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23.12.06 / Der Traum

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Dezember 2006

Der Traum von weißer Weihnacht
Zahlen belegen: Das menschliche Wettergedächtnis gaukelt falsche Welten vor
von Wolfgang Thüne

Nichts ist unzuverlässiger als das menschliche Wettergedächtnis. Es reicht oft nur wenige Stunden bis Tage. Grund ist seine Allgegenwart wie sein ungeheurer Abwechslungsreichtum. Im Gedächtnis jedes Menschen haften mit Vorliebe solche Wetterereignisse aus der Kindheit, die sich auf besonders große Kälte, Schlittenfahrten und Schneeballschlachten oder große Hitze mit Badefreuden und ähnliche lebhafte Eindrücke beziehen. Das meiste Wetter entzieht sich der Erinnerung, so daß der falsche Glaube entsteht, man habe dereinst nur kalte Winter und heiße Sommer erlebt.

Wenn heute sensationslüstern auf ganz ungewöhnliche Wetterlagen und Wetterextreme verwiesen und der "Klimawandel" beschworen wird, dann lohnt sich ein Blick in alte Wettertagebücher. Solch ein Blick wirkt ernüchternd und beruhigend. Wenden wir uns zuerst einem gerne vernachlässigten aber gerade deswegen um so wichtigeren Wetterelement zu, dem Luftdruck. Mag die mittlere Jahrestemperatur die Gemüter erhitzen und ängstigen, der mittlere Jahresluftdruck interessiert keinen Menschen. Doch gerade der Luftdruck entscheidet, ob ein Hoch oder ein Tief das Wettergeschehen beherrscht und aus welcher Richtung die Winde wehen und welche Luftmassen sie zu welcher Jahreszeit herantransportieren.

Der Luftdruck und seine Kraft wurden im Jahre 1663 von Otto von Guericke mit seinen "Magdeburgern Halbkugeln" nachgewiesen. Auf jeden Quadratzentimeter der 510 Millionen Quadratkilometer der Erdoberfläche lastet ein mittlerer Luftdruck von 760 Millimeter Quecksilbersäule oder 1013 Hektopascal. Nach den Angaben des Deutschen Wetterdienstes wurde am 26. Februar 1989 in Münster mit 948,6 hPa (711,4 mm) der niedrigste Luftdruck in Deutschland gemessen. Der höchste Luftdruck des vergangenen Jahrhunderts sei am 23. Januar 1907 mit 1057,8 hPa (793,3 mm) in Berlin gemessen worden. So hohe wie tiefe Luftdruckstände sind nur dem Winter zu eigen und dem Sommer fremd. Die mittleren Luftdruckschwankungen an einem Ort betragen im Jahresverlauf etwa 60 mm.

Doch ist Berlin die deutsche Stadt mit dem höchsten Luftdruck? Ein Blick in die Annalen zeigt das Gegenteil. Den Vogel schießt das ostpreußische Memel ab, da es abwechselnd im Bereich der sehr tiefen skandinavischen Tiefdruckwirbel und demjenigen des osteuropäisch-asiatischen Winterhochs liegt. In Memel sind Schwankungen bis 78 mm beobachtet worden: einem Barometerhöchststand von 798,8 mm oder 1065,1 hPa am 23. Januar 1907 und einem niedrigsten Luftdruck mit 720,6 mm oder 960,8 hPa am 26. Dezember 1902.

Bei solch niedrigem Luftdruck zu Weihnachten kann keine sibirische Kälte mit Schnee herrschen, wir werden im Gegenteil daran erinnert, daß Deutschland in der Westwindzone liegt und damit, was die Mitteltemperaturen betrifft, klimatisch begünstigt ist. Wenn auch Berlin eine Jahresmitteltemperatur von etwa 9 Grad Celsius hat, so schwankt diese zwischen 18,3 Grad im Sommer und 0,0 Grad im Winter. Aber auch die Jahresmitteltemperatur ist nicht konstant, sondern kann eiszeitliche 5,4 Grad betragen wie im Jahre 1740 und wenig danach im Jahr 1756 warmzeitliche 11,5! Extreme Schwankungen zeigt auch die Sonnenscheindauer. Der niedrigste Jahreswert mit 844 Stunden wurde 1912 in Münster gemessen, der höchste mit 2477 Stunden 1921 in Nürnberg. 2006 hatten wir übrigens den sonnenärmsten August seit 50 Jahren!

An Tiefsttemperaturen wurden in Ostpreußen gemessen: Minus 33,3 Grad Celsius am 25. Januar 1942 in Königsberg und Minus 36,4 Grad Celsius am 16. Januar 1893 wie am 17. Januar 1940 in Marggrabowa / Treuburg. Dagegen gab es um Weihnachten 1934 in Ostpreußen Himbeeren. Im Ostseebad Cranz pflückte ein Schneidermeister gar Birnen! Richard Hennig schildert, daß er am 29. Februar 1912 in Memel über der noch völlig vereisten Hafenmole bei sonnigem Wetter eine singende Lerche wahrgenommen habe. Zum Kontrast: Am 4. Juni 1918 fiel in Ostpreußen noch Schnee, wohingegen Königsberg am 11. Mai 1910 bereits 28 Grad Celsius registrieren konnte. Es ist einzig das Wetter, das Kapriolen schlägt und das Klima interessant macht.

Werfen wir noch einen Blick auf die Bewölkung. In Norddeutschland können wir im Jahresdurchschnitt mit Zweidrittel-Bewölkung des Himmels rechnen. Von den 4456 Stunden, in denen während eines Jahres die Sonne über dem Horizont steht, scheint sie in Berlin nur 1672, in Hamburg gar nur 1236 Stunden. Im Dezember 1913 gab es während eines ganzen Monats in Königsberg nur neun Stunden mit Sonnenschein. Wer mehr Sonne liebt, muß im Winter auch mit extremer Kälte vorlieb nehmen, weil dann die Wärmestrahlung der Erdoberfläche ungehindert ins Weltall entweichen kann. Unsere meist milden Winter danken wir also den Wolken. Sie bringen auch den Regen. Der Rekord von Königsberg beträgt 110 mm, gemessen am 12. August 1912.

Eine Eigentümlichkeit in Deutschland ist auch, daß die Zahl der Tage mit Schneefall von West nach Ost stärker zunimmt als von Nord nach Süd. Die Zahl der Tage mit Schneefall steigt vom Niederrhein mit etwa 22 Tagen auf 69 Tage in Masuren. Dagegen bringt es die Schnee-Eifel nur auf 62 Tage mit Schneefall. Der Traum von "weißer Weihnacht" geht also in Ostpreußen dreimal häufiger in Erfüllung als im Rheinland.


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