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23.12.06 / Einmal im Walzertakt / Erinnerungen an einen Afrikaner in preußischer Uniform

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Dezember 2006

Einmal im Walzertakt
Erinnerungen an einen Afrikaner in preußischer Uniform
von Ruth Geede

Es war ein Bild, das ich an einem Sonntagmorgen in einer Wochenzeitung sah. Es berührte mich nicht auf den ersten Blick, auch nicht auf den zweiten, nein, es interessierte mich lediglich in Zusammenhang mit dem Text, einem Bericht über das Deutsche Historische Museum in Berlin. Und dann kam der Name: Sabac el Cher. Er wies auf den Mann in preußischer Uniform hin, den das alte Gemälde zeigt, wie er von einer jungen Frau zärtlich umarmt wird. Sein Gesicht hebt sich aus dem Schwarzbraun des Hintergrundes kaum hervor, denn der Abgebildete ist ein Dunkelhäutiger. Und da kam aus der fernen Kindheit die Erinnerung, zuerst noch vage, dann immer konturenreicher. Und dann war sie da, die kleine Geschichte, die in unserer Familie erzählt wurde, damals in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Königsberg in Preußen.

Aber sie geht noch weiter zurück, in das Königsberg der unbeschwerten Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Als die Familien noch an schönen Sommertagen in die Gartenlokale vor der Stadt zogen, um bei Kaffee und Kuchen den Klängen der Musikkapellen zu lauschen. In Luisenhöh spielte eine der Musikkapellen der Königsberger Regimenter und Pionierbataillone, die immer eine große Zuhörerschar hatten. Besonders die "Kronprinzen", denn da war der Kapellmeister ein hochgewachsener dunkelhäutiger Mann, der die Menschen mit seiner mitreißenden Musik in seinen Bann zog. Ihn und den "alten Krantz", den Musikmeister vom Infanterieregiment 43, kannte jeder Königsberger.

Ich weiß nicht genau, ob es da geschah oder im Tiergarten, ob bei einer öffentlichen oder geschlossenen Veranstaltung, vielleicht auf einem Militärball - jedenfalls wurde getanzt. Meine Eltern waren damals ein junges Ehepaar, mein Vater, ehemaliger Kavallerist, mit Linienscheitel und hochgezwirbelter Bartzier, machte wohl eine gute Figur, aber er konnte nicht tanzen. Er führte zwar sein Mariechen auf das Parkett, doch die junge Frau - lieblich anzusehen in ihrer Seidenrobe mit der Wespentaille - hing anscheinend etwas unglücklich in seinen Armen. Denn es soll folgendes geschehen sein: Der dunkelhäutige Kapellmeister gab seinen Taktstock weiter, schritt quer durch den Saal zu dem jungen Paar und bat meinen Vater um die Erlaubnis, mit seiner Dame tanzen zu dürfen. Die war ebenso verdattert wie ihr Mann, lief wahrscheinlich rot wie eine Pfingstpäonie an und ließ sich dann von dem stattlichen Kapellmeister weiterführen. Alle Augen ruhten natürlich auf dem Paar, auch die ihres Mannes natürlich - "aber was sollte er tun? Es war ja ein Tänzchen in allen Ehren", beteuerte meine Mutter auch Jahre später, als sie mir, ihrer Jüngsten, von diesem Ereignis erzählte. Papa sagte dazu nichts, er war überhaupt ein großer Schweiger. "Tanzen konnte der Mann ja wunderbar", fügte meine Mutter hinzu, "aber unangenehm war es mir doch gewesen, er war doch so berühmt, der Sabac el Cher!" Der Name war es, der mich faszinierte. Und wie immer, wenn mir ein Wort gefiel, wiederholte ich ihn leise: Sabac el Cher!

Das tat ich auch jetzt, als mich dieser Name aus der Zeitung ansprang. Und ich mußte lächeln: Der Traumtänzer meiner Mutter! Mein Gott, wie lange war das her, mehr als ein Jahrhundert! Aber jetzt wurde er lebendig, nahm Gestalt an, eine sehr dunkle Gestalt, denn in Wirklichkeit soll er hellhäutiger gewesen sein als auf dem Bild von Emil Doerstling zu sehen, das dieser 1890 malte. Vielleicht um den Gegensatz zu der jungen Braut zu zeigen, die ihren weißen Arm um seine Brust legte. Gertrud Perlig hieß sie, war dunkelblond, blauäugig, sehr mädchenhaft. Ich mußte an das verlorene Foto denken, das meine Mutter als junge Frau zeigte. Sie sah darauf der Musikerbraut ähnlich. Vielleicht hatte der königliche Musikmeister sie deshalb als Tänzerin gewählt?

Die Ehe soll sehr glücklich gewesen sein. Meine Mutter erzählte, daß sie der Frau des Musikmeisters manchmal begegnet sei, wenn diese mit ihren beiden Söhnen spazierenging. Natürlich fielen sie auf, denn die dunkle Augen- und Hautfarbe ihrer afrikanischen Vorfahren schlug bei ihnen noch stärker durch als bei ihrem Vater. Man erzählte, daß ihre Mutter sie manchmal in Tücher hüllte, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Aber als ich dies erfuhr, war Sabac el Cher nicht mehr in Königsberg, er war auch kein königlicher Musikmeister mehr, sondern Kapellmeister in Berlin und begann eine neue Karriere als Leiter des ersten Rundfunkorchesters.

Er war in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, denn er war im Prinz-Albrecht-Palais zur Welt gekommen. Der Preußenprinz hatte seinen Vater, der damals ein Junge war, von einem Ägypten-Aufenthalt mitgebracht, er soll ihm von dem damaligen Vizekönig Mehmet Ali übergeben worden sein. Der Junge erhielt den Namen August Albrecht Sabac el Cher und setzte die an europäischen Höfen zur Tradition gewordenen Haltung der "Kammermohren" fort. Diese standen in ihrer sozialen Stellung und Besoldung höher als die meisten Hofbeamten und genossen großen Respekt. Sohn Gustav konnte jedenfalls eine glänzende musikalische Laufbahn einschlagen, die ihm außer einem stattlichen Sold Ruhm und Ehre einbrachten. Als Gustav Sabac el Cher 1934 verstarb, kondolierte seiner Witwe auch der im holländischen Doorn in der Emigration lebende letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. Von Sabacs Söhnen fiel der ältere als Angehöriger der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, der jüngere setzte später als Geiger die musikalische Tradition seiner väterlichen Vorfahren fort.

Das Gemälde, das vom Deutschen Historischen Museum erworben wurde, dürfte in Königsberg entstanden sein und sich bis zum Zweiten Weltkrieg auch dort befunden haben. Wer die Dauerausstellung "Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen" im Berliner Zeughaus besucht, wird auch vor dem Bild von Doerstling stehen bleiben - dessen Geschichte ich hier in Ansätzen geschildert habe. Aber mich hat schon als Kind die Begegnung meiner Mutter mit diesem außergewöhnlichen Menschen fasziniert, mag sie auch nur eine Walzerlänge gedauert haben. Und eine Äußerung von ihr ist in meiner Erinnerung geblieben: "Er hatte eine so riesige Hand, die schwarz und schwer auf meiner Schulter lag und mein Seidenkleid ganz zerdrückte." Auf dem Gemälde ist sie zu sehen. Er legt sie um seine Gertrud, die treu an seiner Seite gestanden hat, auch in späteren schwierigen Zeiten, ein Leben lang - sie verstarb kurz nach ihm!

Foto: Der preußische Musikmeister: Sabac el Cher mit seiner Frau Gertrud (DHM)


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