Lage im Irak zu spielen. Syrien wurde vorher immer wieder von Washington bezichtigt, sunnitische Terrorgruppen im Irak zu unterstützen. Mit der "positiven Rolle" für Syrien dürfte es jetzt wohl schwierig werden, und auch jene Kräfte in Syrien selbst, die auf einen Ausgleich mit dem Westen hinarbeiten, dürften an Einfluß verlieren. Mit einem gewissen Recht wird spekuliert, ob nicht genau das ein Motiv der Attentäter gewesen sein könnte.

In eine ganz andere Richtung gehen hingegen die Mutmaßungen des Nahost-Experten Peter Scholl-Latour. Er hält es für eher unwahrscheinlich, daß die Täter in Syrien zu suchen sind und mutmaßte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, daß "der russische Geheimdienst da zugeschlagen" haben könnte. Gemayel sei möglicherweise zum Verhängnis geworden, daß er "Staatsgeheimnisse" ausgeplaudert habe. Derzeit müssen alle diese Mutmaßungen natürlich Spekulationen bleiben. Richtig aber ist, daß nicht nur bestimmte Kreise in Syrien ein handfestes Motiv für das Gemayel-Attentat haben.


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